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Wissenschaft
Am 2. Oktober 2019 veröffentlichte das Fachblatt BMJ eine neue Empfehlung zum Darmkrebs-Screening. Die Kernaussage: Eine Screening-Teilnahme wird nur Personen empfohlen, die mit einer Wahrscheinlichkeit von mindestens drei Prozent in den kommenden 15 Jahren an Darmkrebs erkranken. Einem Großteil der Frauen würde damit vom Screening abgeraten werden – obwohl der Nutzen für sie klar belegt ist.
Dies betont Prof. Dr. Ulrike Haug, Leiterin der Abteilung Klinische Epidemiologie am Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie – BIPS. Sie kritisiert nicht nur die Empfehlung selbst, sondern auch die Methodik, mit der diese entstanden ist.
Von den meisten aktuellen Leitlinien wird die Darmkrebsfrüherkennung für Männer und Frauen ab 50 Jahren empfohlen. Dies berücksichtigt, dass Darmkrebs sehr langsam aus Vorstufen entsteht und das Screening Erkrankungsfälle verhindert, die erst viel später im Leben auftreten würden. Die Herangehensweise der BMJ-Empfehlung war jedoch eine andere. Man bat ein 22-köpfiges Gremium um seine Einschätzung, wie groß der Nutzen absolut betrachtet sein müsste, damit die meisten Personen sich für das Screening entscheiden. Dabei wurden aber nur vergleichsweise extreme Antwortmöglichkeiten angeboten. „Es verwundert also nicht, dass letztlich die Schwelle relativ hoch angesetzt wurde und im Resultat sehr restriktive Empfehlungen entstanden sind“, kritisiert Haug. Würde man diese Empfehlung anwenden, müsste man dem Großteil aller Frauen vom Screening abraten und dessen Anwendung würde sich insgesamt in höhere Altersgruppen verlagern.
Krebsfälle verhindern
„Bei kaum einer anderen Krebserkrankung gibt es so wirksame Möglichkeiten zur Früherkennung wie bei Darmkrebs. Hiervon abzuraten, weil eine kleine Gruppe von Fachleuten sich anmaßt, beurteilen zu können, was die Bevölkerung als relevanten Nutzen betrachtet, erscheint absurd. In Deutschland treten 45 Prozent der Darmkrebserkrankungen bei Frauen auf. Ich halte es für nicht vertretbar, Frauen vom Darmkrebs-Screening abzuraten beziehungsweise es erst im höheren Alter zu empfehlen. Selbst wenn es dann noch gelingt, Darmkrebs im frühen Stadium zu erkennen, reduziert man die Chance, das Auftreten der Erkrankung gänzlich zu verhindern. Persönlich wäre es mir deutlich lieber, gar nicht erst an Krebs zu erkranken und so geht es vermutlich vielen. Das BMJ-Expertengremium hat aber den Nutzen, nicht an Krebs zu erkranken, versus den Nutzen, nicht an Krebs zu versterben, als gleichwertig eingestuft. Hinzu kommt ein weiteres Problem. Um die Empfehlung anwenden zu können, muss man zunächst herausfinden, ob das persönliche Risiko, in den nächsten 15 Jahren an Darmkrebs zu erkranken, unter oder über drei Prozent liegt. Die derzeitigen Vorhersagemodelle sind aber dahingehend noch sehr fehlerhaft. So würde etwa zwei Dritteln der Frauen, die in den nächsten fünf Jahren an Darmkrebs erkranken, fälschlicherweise vorhergesagt werden, dass ihr Risiko unter drei Prozent liegt – und damit würde ihnen gemäß der BMJ-Empfehlung vom Darmkrebs-Screening abgeraten werden. Die Autoren der Studie betonen zwar, dass es sich bei den BMJ-Empfehlungen nicht um ‚starke Empfehlungen' handelt und man im Gespräch mit dem Arzt zu einer persönlichen Entscheidung kommen sollte. Trotzdem bin ich besorgt, dass diese Empfehlungen für große Verunsicherung sorgen und in der Summe deutlich mehr Schaden als Nutzen bringen, vor allem für Frauen“, so Haug.
Das BIPS – Gesundheitsforschung im Dienste des Menschen
Die Bevölkerung steht im Zentrum unserer Forschung. Als epidemiologisches Forschungsinstitut sehen wir unsere Aufgabe darin, Ursachen für Gesundheitsstörungen zu erkennen und neue Konzepte zur Vorbeugung von Krankheiten zu entwickeln. Unsere Forschung liefert Grundlagen für gesellschaftliche Entscheidungen. Sie klärt die Bevölkerung über Gesundheitsrisiken auf und trägt zu einer gesunden Lebensumwelt bei.
Das BIPS ist Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft, zu der 95 selbstständige Forschungseinrichtungen gehören. Die Ausrichtung der Leibniz-Institute reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute widmen sich gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevanten Fragen. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen rund 19.100 Personen, darunter 9.900 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Der Gesamtetat der Institute liegt bei mehr als 1,9 Milliarden Euro.
https://www.bmj.com/content/367/bmj.l5515
Criteria of this press release:
Journalists
Medicine, Nutrition / healthcare / nursing
transregional, national
Research results, Scientific Publications
German
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