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Wissenschaft
Tobende Kinder auf der einen Seite, Erwachsene im Bann ihres Smartphones auf der ande-ren: ein mittlerweile alltägliches Bild auf deutschen Spielplätzen. Der Griff zum Handy kann jedoch negative Folgen für die Eltern-Kind-Interaktion haben. Wie eine jetzt veröffentlichte Studie des Leibniz-Instituts für Wissensmedien (IWM) zeigt, kommt es dabei auf die Dauer der Nutzung an: Wenn Eltern zu lange am Handy sind, leidet ihre Feinfühligkeit. Doch wer das Smartphone ganz weglegt, verliert möglicherweise einen wichtigen Anti-Stressfaktor.
Eltern gehören zu den intensivsten Smartphone-Nutzenden, behaupten Marktforschungsunter-nehmen. Ob im Supermarkt, in der Bahn oder zu Hause – viele nehmen das Handy auch in Gegenwart ihrer Kinder zur Hand. Als ganz unproblematisch gilt der Konsum nicht. Seit langem warnen Expertinnen und Experten vor den Auswirkungen der eingeschränkten Aufmerksamkeit. „Heute schon mit ihrem Kind gesprochen?“ fragten etwa im Jahr 2017 bundesweit Plakate provokativ und sollten damit Eltern zur Reflektion des eigenen Medienverhaltens animieren. Ob die Smartphone-Nutzung von Eltern allerdings tatsächlich mit reduzierter Aufmerksamkeit und Vernachlässigung einhergeht, war wissenschaftlich bisher kaum belegt. Die Ergebnisse einer Studie von Forscherinnen des Leibniz-Instituts für Wissensmedien (IWM) in Tübingen und der Universität Hohenheim sprechen nun für diesen Zusammenhang.
Wer länger am Handy ist, reagiert weniger sensibel
Für die Studie beobachtete das Forscherteam 89 Mütter mit ihren Kindern auf verschiedenen Spielplätzen. Dabei untersuchten die Wissenschaftlerinnen, wie oft und wie lange Mütter das Smartphone zur Hand nahmen und wie sie in dieser Zeit mit dem Kind interagierten. Hatte die Mutter ihre Tochter oder ihren Sohn im Blick oder bemerkte sie erst nach dem fünften Rufen, dass das Kind auf der Schaukel angestoßen werden möchte?
Das Ergebnis: Mütter, die ihr Smartphone für eine längere Zeit nutzten, verhielten sich weniger einfühlsam gegenüber ihrem Kind. Sie waren also weniger empfänglich für dessen Signale und reagierten auf Anfragen weniger angemessen. Während einer Beobachtungszeit von zehn Minuten griff fast die Hälfte der Mütter im Durchschnitt 80 Sekunden lang zum Handy. Werden Eltern also unsensibel, je mehr sie am Handy sind? Möglich. Eine Aussage über die langfristigen Auswirkungen der Nutzung trifft die Studie nicht. Studienleiterin und Kommunikationswissenschaftlerin Lara Wolfers erklärt: „Nach unseren Daten verschlechtert eine längere Nutzung die Interaktionen zwischen Mutter und Kind direkt in der Situation. Wie die Nutzung aber über die Situation hinaus wirkt, können wir mit dieser Studie nicht aussagen.“ Die Anzahl der Nutzungsepisoden, also wie oft die Mutter zum Handy griff, hatte keinen Einfluss auf die Feinfühligkeit. Ein schneller Blick auf das Handy scheint demnach unproblematisch.
Weniger Eltern-Bashing, mehr Reflektion
Kurz mal auf das Display geschaut und man gilt gleich als Monster, so etwa empfinden viele Eltern eine vermehrte Kritik an ihrer Nutzung des mobilen Begleiters. Mittlerweile wird sogar von Mom- oder Dad-Shaming gesprochen, dem öffentlichen Anprangern von elterlichem Verhalten. Zu Unrecht, wie Wolfers betont: „Die meisten Eltern benutzen das Smartphone in Gegenwart ihrer Kinder sehr reflektiert und konsumieren Inhalte, die wenig Konzentration benötigen.“ Kaum eine der beobachteten Mütter etwa spielte oder arbeitete, wie Befragungen zum Nutzerverhalten im Anschluss der Beobachtung zeigten. Wenn Mütter ihr Handy nutzten, dann um den Alltag zu organisieren, Fotos zu machen oder mit Freunden und Familie zu schreiben. Durch den Kontakt zu den Bekannten zeigten sich die Mütter der Studie sogar feinfühliger, als wenn das Smartphone für andere Tätigkeiten zur Hand genommen wurde. Das Smartphone bietet hier mitunter einen Zugang zu Unterstützung oder auch ein offenes Ohr.
Das Smartphone: Elterlicher Anti-Stressfaktor
„Die öffentliche Diskussion zu Eltern und ihrer Handynutzung ist oft sehr negativ und einseitig“, meint Wolfers. Im Rahmen ihrer Dissertation erforscht die Doktorandin derzeit am IWM, wie Eltern digitale Medien einsetzen – nämlich vor allem zum Stressmanagement: „Das Smartphone gibt Eltern Flexibilität und Autonomie zurück und bietet Kontakt zu Gleichaltrigen in einem sonst sehr isolierten Alltag.“ Das Elterndasein ist schön, kann aber auch stressig, langweilig und sehr einsam sein. Das Handy zu nutzen bedeutet, die Einkaufsliste auch unterwegs schreiben zu können, etwas von der Außenwelt mitzubekommen oder Ratschläge von anderen Müttern und Vätern zu erhalten. „Das lässt Eltern möglicherweise entspannen, was sich wiederum positiv auf den Umgang mit dem Kind und die Feinfühligkeit auswirken kann“, so die Wissenschaftlerin. „Eltern sollten daher lernen ihr Handy so einzusetzen, dass es den größtmöglichen Nutzen bringt aber die Interaktionen mit den Kindern möglichst wenig stört.“
Pressekontakt
Simone Falk von Löwis of Menar
Schleichstraße 6, 72076 Tübingen
Tel.: 07071 979-286
E-Mail: s.falk@iwm-tuebingen.de
Das Leibniz-Institut für Wissensmedien
Das Leibniz-Institut für Wissensmedien (IWM) in Tübingen erforscht, wie digitale Technologien eingesetzt werden können, um Wissensprozesse zu verbessern. Die psychologische Grundlagen-forschung der rund 90 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist auf Praxisfelder wie Schule und Hochschule, auf Wissensarbeit mit digitalen Medien, wissensbezogene Internetnutzung und Wissensvermittlung in Museen ausgerichtet. Seit 2009 unterhält das IWM gemeinsam mit der Universität Tübingen Deutschlands ersten Leibniz-WissenschaftsCampus (WCT), zunächst zum Thema „Bildung in Informationsumwelten“, seit 2017 unter dem Titel „Kognitive Schnittstellen“.
Wolfers, L., Kitzmann, S., Sauer, S. & Sommer, N. (2019). Phone use while parenting: An observational study to assess the association of maternal sensitivity and smartphone use in a playground setting. Computers in Human Behavior. Online verfügbar unter https://doi.org/10.1016/j.chb.2019.08.013
Was passiert, wenn Mütter daddeln?
None
Criteria of this press release:
Journalists, Scientists and scholars, all interested persons
Media and communication sciences, Psychology, Social studies
transregional, national
Research results
German
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