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Ein kleiner Anteil der Patienten mit SARS-CoV2-Infektion verstirbt an einem akuten Lungenversagen, meistens in Folge einer schweren Form der Lungenentzündung. Eine kürzlich publizierte Arbeit [1] beschreibt jedoch einen weiteren möglichen, bislang wenig erforschten Pathomechanismus des tödlichen Lungenversagens. Demnach könnte eine Beteiligung des Hirnstamms und somit des Atemzentrums eine Rolle spielen. Unbekannt ist, wie häufig das der Fall ist. Eine aktuelle Arbeit aus Science [2] gibt Anlass zur Hoffnung, dass schwere Verläufe grundsätzlich seltener als angenommen sind.
SARS-CoV2 kann in seltenen Fällen zu einer schweren Form der Lungenentzündung führen, die u.U. ein akutes Lungenversagen (ARDS „Acute respiratory distress syndrome“) auslöst. Dabei handelt es sich um eine „überschießende“ Entzündungsreaktion: In der Lunge sammeln sich Entzündungszellen und Flüssigkeit an. Dies behindert zum einen rein mechanisch die Atmung, zum anderen zerstört die entzündlich-aggressive Flüssigkeit den körpereigenen Schutzfilm („Surfactant“) in den Lungenbläschen, die in Folge keinen Sauerstoff mehr aufnehmen können.
Neben diesen lokalen Ursachen könnte jedoch auch ein neurologischer Pathomechanismus zur Problematik des Lungenversagens beitragen, wie ein Ende Februar publizierter Übersichtsartikel aus China beschreibt [1]. „Es gibt zahlreiche, z.T. auch schon ältere Arbeiten, die zeigen, dass Coronaviren in das zentrale Nervensystem (ZNS) bzw. das Gehirn eindringen können, insbesondere in den Hirnstamm. Dort befinden sich wichtige Steuerzentralen von Vitalfunktionen wie das Atemzentrum. Eine durch Viren ausgelöste Dysfunktion könnte einen Atemstillstand begünstigen, auch ohne Lungenentzündung“, erläutert Prof. Peter Berlit, Generalsekretär der DGN.
Der neuroinvasive Potential der Viren könnte übrigens auch erklären, warum bei COVID-19-Erkrankungen neben den typischen Krankheitszeichen Fieber, Halsschmerzen und Husten auch neurologische Symptome wie der Verlust von Geruchs- und Geschmackssinn, Kopfschmerzen, Müdigkeit, Übelkeit, Erbrechen und Bewusstseinsstörungen auftreten.
Das neuroinvasive Potenzial der Erkrankung wurde bereits 2002/2003 beim SARS-CoV-Ausbruch beschrieben: Die Coronaviren fand man dabei nur in Gehirnzellen, nicht in den benachbarten Blut- oder Lymphbahnen, was für einen Infektionsweg über die Nervenzellen und nicht über Blut- oder Lymphgefäße spricht. Tierexperimentell konnte der neurale Infektionsweg bereits nachgewiesen werden, er verläuft von der Nasenschleimhaut über sogenannte freie Nervenendigungen bis zum Gehirn. Die Viren werden dabei von Neuron zu Neuron über die Synapsen weitergegeben (über den Transportweg der Endo-/Exozytose).
In dem aktuellen Review wurde darüber hinaus hervorgehoben, dass Tiere, die mit MERS-CoV („Middle East respiratory syndrome coronavirus“) infiziert waren, also einer anderen Untergruppe der Coronaviren, die 2012 entdeckt worden war, z.T. verstarben, ohne überhaupt Atemwegssymptome entwickelt zu haben; die Viren fanden sich bei diesen Tieren nur zerebral, nicht aber in der Lunge. Interessant ist, dass die Viren in die Neuronen anscheinend nicht über denselben Zelloberflächenrezeptor gelangen wie in Lungenzellen, da dieser Rezeptor im Gehirn kaum vorhanden ist. Auch in der aktuellen SARS-CoV2-Pandemie wird vielfach berichtet, dass Patienten schwer erkranken, sogar versterben, ohne zuvor respiratorische Symptome entwickelt zu haben. „Aus neurologischer Sicht ist es wichtig, abzuklären, wie groß die Rolle der Hirnstammbeteiligung bei COVID-19-Patienten tatsächlich ist, also wie viele der schweren Krankheitsverläufe auf das Konto des neuralen Pathomechanismus gehen. Wir hoffen, dass die großen internationalen COVID-19-Register zeitnah Daten dazu liefern “, betont Prof. Berlit.
Besonders wichtig seien die Registerdaten auch, um die tatsächliche Rate von schweren Covid-19-Verläufen generell beziffern zu können. Eine Studie zur Schätzung der Dunkelziffer wurde kürzlich in der Zeitschrift „Science“ publiziert [2]. Chinesische Wissenschaftler erstellten ein epidemiologisches Rechenmodell, in welches Beobachtungen über re-importierte SARS-CoV2-Infektionen unter anderem in Verbindung mit Mobilitätsdaten der Bevölkerung einbezogen wurden. Auf diese Weise wurde berechnet, dass bis zum 23. Januar 2020 (vor den Reisebeschränkungen) 86% aller Infektionen undokumentiert waren, möglicherweise auch, weil die Betroffenen keine oder nur milde Symptome hatten. „Eine solche Dunkelziffer würde erklären, wie sich das Virus in diesem Tempo um die ganze Welt ausbreiten konnte“, kommentiert Prof. Hans-Christoph Diener, Pressesprecher der DGN. „Sie gibt aber auch Hoffnung: Wenn diese Berechnungen stimmen, wären schwere Verläufe deutlich seltener als bislang angenommen.“
Literatur
[1] Li1 YC, Bai WZ, Hashikawa T. The neuroinvasive potential of SARS-CoV2 may play a role in the respiratory failure of COVID-19 patients. J Med Virol 2020 Feb 27. doi: 10.1002/jmv.25728. [Epub ahead of print]
[2] Li2 R, Pei S, Chen B et al. Substantial undocumented infection facilitates the rapid dissemination of novel coronavirus (SARS-CoV2). Science. 2020 Mar 16. pii: eabb3221. doi: 10.1126/science.abb3221 [Epub ahead of print]
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doi: 10.1002/jmv.25728
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