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Die Global Sanctions Database (GSDB) gibt einen Überblick über die 729 bi-, multi- und plurilateralen Sanktionen, die von 1950 bis 2016 verhängt worden sind – und über ihre Auswirkungen. Dr. Erdal Yalcin, Professor für internationale Volkswirtschaft an der HTWG Hochschule Konstanz, gab den Anstoß für die derzeit umfangreichste Zusammenstellung, die allen Interessierten kostenlos zugänglich ist. Ein Ergebnis: Die Anzahl insbesondere von Wirtschaftssanktionen ist kontinuierlich gestiegen.
Der Stellenwert von Sanktionen ist in der internationalen Politik in den vergangenen Jahren gewachsen, bestätigt Dr. Erdal Yalcin, Professor für internationale Volkswirtschaft an der HTWG Hochschule Konstanz Technik, Wirtschaft und Gestaltung: „Sanktionen sind das Mittel der Wahl – stärker als nichts zu tun, schwächer als ein militärisches Eingreifen.“ Werden Sanktionen verhängt, ist damit das Ziel verbunden, dass die „bestrafte“ Regierung, Personen oder Organisationen einlenken und ihr Verhalten ändern. Doch welche Arten von Sanktionen gibt es? Welche Ziele sind damit verbunden? Und erreichen die jeweiligen Sanktionen die gewünschten Ziele? Um diese Fragen zu beantworten, hat ein internationales Forscherteam die derzeit umfangreichste und aktuellste Datenbank erstellt. Die Hauptessenz laut Initiator Prof. Yalcin: „Der Wirkungsgrad von Sanktionen kann in den betroffenen Ländern enorm sein, während gleichzeitig der Grad der Zielerreichung sehr, sehr niedrig ist.“
Mehr als 700 Sanktionen erfasst
729 Sanktionen sind in der Global Sanctions Database (GSDB) erfasst - alle, die zwischen 1950 bis 2016 verhängt worden und öffentlich nachweisbar sind. Doch die Datenbank ist weit mehr als eine Auflistung der bi-, multi- und plurilateralen Sanktionen. Sie erlaubt zudem Einblicke in die jeweiligen Handelsströme der beteiligten Länder und in deren Entwicklung nach dem Inkrafttreten der Sanktionen. Am Beispiel Iran werden so Auswirkungen nicht nur auf Nachbarländer wie Armenien, sondern zum Beispiel auch auf Sri Lanka oder Kenia sichtbar. Insgesamt 180 Länder waren bzw. sind an den Sanktionen gegen die islamische Republik beteiligt. „In einer ökonomisch vernetzten Welt müssen wir bei der Bewertung der Effekte von Sanktionen und ihrer Auswirkungen eine sehr differenzierte Betrachtung einnehmen“, betont Prof. Dr. Erdal Yalcin.
2014 hatte Dr. Erdal Yalcin, der zu dieser Zeit noch am Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München als Stellvertretender Leiter des Zentrums für Außenwirtschaft tätig war, aus Eigeninitiative mit der Zusammenstellung der Sanktionen und ihrer Auswirkungen begonnen. Als Unterstützer konnte er Gabriel Felbermayr gewinnen, damals ebenfalls noch am Ifo-Institut tätig und heute Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW). Yalcin konnte auch Prof. Yoto V. Yotov von der Drexel University Philadelphia für die Idee begeistern, der wiederum seinen Forschungspartner Prof. Constantinos Syropoulos von der Drexel University dazu holte.
Empirische Handelsmodelle erlauben Voraussagen
Als Grundlage diente die Zusammenstellung von Sanktionen von Gary Hufbauer. Yalcin nahm mit Hufbauer Kontakt auf, übernahm die Zusammenstellung und erweiterte sie – sowohl um betrachtete Jahre als auch um Daten rund um die einzelnen Sanktionen. Den besonderen Fokus setzten die Forscher auf Wirtschaftssanktionen. Deren Auswirkungen haben sie auf der Basis von Handelsmodellen untersucht, insbesondere dem Gravitationsmodell. Mit Prof. Yoto V. Yotov ist ein Wissenschaftler beim Sanktionsdatenbank-Projekt beteiligt, der in diesem Bereich zu den führenden Forschern weltweit zählt. Das Modell übernimmt Ideen aus der Physik zur Gravitation und überträgt sie auf die Handelsbeziehungen von Ländern. Wie die Anziehung zwischen zwei Planeten von ihrer Masse und Entfernung zueinander bestimmt werde, nähmen auch die wirtschaftliche Größe und Entfernung zwischen zwei Volkswirtschaften Einfluss auf die Handelsbeziehungen zueinander. „Dank dieses auf einem theoretischen Modell basierenden Ansatzes lassen sich im Gegensatz zu reinen empirischen Ad-Hoc-Analysen Voraussagen für unterschiedliche Politiken treffen“, erläutert Prof. Yalcin.
Vor allem zu den ökonomischen Kosten von Sanktionen, denn diese haben viele Beteiligte zu tragen: Die adressierten Staaten, aber auch die Sanktionen verhängenden Staaten und oft auch Unternehmen in Drittländern (deren Ländern nicht an den Sanktionspolitiken beteiligt sind). Die neue Sanktions-Datenbank liefert bereits mit einfachen deskriptiven Statistiken neue Erkenntnisse. So ist z.B. die Richtung der auferlegten Sanktion auf Handelsströme von besonderer Bedeutung: Betreffen sie den Export des sanktionierten Landes, den Import in das Land oder sind nur einzelne Sektoren bzw. Güter betroffen? Die Datenbank erlaubt eine detaillierte bilaterale Analyse von allen Ländern der Welt: Hat nur ein Land Sanktionen erlassen oder eine Ländergruppe?
Geflecht von weltweiten Sanktionen
In Dendrogrammen ist ersichtlich, wie sich ein Netz von Sanktionen von und gegen unterschiedliche Regionen über die Weltwirtschaft legt. Überwogen beispielsweise 1950 noch von Nordwesteuropa verhängte Sanktionen gegen Ostasien und Ost- bzw. Südeuropa, ist das Geflecht von „strafenden“ und „bestraften“ Regionen 2015 weit differenzierter. Bei Ländern wie dem Iran kann die Datengrundlage enorm komplex sein: Hier variierten über die Jahre die an Sanktionen beteiligten Länder, die Sanktionsarten wie auch die Dauer der verschiedenen Sanktionen.
Wie wirksam sind Sanktionen?
Für die Antwort auf die treibende Frage haben die Forscher auf zwei Wegen Daten erhoben: Zum einen haben sie offizielle Regierungsdokumente gesichtet. Zum anderen haben sie auch Pressestatements ausgewertet. Darauf aufbauend haben sie beispielsweise die ökonomischen Auswirkungen von Sanktionen mit Hilfe des Gravitationsmodells errechnet. „Es wird ersichtlich, wie eine starke Wirtschaftsmacht die Welt politisch mitgestalten kann“, sagt Yalcin. Im Falle Irans beispielsweise kann gezeigt werden, dass die von den USA angeschobenen Sanktionen das Wirtschaftswachstum (pro Kopf-Einkommen) in dem Land um über 4% reduziert.
Eine Entwicklung, die die Wirksamkeit stärken und die negativen Konsequenzen für die Zivilbevölkerung mindern könnte, ist der vermehrte Einsatz sogenannter „smarter Sanktionen“. Diese Sanktionsarten sind feingliedriger. Indem sie sich zum Beispiel mit Reiseverboten oder Einfrieren des Vermögens gegen Personen bzw. Personengruppen richten, sind sie weniger umfassend und schwächen nicht die gesamte Nationalökonomie eines betroffenen Staates.
Daten kostenlos zugänglich
Ein Fachartikel der Wissenschaftler wird 2020/21 in einer Sonderausgabe der international anerkannten „European Economic Review“ (https://www.sciencedirect.com/journal/european-economic-review) zum Thema Sanktionen erscheinen.
Die Datenbank bietet einen Fundus an Forschungsdaten. Sie steht Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Beratungsunternehmen, Politikerinnen und Politikern, Journalistinnen und Journalisten und allen Interessierten kostenlos zur Verfügung. Auch den Studierenden der HTWG. „Es gibt viele pragmatische Fragestellungen, für die unsere Studierenden mit der Datenbank arbeiten können“, stellt Prof. Yalcin in Aussicht. „Was bedeuten welche Sanktionen für Unternehmen in der Region? Welche Implikationen hatten zum Beispiel die Sanktionen gegen Russland?“, zählt er mögliche Themen auf.
Das Projekt geht weiter
Die Datenbank ist nicht abgeschlossen. „Wir arbeiten bereits an der nächsten Tranche mit weiteren 300 identifizierten Sanktionen ab 2016“, kündigt Yalcin an. Dann umfasst die Datenbank mehr als 1000 Sanktionen. „Das zeigt, dass wir dabei sind, mehr Konflikte zu generieren als Märkte zu liberalisieren“, gibt Erdal Yalcin zu bedenken mit dem Hinweis: „Weltweit bestehen rund 800 Freihandelsabkommen.“
Weitere Informationen zur Datenbank:
https://www.globalsanctionsdatabase.com/
https://www.researchgate.net/publication/342551068_The_Global_Sanctions_Data_Bas...
Ergänzende Informationen
Populistische Äußerungen gegenüber Erdal Yalcin gaben den Auslöser
In einem Interview 2014 https://www.deutschlandfunk.de/sanktionen-gegen-russland-politikwechsel-unwahrsc... anlässlich des Absturzes des Passagierflugzeugs MH17 der Malaysia Airline über der Ukraine formulierte Dr. Erdal Yalcin nicht nur seine Erwartung, dass Wirtschaftssanktionen gegen Russland nicht den erwünschten Erfolg nach sich ziehen werden, sondern debattierte allgemein die langfristigen Erfolgschancen von Strafmaßnahmen. „Die Reaktionen auf die Aussagen waren heftig“, erinnert sich Erdal Yalcin, der zu dieser Zeit noch am Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München als Stellvertretender Leiter des Zentrums für Außenwirtschaft tätig war. Die zahlreichen Anfeindungen gegen seine kritische Haltung waren Auslöser für den Entschluss, eine aktuelle, umfangreiche Datenbank zu Sanktionen weltweit aufzubauen.
Sanktionsarten:
Es gibt verschiedene Arten von Sanktionen: Am häufigsten werden Wirtschaftssanktionen verhängt, d.h. der Export bzw. Import bestimmter Güter aus dem bzw. in das sanktionierte Land werden untersagt. Dazu zählt zum Beispiel ein Waffenembargo. Weitere Arten von Sanktionen, die gezielt Personen oder Personengruppen betreffen, sind Vermögenseinfrierungen und Einreiseverbote.
Auslöser von Sanktionen:
Dazu zählen: Verstoß gegen das Völkerrecht, Verstoß gegen internationale Verträge, Menschenrechtsverletzungen, Mitwirkung an terroristischen Aktivitäten
Ziele von Sanktionen:
Das Projektteam um Prof. Yalcin hat acht wesentliche Ziele von Sanktionen ausgemacht: Politikwechsel, Regimedestabilisierung, Demokratieförderung, Durchsetzung von Menschenrechten, Einstellung von Territorialkonflikten, Kriegsprävention, Unterbinden von Terrorismus, Beendigung eines Krieges.
Prof. Dr. Erdal Yalcin
Tel: 0049-7531/206-442;
E-Mail: erdal.yalcin@htwg-konstanz.de
https://www.globalsanctionsdatabase.com/
https://www.researchgate.net/publication/342551068_The_Global_Sanctions_Data_Bas...
Criteria of this press release:
Business and commerce, Journalists, Scientists and scholars, Students, all interested persons
Economics / business administration, Politics
transregional, national
Research projects, Transfer of Science or Research
German
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