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11/03/1998 00:00

Positive Rezeption der Lehre Epikurs

Robert Emmerich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Julius-Maximilians-Universität Würzburg

    "Ein Gärtchen, Feigen, kleiner Käse und dazu drei oder vier gute Freunde - das war die Üppigkeit Epikurs". Friedrich Nietzsche hat Recht. Nicht Schwelgerei und Luststreben, wie seit der Antike von christlicher und nichtchristlicher Polemik unterstellt, sondern persönliches Glück infolge von Selbstbeschränkung und Aufklärung, dies ist das eigentliche Anliegen der Lehre Epikurs.

    Um den "Epikureismus in der späten Republik und der Kaiserzeit" drehte sich ein internationales Symposium, das vom 30. September bis 3. Oktober 1998 im Toscanasaal der Residenz stattfand. Veranstalter war der Lehrstuhl für Klassische Philologie I der Universität Würzburg (Prof. Dr. Michael Erler); die Tagung wurde von der Karl und Gertrud-Abel-Stiftung gefördert.

    Epikur, der gegen Ende des 4. Jahrhunderts vor Christi Geburt in Athen eine Schule gründete, bot im Rahmen seiner Ethik Techniken zur Lebensbewältigung wie Meditation, Berichte und erbauendes Lesen sowie Orientierungshilfe. Diese sollten dem Menschen Seelenruhe und persönliches Glück bereiten und erinnern an moderne Methoden wie die Gesprächstherapie. Wer richtig einzuschätzen weiß, was beunruhigt und ängstigt, so Epikurs Überzeugung, der gewinnt nicht nur Seelenruhe und Glückseligkeit für sich, sondern kann auch seinen Mitmenschen in einer unüberschaubar gewordenen Welt Orientierungshilfe bieten.

    Die Einheit von Theorie und moralischer Lebenspraxis, die Epikur vorlebte und der seine Anhänger nacheiferten, habe, so Prof. Erler, auch in der Kaiserzeit bis hin zur Spätantike Respekt abgenötigt. Zwar seien Epikurs Materialismus und Hedonismus auf heftige Ablehnung gestoßen. Als Repräsentant einer philosophischen Lebensweise, zu der Unerschrockenheit vor Unbill und Zuwendung für andere gehören, sei er jedoch auch von Gegnern respektiert worden: Man machte Anleihen, integrierte Techniken epikureischer Lebensbewältigung in das eigene System und funktionalisierte sie zu einer philosophischen Propädeutik um.

    Daß es sich lohnt, dieser vernachlässigten positiven Rezeption Epikurs im kulturellen Leben der Kaiserzeit nachzugehen, war ein Ergebnis des Würzburger Kongresses, bei dem sich Forscherinnen und Forscher aus sieben Ländern auf Spurensuche begaben. Dabei verfolgten sie die Rezeption bestimmter Aspekte der Lehre Epikurs, zum Beispiel Theologie, bis in die Spätantike und überprüften die Position einiger Autoren gegenüber Epikur. Öffentliche Diskussionen der epikureischen Lehre in der Literatur zeigten den Facettenreichtum einer auch positiven Rezeption Epikurs auf und wiesen auf Lebendigkeit und Relevanz dieser Lehre für eine intellektuelle Oberschicht in der frühen und hohen Kaiserzeit hin.

    Beeindruckendes Zeugnis hierfür sind auch neu gefundene Fragmente mit Texten über epikureische Theologie, über die bei der Tagung berichtet wurde. Sie gehören zu einer monumentalen Inschrift des Diogenes im kleinasiatischen Oinoanda aus dem 2. Jahrhundert nach Christi Geburt, von der bisher schon mehr als 200 Fragmente veröffentlicht sind. Ihre ursprüngliche Länge wird auf 80 Meter geschätzt. Diese neuen Texte sind ein weiterer Beleg für die Bedeutung von Epikurs Lehre auch an vergleichsweise abgelegenen Orten. Sie können zudem für ein besseres Verständnis von literarischen Werken der Zeit fruchtbar gemacht werden.

    Nicht nur die kritische Auseinandersetzung, auch die positive Rezeption bezeugen bleibendes Interesse an Epikurs Lehre. Hierzu trugen lange Zeit Schulunterricht, staatliche Förderung und der Umstand bei, daß Epikureer Grundsätze und Positionen ihres Lehrers, in handlichen "Grundrissen" oder in Sinnsprüchen kondensiert, weiterreichten. Schließlich verstand der Schulgründer seine Lehre als Philosophie für jedermann.

    Die polemische Tradition habe freilich den Blick auch der modernen Forschung hierfür getrübt, wie Prof. Erler sagt. Reflexe positiver Epikurrezeption in der Kaiserzeit blieben oft unerkannt. Eine unvoreingenommene Spurensuche aber ergebe: Epikureische Gedanken, besonders aus dem ethischen Bereich, fanden Eingang in Werke bedeutender kaiserzeitlicher Autoren, ohne daß diese deren Herkunft immer kenntlich machten. Diese positive Rezeption läßt sich weiterverfolgen bis ins Mittelalter und in die Renaissance. Sogar in Raffaels "Schule von Athen" läßt sich die Anwesenheit einer Gruppe Epikureer als Repräsentanten jener "Lebenskunst" plausibel machen, die schon in der Kaiserzeit von Freunden wie Gegnern als Lebenshilfe und Vorbereitung für die Philosophie akzeptiert wurde.

    Laut Prof. Erler zeigten die Vorträge und Diskussionen dieser Tagung, daß es sich lohnt, diesem bisher vernachlässigten Aspekt kulturellen Lebens der griechisch-römischen Kaiserzeit nachzugehen. Die Beiträge zum Symposium werden voraussichtlich 1999 in der Reihe "Philosophie der Antike" im Franz Steiner-Verlag (Stuttgart) veröffentlicht.

    Weitere Informationen: Prof. Dr. Michael Erler, T (0931) 31-2820, Fax (0931) 31-2419, E-Mail:
    michael.erler@mail.uni-wuerzburg.de


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    Criteria of this press release:
    History / archaeology, Language / literature, Philosophy / ethics, Religion
    transregional, national
    Miscellaneous scientific news/publications, Scientific conferences
    German


     

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