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Wissenschaft
Dezentrales Denkmal für den Rechtsgelehrten Eduard Rosenthal in Jena eingeweiht
Kein Sockel mit Statue, dafür unauffällige Bohrlöcher in drei markanten Gebäuden, keine feierliche Denkmalsenthüllung, dafür laufen die – Corona-bedingt zahlenmäßig limitierten – Gäste nach kurzer Eröffnung in der Universitätsaula auf den Spuren Eduard Rosenthals in kleinen Gruppen durch Jena. Sie erleben mit den Künstlern Horst Hoheisel und Andreas Knitz Lärm und Staub bei der „Erkundungsbohrung“ durch die Fassade des Universitätshauptgebäudes und erkunden, von Schauspielerinnen und Schauspielern geführt, das bis in die Gegenwart reichende Vermächtnis des deutsch-jüdischen Gelehrten.
Kunst übergibt an die Zivilgesellschaft
Mit der heutigen Einweihung der Jenaer Standorte ihres dezentralen Denkmals reichen Horst Hoheisel und Andreas Knitz den Stafettenstab zur aktiven Suche nach Eduard Rosenthal an die Zivilgesellschaft weiter. Begonnen hatte diese Suche mit der Einladung zum Wettbewerb um den 2018 in Zusammenarbeit mit der Universität Jena ausgeschriebenen Botho-Graef-Kunstpreis der Stadt unter dem Titel „Das verschwundene Bildnis“. Kuratorin Verena Krieger, seit 2011 Inhaberin des Lehrstuhls für Kunstgeschichte der Jenaer Universität, hatte gemeinsam mit Studierenden das Konzept eines dezentralen Denkmals entwickelt, das wie ein Erinnerungsnetzwerk die Wirkungsorte Eduard Rosenthals (1853-1926) verbinden soll. Seine Aufgabe ist, an den Vater der ersten demokratischen Verfassung Thüringens, zweimaligen Rektor der Alma Mater Jenensis und verdienstvollen Bürger Jenas zu erinnern. Zugleich soll das Denkmal die Leerstelle seines aus der über 300 Gelehrtenporträts umfassenden Sammlung der Universität Jena verschwundenen Bildnisses thematisieren. Das nach Rosenthals Tod geschaffene Porträt war von den Nationalsozialisten nach der Machtübernahme wegen der jüdischen Herkunft des Gelehrten und seiner demokratischen Gesinnung entfernt worden und ist seit 1944 verschollen. Mit dem Bild verschwand für viele Jahrzehnte die Erinnerung an Eduard Rosenthal, dessen Verdienste für Jena denen seines Weggefährten Ernst Abbe nicht nachstehen.
Von Beginn an ist die Entstehung des Denkmals durch Transparenz und Teilhabe der Zivilgesellschaft geprägt. Der gesamte Prozess wurde sowohl in einem Katalog als auch digital umfassend dokumentiert und für eine nachhaltige Vermittlung vorbereitet. Die neun zum Wettbewerb eingeladenen Künstlerinnen und Künstler sowie Jury-Vorsitzender Jochen Gerz stellten ihre Arbeit und Denkmalpositionen in öffentlichen Podiumsdiskussionen vor, alle Wettbewerbsbeiträge wurden Ende 2018/Anfang 2019 im Jenaer Kunstverein ausgestellt. Die hochkarätig besetzte Jury entschied sich für den Entwurf „Erkundungsbohrungen“ von Horst Hoheisel und Andreas Knitz. In der Begründung heißt es, die Künstler finden ein „starkes Bild für die notwendige Suche nach dem ins Vergessen gedrängten Eduard Rosenthal und seine gleichzeitige Neuentdeckung.“ Die Idee, in die Fassaden bedeutender Gebäude in Jena, Weimar und Erfurt Löcher zu bohren, sie so zu verletzen, symbolisiert den durch Rosenthals Tilgung aus dem Gedächtnis entstandenen Verlust. Zugleich erkundet der Blick durch die Bohrung das mit dem jeweiligen Gebäude verbundene Wirken des Gelehrten.
Debatte um die Funktion von Denkmalen
Mit der heutigen Einweihung von drei „Erkundungsbohrungen“ in Jena leistet die Stadt einen markanten Beitrag zur aktuell leidenschaftlich geführten Debatte um die Funktion von Denkmalen. Eduard Rosenthals Bildnis bleibt verschollen, die Geschichte seiner beabsichtigen Auslöschung präsent, ein Bild seiner Persönlichkeit, ein Denkmal seiner Verdienste aber kann beim Blick durch ein Loch in ein Gebäude entstehen, das Lebens- oder Wirkungsort Rosenthals war. In Jena sind das die 1890 erbaute Familienvilla, das Universitätshauptgebäude und das Volkshaus.
Verschlossen wird jedes Bohrloch durch zwei mit Inschriften versehene Glasscheiben jeweils an den Enden einer in der Bohrung verankerten Messingkapsel, die an ein Fernglas erinnert. An allen Standorten stehen auf der vorderen Scheibe die Worte: „Demokrat – Menschenfreund – Verfassungsvater – Deutscher Jude – vergessen gemacht“ sowie Hinweise auf Rosenthals Wirken in Bezug zum jeweiligen Gebäude. Die hintere Glasscheibe enthält ein Zitat von oder zu Rosenthal, ebenfalls auf den betreffenden Standort bezogen. Im Universitätshauptgebäude ist zum Beispiel aus der Begründung des Senats zur Berufung Rosenthals zum ordentlichen Professor 1895 der Satz zu lesen: „Über den Kreis der Universität hinaus hat sich Rosenthal als bewährter Charakter vollstes Vertrauen erworben. Seinen Eintritt in die Fakultät und in den Senat begrüßen wir mit Freuden.“ Dem steht ein Zitat vom Universitätsrektor Karl Astel von 1944 gegenüber, der verfügte, das Bildnis Rosenthals ins Depot zu geben: „Rosenthals Bildnis wird abgehängt und aufbewahrt als Dokument dafür, dass die Universität »sich jüdische Rektoren hat gefallen lassen.«“.
Weitere Informationen
Die Künstler des dezentralen Denkmals „Erkundungsbohrungen“
Horst Hoheisel und Andreas Knitz gehören zu den wichtigen Wegbereitern einer kritischen Erinnerungskultur in Deutschland. So rekonstruierte Horst Hoheisel 1987 auf der documenta 8 vor dem Kasseler Rathaus den von den Nationalsozialisten zerstörten „Aschrottbrunnen“ als in den Boden ragende Negativ-Form. Seit 1994 arbeiten sie als Künstler-Duo. In Thüringen haben sie zwischen 1997 und 2002 im Hof des Thüringer Staatsarchivs Weimar das Denkmal „Zermahlene Geschichte“ realisiert und 1995 das „Denkmal an ein Denkmal“ auf dem Appellplatz des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald geschaffen. Neben der Realisierung des Rosenthal-Denkmals arbeitete das Duo Hoheisel und Knitz an Projekten in Kolumbien und Chile.
Horst Hoheisel, geboren 1944 in Posen, studierte Forstwirtschaft und wurde an der Universität Göttingen promoviert. Parallel dazu studierte er Kunst in München und Kassel und wechselte 1980 ganz zur Kunst. Werke von Horst Hoheisel sind in zahlreichen renommierten Sammlungen vertreten, darunter im MoMA New York und im Jüdischen Museum in Berlin.
Andreas Knitz, geboren 1963 in Ravensburg, studierte in Kassel Architektur und ist neben seiner Tätigkeit als Architekt seit 1994 mit Horst Hoheisel künstlerisch tätig.
Gedanken zur Einweihung am 24.09.2020
Prof. Dr. Walter Rosenthal, Präsident der Friedrich-Schiller-Universität Jena:
Was wir in der selbstkritischen Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit erreichen möchten, sind Wahrheit und Gerechtigkeit. Sie gehören zu den Kernaufgaben freier und verantwortungsbewusster Wissenschaft und sind das Lebenselixier demokratischer Kultur. Die aktuelle Konjunktur von Verschwörungstheorien und antidemokratischen Einstellungen unterstreicht, wie wichtig es ist, dass wir demokratische Kultur und aufgeklärte Vernunft immer wieder beleben und verteidigen.
Dr. Thomas Nitzsche, Oberbürgermeister der Stadt Jena:
Um Eduard Rosenthal als Rechtswissenschaftler, Politiker, kunstbegeisterten und wirtschaftlich wie sozial engagierten jüdischen Bürger Jenas und Thüringens zu Beginn des 21. Jahrhunderts angemessen zu würdigen, bedurfte es eines besonderen Engagements. Mit der fünften Realisierung des Botho-Graef-Kunstpreises gibt es nun die einmalige Chance, ein dezentrales Denkmal für das herausragende Wirken Eduard Rosenthals zu schaffen. Darauf können wir als Stadt mit überregionaler Strahlkraft und unseren vielfältigen Kooperationen sehr stolz sein.
Horst Hoheisel, Preisträger Botho-Graef-Kunstpreis der Stadt Jena 2018:
Unsere Erkundungsbohrungen an den Wirkungsstätten von Eduard Rosenthal haben uns zwar nicht zu seinem verschwundenen Bildnis geführt, doch wir haben noch immer das Gefühl, dass dieses Bild als zusammengerollte Leinwand vielleicht irgendwo in einer vergessenen Ecke der Universität versteckt ist.
Aufgerollt hat sich uns aber dennoch ein intensives Bild von Eduard Rosenthal, seinem so reichen Wirken in Jena, nicht nur als Vater der Verfassung Thüringens, Rektor, Lehrer und Demokrat, sondern auch als ein kunstsinniger Mensch. Ein Menschenfreund. So steht es in unserem Denkmal.
Da gab es noch einen anderen bedeutenden aber von den Nationalsozialisten nicht vergessen gemachten Wissenschaftler, der uns während unserer Arbeit in Jena nicht nur als Porträt in der Universität, sondern auch als Straßen- und Platzname und in einer großen Ausstellung immer wieder begegnete: Ernst Haeckel.
„Black lives matter“ ist gerade eine weltweite Bewegung gegen Rassismus. Ernst Haeckel hat den Stammbaum der Rassen erfunden und ihre Hierarchie mit den Ariern als überlegene Rasse etabliert. Er war ein Vordenker der Eugenik, die in die „Euthanasie“ führte. Die Nationalsozialisten haben Ernst Haeckel gefeiert und die Erinnerung an ihn gepflegt. Eduard Rosenthal haben sie vergessen gemacht und sein Bild aus der Reihe der Rektoren entfernt. Es wird Zeit, das Bild von Ernst Haeckel nicht abzuhängen, aber tiefer zu hängen und ihn einzuordnen als einen der Begründer der Rassenideologie, die von Jena ausging. Die „Jenaer Erklärung“ ist ein Anfang.
In der gerade für dreieinhalb Millionen Euro restaurierte Villa Medusa, sollte auch diese Seite des Ernst Haeckel dargestellt werden. War er auch ein Menschenfreund wie Eduard Rosenthal? Dieser war nicht nur sein Kollege, sondern auch ein Freund. Alles nicht einfach!
Andreas Knitz, Preisträger Botho-Graef-Kunstpreis der Stadt Jena 2018:
Die Strategie der Spurensuche ist die optische Sichtbarmachung der von uns in wahrstem Sinne des Wortes umgedrehten Steine. Der Verlust, die Lücke, wird durch die Bohrungen in die Gebäude, in denen Eduard Rosenthal gewirkt hat, eingeschrieben. Die Gebäude werden beteiligt und sind nicht nur stumme Hüllen. So tragen die Gebäude zukünftig einen wichtigen Hinweis auf sein Handeln, auf seine Beiträge für die Stadt Jena, die Universität, die Firmen Zeiss und Schott sowie für das Land Thüringen.
Die Fehlstellen werden mit Hinweisen gefüllt.
Das Fehlen wird sichtbar gemacht.
Die Lücke wird formuliert.
Die Wirkung Eduard Rosenthals wird eingeschrieben.
Die Wirkung der Lücke – als Motivation für weitere Spurensuchen.
Prof. Dr. Verena Krieger, Professorin für Kunstgeschichte der Universität Jena und Kuratorin des Botho-Graef-Kunstpreises 2018:
Das dezentrale Denkmal für Eduard Rosenthal ist – auf den ersten Blick – klein und unscheinbar. Doch darin liegt seine besondere Kraft. Denn Denkmäler sind immer in der Gefahr, „unsichtbar“ zu werden. Man gewöhnt sich an sie, das Auge gleitet an ihnen ab, ihr Sinn geht verloren. Ein Denkmal den Blicken zu entziehen, ist daher eine Strategie, seine Wahrnehmung frisch zu halten. Als Störung im Gewohnten können die „Erkundungsbohrungen“ Neugier wecken und zum forschenden Blick anregen. Erst in der Aktivität seiner Besucherinnen und Besucher vollendet sich das Denkmal. In diesem Sinne ist es auch ein Denkmal für die Demokratie – denn es bevormundet nicht, sondern stößt an, ermutigt zum selbstständigen Weiterfragen.
Jonas Zipf, Werkleiter JenaKultur:
Mit der Umsetzung des Siegerentwurfs des aktuellen Botho-Graef-Kunst-Preises der Stadt Jena durch die Künstler Horst Hoheisel und Andreas Knitz finden Stadt und Universität Jena endlich einen adäquaten Umgang mit einem ihrer maßgeblichen Gestalter und wichtigsten Söhne, Eduard Rosenthal. Indem die beiden Künstler mit ihren Bohrungen an fünf Wirkungsorten Rosenthals die schmerzliche Leerstelle im kollektiven Gedächtnis aufzeigen, thematisieren sie gleichzeitig den perfiden Versuch der National-Sozialisten, den Teilhabe-Ingenieur, Rektor und Vater der Thüringer Verfassung historisch vergessen zu machen sowie die Gefahr, dass ähnliche Umtriebe sich im hier und heute wiederholen könnten.
Prof. Dr. Verena Krieger
Professorin für Kunstgeschichte der Universität Jena und Kuratorin des Botho-Graef-Kunstpreises 2018
Tel.: 03641 944160
E-Mail: verena.krieger[at]uni-jena.de
https://www.kuk.uni-jena.de/seminar+f%C3%BCr+kunstgeschichte+und+filmwissenschaf... - Rede der Kuratorin Prof. Dr. Verena Krieger
Die Künstler Horst Hoheisel (r.) mit dem Bohrkern und Andreas Knitz mit der Kupferhülse mit den besc ...
(Foto: Jens Meyer/Uni Jena)
Die Hülse mit den Glastafeln, die im Mittelpunkt des Denkmals am Jenaer Universitätshauptgebäude ste ...
(Foto: Jens Meyer/Uni Jena)
Criteria of this press release:
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