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Wissenschaft
Randale in den Innenstädten, attackierte Polizeikräfte: Stuttgart und Frankfurt sind nur zwei Beispiele für brutale Ausschreitungen, welche vermehrt von Medien präsentiert werden. Doch was steckt hinter den Gewalttaten? Eine Einschätzung von der Sozialwissenschaftlerin Prof.in Dr.in Yvette Völschow von der Universität Vechta.
Woher kommt mutmaßlich diese „neue Bereitschaft“ Gewalt gegen Polizeikräfte anzuwenden?
Der sogenannte „Widerstand gegen und tätliche Angriffe auf die Staatsgewalt“ hat nachweislich auch hierzulande in den vergangenen Jahren zugenommen. Das Phänomen an sich ist prinzipiell kein neues und betrifft immer häufiger auch Rettungskräfte und Bedienstete der öffentlichen Verwaltung. Amtsträger fungieren als Projektionsflächen für Frust jeglicher Art, und vor allem die Polizei wird dann als besonderes Symbol staatlicher Macht zum Feindbildrepräsentant. Dass sich die angesprochene Gewalt gegen Polizeibeamte aktuell zuspitzt, kann nur über ein Konglomerat verschiedener Einflüsse erklärt werden. Allein von „integrationsunwilligen jungen männlichen Migranten“ auszugehen, wie es z.T. in einigen medialen Berichterstattungen erfolgt, ist m.E. zu kurz gegriffen. Vielmehr ist anzunehmen, dass sich die Handlungen der Täter*innen – ähnlich wie es bereits in den Pariser Banlieues zu beobachten war – in Marginalisierungserfahrungen, einer zunehmenden Politikverdrossenheit sowie akut aufgeheizten Stimmungen im Zuge der Corona-Auflagen und auch der Black-Lives-Matter-Bewegungen begründen.
Gewalt gegen Polizeibeamte scheint für bestimmte Personengruppen „cool“ zu sein – kann diese Erscheinung wissenschaftlich erklärt werden?
Wie angedeutet ist hier von einer Mehrfaktorialität auszugehen. An den, mit Frustrationserlebnissen verbundenen und herausfordernden Lebenslagen der Täter*innen setzen diverse klassisch kriminologische Erklärungsansätze an. Hier seien beispielhaft die Konflikttheorie, die Desintegrationstheorie und die Frustrations-Aggressions-Theorie erwähnt. Bei dem erwähnten Ereignis in Frankfurt handelte es sich um eine sog. Corona-Party, die in eine Massenschlägerei mündete, gegen die die Polizei vorging. Sowohl der Konsum enthemmend wirkenden Alkohols zusammen mit der bereits aufgeheizten aggressiven Stimmung sowie gruppendynamische Prozesse, z.B. Anstachelungen, können hier als ursächlich gesehen werden. Mit Blick auf den jungen Täterkreis spielen zudem die Social-Media-unterstützten Dynamiken eine Rolle. Über hochgeladene Videos erzeugen die Täter*innen Aufmerksamkeit und ernten bei Gleichgesinnten Anerkennung. Darüber hinaus bieten die sozialen Medien Raum für die schnelle Verbreitung und Verstärkung von Stimmungen. Aktuell sind – u.a. auch durch die Ereignisse in den USA – Diskussionen um Polizeigewalt, Rassismus und Diskriminierung auch in Deutschland präsenter.
Nicht nur die tatsächliche Gewalt, sondern auch die positiven Reaktionen von Anwesenden auf die Gewalt macht derzeit beispielsweise der Polizei in Frankfurt Sorgen. Was wären Ihrer Meinung nach Möglichkeiten für die Einsatzkräfte solche negativen Begegnungen vorzubeugen?
Hier sind Übertragungs- und Nachahmungsdynamiken zu berücksichtigen. Diesen ist m.E. am ehesten vorzubeugen, wenn es Polizeibeamten gelingt, ihre in den vergangenen Jahrzehnten ausgebauten kommunikativen Fähigkeiten und ihre Deeskalationsorientierung – für die sie auch international stehen – weiterhin hochzuhalten. Hier haben nicht zuletzt ethische Implikationen eine hohe Bedeutung. Vor dem Hintergrund der verstärkten Diskussionen um Staatsgewalt und Freiheitseinschränkungen, Polizeigewalt und Racial Profiling, die auch mit Vertrauenseinbußen in der Bevölkerung einhergehen können, scheint es wichtig, dass das polizeiliche Handeln weiterhin nur punktuell und situationsangemessen und eben nicht generell einer Nulltoleranzstrategie folgt. Das ist eine besondere Herausforderung. Es gibt wenig Berufsgruppen, die derart gefordert sind sowohl deeskalierend-klärend als auch beherzt durchgreifend zu agieren. Die jeweilige Strategie ist dann oft ad hoc und trotzdem situationsangemessen reflektiert und fokussiert zu entscheiden. Nicht zuletzt scheint es günstig, dass die Polizei die genannten sensiblen Themen möglichst transparent und bevölkerungsnah bearbeitet – flankiert und gestützt durch eine entsprechende wissenschaftliche Auseinandersetzung.
Ihre Meinung: Inwieweit können wissenschaftliche Untersuchungen – beispielswiese zu „Racial Profiling“ oder zu Gewalt gegen Polizist*innen – helfen, die Situation zu beruhigen?
Wissenschaft hat die Aufgabe, Phänomene zu erklären. Und Erklärungen können beruhigend wirken. Sie müssen es aber nicht. Jede Frage, die Wissenschaft klärt, zieht mehrere neue, evtl. auch beunruhigende Fragen nach sich. Generell sind aus sozialwissenschaftlicher Perspektive mehrperspektivisch angelegte Studien zu unterschiedlichen Fragestellungen im Zusammenhang mit den aktuellen Entwicklungen zu begrüßen. Darunter könnten neben problemzentrierten auch ressourcenorientierte Fragestellungen sein. Ein Beispiel wäre zu eruieren, wie es Polizeibeamt*innen genau gelingen kann, einen Einsatz wie in Frankfurt, so zu verarbeiten, dass sie beim nächsten Einsatz wieder professionell offen und schwerpunktmäßig deeskalierend auf eine z.B. offensichtlich alkoholisierte und aggressive Person zugehen können.
Wenn eine Untersuchung Racial Profiling nachweist, wäre auch die Frage nach möglichen Gründen zu stellen; egal ob die Ursachen struktureller oder biografischer Natur sind. Wissenschaft ist dabei oft unbequem und sie ist trotz aller Distanz, spätestens wenn es um die Auswirkungen auf die Praxis geht, nicht wertfrei.
Prof.in Dr.in Yvette Völschow
Prof.in Dr.in Yvette Völschow ist seit 2008 Universitätsprofessorin für Sozial- und Erziehungswissenschaften an der Universität Vechta und leitet dort die Arbeitsstelle für Reflexive Person- und Organisationsentwicklung. Zuvor arbeitete sie an der Niedersächsischen Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege an der Fakultät Polizei. Unter anderem ist sie Mitglied der „European Society of Criminology“. Neben ihren aktuellen Forschungsprojekten wie „Zusammenarbeit initiieren und gestalten (BRIDGES - Brücken bauen)“ und „Toleranzförderung in strukturschwachen Kleinstädten Niedersachsens (TosKaN)“ führte Prof.in Völschow beispielsweise die „Kriminologische Regionalanalyse für den Landkreis Vechta“ durch sowie die Studie „Kollegiale Beratung und Supervision im Polizeidienst“.
Prof.in Dr.in Yvette Völschow
Universität Vechta
Criteria of this press release:
Journalists
Politics, Social studies
regional
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