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Wissenschaft
Dialog zwischen Kunst und Organischer Chemie – Interdisziplinäres Wissenschaftlerteam der Universität Gießen schlägt neue Kategorisierung von Molekülen vor – Veröffentlichung in der Fachzeitschrift „Beilstein Journal of Organic Chemistry“
Was haben Kunst und Organische Chemie gemeinsam? Auf den ersten Blick nicht viel. Prof. Dr. Ansgar Schnurr (Institut für Kunstpädagogik) und Prof. Dr. Hermann A. Wegner (Institut für Organische Chemie), beide Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU), haben sich die Frage gestellt und regen an, Moleküle aus einer neuen Perspektive zu sehen.
Um die Frage der Visualisierung von Molekülen, die physikalisch dem menschlichen Sehprozess verschlossen bleiben, ist im Rahmen ihres interdisziplinären Forschungsprojekts ein komplexer Diskurs entbrannt. Von welchen Voraussetzungen gehen visuelle Modelle atomarer Strukturen aus und inwiefern leiten sie die Erkenntnisse? Welche Rolle spielt der „Faktor Mensch“ mit seinen Bedingungen des Sehens und Erkennens? Die Rolle der Betrachterin oder des Betrachters sowie die Darstellung des Unsichtbaren waren Herausforderungen, die die beiden Wissenschaftler gemeinsam mit Ihrem Mitarbeiter Jannis Neumann in den Blick nehmen mussten. Ausgehend von der innovativen Konzeption einer visuellen Perspektive in der Chemie haben sie eine neue Kategorisierung von Molekülen entwickelt, die das Molekül direkt ins Verhältnis zur sehenden Betrachterin bzw. zum sehenden Betrachter stellt.
Um zu erforschen, welche Auswirkungen das Paradigma des menschlichen Sehens auf die modellhafte Vorstellung von Molekülen hat, hat das Forscherteam sowohl einen rational-geometrischen Analyseweg beschritten als auch künstlerische Ansätze in die Forschungen einbezogen. Berechnet wurde, welche Atome bestimmter Moleküle von einem festgelegten Betrachterstandpunkt einander verdecken und eine visuell ähnliche Gruppierung bilden (Stichwort „Perspektivisomorphe“). Zudem hat das Wissenschaftlerteam die Arbeiten zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler in das Projekt einbezogen. Ihre innovativen grafischen Bildfindungen zu Atomdarstellungen wurden gleichrangig zu der konventionellen Visualisierung von Atommodellen verwendet. Auf diese Weise konnte die Interpretations- und Gestaltungsoffenheit wissenschaftlicher Modelle gezeigt und akzentuiert werden.
Die Ergebnisse des Projekts waren im Sommer 2018 in einer Ausstellung an der JLU zu sehen und wurden kürzlich in der Fachzeitschrift „Beilstein Journal of Organic Chemistry“ publiziert. Auf diese Weise ist es gelungen, den unterschiedlichen Gepflogenheiten der beiden Fachrichtungen gerecht zu werden.
„Die Resultate stellen einen grundlegenden Beitrag zum Verständnis von molekularen Phänomenen dar und regen gleichzeitig die Diskussion um Wahrnehmung, Modellbildung und Realität an, die über die beteiligten Disziplinen – Kunst und Chemie – hinausgeht“, ist Prof. Wegner überzeugt. „Das Projekt liefert einen grundsätzlichen Beitrag zu den Erkenntnismöglichkeiten solch interdisziplinärer, grenzüberschreitender Forschungen und zeigt, welchen besonderen – zunächst nicht unbedingt erwarteten – Beitrag die Kunst dabei zu leisten vermag“, ergänzt Prof. Schnurr.
Das Projekt an der JLU wurde von der Schering-Stiftung gefördert, die als eine zentrale Aufgabe ihrer Stiftungsarbeit das Aufzeigen von Schnittstellen insbesondere im Grenzbereich von Kunst und Wissenschaft betrachtet.
Die 1607 gegründete Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) ist eine traditionsreiche Forschungsuniversität, die rund 28.000 Studierende anzieht. Neben einem breiten Lehrangebot – von den klassischen Naturwissenschaften über Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, Gesellschafts- und Erziehungswissenschaften bis hin zu Sprach- und Kulturwissenschaften – bietet sie ein lebenswissenschaftliches Fächerspektrum, das nicht nur in Hessen einmalig ist: Human- und Veterinärmedizin, Agrar-, Umwelt- und Ernährungswissenschaften sowie Lebensmittelchemie. Unter den großen Persönlichkeiten, die an der JLU geforscht und gelehrt haben, befindet sich eine Reihe von Nobelpreisträgern, unter anderem Wilhelm Conrad Röntgen (Nobelpreis für Physik 1901) und Wangari Maathai (Friedensnobelpreis 2004). Seit dem Jahr 2006 wird die Forschung an der JLU kontinuierlich in der Exzellenzinitiative bzw. der Exzellenzstrategie von Bund und Ländern gefördert.
Kontakt
Prof. Dr. Hermann A. Wegner
Institut für Organische Chemie
Heinrich-Buff-Ring 17, 35392 Gießen
Telefon: 0641 99-34330
E-Mail: hermann.a.wegner@org.chemie.uni-giessen.de
Prof. Dr. Ansgar Schnurr
Institut für Kunstpädagogik
Karl-Glöckner-Straße 21 H (Raum 8e)
35394 Gießen
E-Mail: Ansgar.Schnurr@kunst.uni-giessen.de
Publikation
"Perspective isomorphs – a new classification of molecular structures based on artistic and chemical concepts", J. Neumann, A. Schnurr, H. A. Wegner,
Beilstein J. Org. Chem. 2019, 15, 2319–2326; DOI: 10.3762/bjoc.15.224
http://Weitere Informationen
http://www.uni-giessen.de/wegner
Criteria of this press release:
Journalists, all interested persons
Chemistry
transregional, national
Research results
German
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