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Wissenschaft
In der Tierwelt tragen viele Männchen auffällige Merkmale, die zwar unpraktisch, aber von Vorteil bei der Partnersuche sind. Wissenschaftler haben jetzt bei einer Fischart die genetischen Grundlagen entschlüsselt.
Die Schwanzfedern des Pfaus, das gewaltige Horn männlicher Einhornkäfer, das ausladende Geweih mancher Hirsche: In der Natur finden sich zahlreiche Beispiele für Merkmale, die auf den ersten Blick ihren Besitzern nur Nachteile bringen dürften. Mit einem bunten Federkleid ist es schließlich schwieriger, sich vor dem Feind zu verstecken, und ein großes Geweih macht die Flucht im Wald nicht einfacher. In der Regel sind es männliche Exemplare, die solche Merkmale tragen.
Die Evolution männlicher Pracht fasziniert deshalb Biologen schon seit Langem. Selbst Charles Darwin hat sich mit der Frage beschäftigt, wie solch übertriebene, Energie verschlingende und prinzipiell schädliche Strukturen durch natürliche Selektion entstanden sein könnten. Am Beispiel des Schwertträger-Fisches (Xiphophorus hellerii) hat er seine Theorie der sexuellen Selektion erläutert. Darwins Grundgedanke dabei: Wenn Weibchen die Träger besonders ausgeprägter Merkmale bei der Fortpflanzung bevorzugen, können sich im Laufe der Evolution auch Merkmale durchsetzen, die sonst eher schädlich für ihre Besitzer sein müssten.
Publikation in Current Biology
Bei der Suche nach den genetischen Grundlagen dieses evolutionären Modells bei Xiphphorus waren Wissenschaftler aus Würzburg, Konstanz und den USA jetzt erfolgreich. Unter all den Genen, die dafür in Frage kommen, haben sie einige identifiziert, die bei dieser Fischart für die Ausbildung des entsprechenden Merkmals verantwortlich sind. Ihre Befunde deuten darüber hinaus darauf hin, dass beim Schwertträger ein Gen, das eigentlich im Gehirn für neuronale Prozesse von Bedeutung ist, im Laufe der Evolution eine zusätzliche neuartige Funktion übernommen hat.
Die Ergebnisse ihrer Studie haben die Forscher jetzt in der Fachzeitschrift Current Biology veröffentlicht. Erstautor ist Manfred Schartl, Seniorprofessor am Lehrstuhl für Entwicklungsbiochemie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU). Mitinitiator ist der Konstanzer Evolutionsbiologe Axel Meyer, mit dem die Würzburger Forscher seit vielen Jahren an der Erforschung dieses Phänomens zusammenarbeiten. Seit über zwei Jahrzehnten haben beide Labore an den Universitäten Würzburg und Konstanz gemeinsam nach der genetischen Basis des Schwertes geforscht. Die aktuelle Studie hat die Wissenschaftler nun einen großen Schritt dem Ziel näher gebracht zu verstehen, auf welcher genetischen Grundlage die verlängerte Schwanzflosse der Schwertträger beruht.
„Bei mehreren Arten der Gattung Xiphophorus tragen die Männchen ein sogenanntes ‚Schwert‘, eine auffällige Verlängerung der Unterseite der Schwanzflosse, die gelb, orange oder rot gefärbt und von einem dunklen schwarzen Rand umgeben ist“, erklärt Manfred Schartl. Das Schwert entwickelt sich in der Pubertät und kann bei einigen Arten so lang sein wie der Fisch selbst. Das sollte eigentlich von Nachteil sein, weil der auffällige Körperschmuck zum einen Raubtiere anzieht und zum anderen die Flucht erschwert, da er die Schwimmleistung reduziert. Dem gegenüber steht allerdings der Vorteil, dass Weibchen von Xiphophorus hellerii sowie mehrerer verwandter Arten sich bevorzugt mit Männchen paaren, die ein langes Schwert tragen – Männchen mit kürzeren Schwertern ziehen in diesem Wettbewerb sprichwörtlich den Kürzeren.
Schrittweise Dezimierung der Verdächtigen
Die genetischen Grundlagen dieser Verlängerung der Schwanzflosse bei Xiphophorus waren bislang unbekannt. Das Wissen darüber sei jedoch notwendig, um Hypothesen über die Rolle der sexuellen Selektion auf molekulargenetischer Ebene prüfen zu können, so die Forscher der jetzt veröffentlichten Studie.
Bei der Suche nach den verantwortlichen Genen arbeiteten sich die Wissenschaftler schrittweise voran. Am Anfang stand die Suche nach allen Genen, die spezifisch im Schwertfortsatz der Schwanzflosse aktiv sind, nicht aber in den Flossenregionen, die kein Schwert ausbilden. „Dieser Prozess ergab einen Satz von 329 differentiell exprimierten Genen in allen Schwerttranskriptomen“, beschreibt Schartl das Ergebnis. Als Transkriptom bezeichnet man die Gesamtheit der Gene, die zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer Zelle transkribierten werden, sprich: aktiv sind.
Die Überlegung, dass Gene, die für die Schwertbildung verantwortlich sind, nur bei Männchen exprimiert werden, sorgte im nächsten Schritt für eine deutliche Reduktion der Verdächtigen. Die Wissenschaftler erstellten dafür Transkriptome von Zellen aus bestimmten Bereichen der Schwanzflossen bei männlichen wie bei weiblichen Exemplaren. Zeigten sich bei den Weibchen mit Männchen vergleichbare Aktivitäten, war klar: Diese Gene gehören nicht zu den gesuchten Kandidaten. Nach diesem Prozess blieben noch 255 der ursprünglich 329 Gene übrig.
„Interessanterweise ergab sich bei diesem Vergleich, dass ein räumliches Muster von fünf Transkriptionsfaktoren – Zic1, Hoxb13a, Six2a, Tbx3a und Pax9 – dafür zuständig ist, in der Schwanzflosse die Vorbedingungen zu organisieren, damit sich ein Schwert entwickeln kann, und dass dieses Muster auch bei weiblichen Tieren vorhanden ist“, so Schartl.
Rückkreuzungen liefern wichtige Informationen
Eine genetische Kartierung sollte im Anschluss daran die immer noch hohe Zahl von 255 Kandidatengenen weiter reduzieren. Dazu wurden Schwertträgermännchen mit Weibchen einer verwandten Art gekreuzt, deren Männchen im Laufe der Evolution das Schwert wieder verloren hatten. Die männlichen Nachkommen aus dieser Verbindung haben aufgrund der Durchmischung der Genome je nach ihrer zufälligen Genausstattung unterschiedlich lange Schwerter. Die Sequenzierung mittels spezieller Hochdurchsatztechniken ermöglichte dann eine Korrelation bestimmter Chromosomenabschnitte mit der Schwertbildung.
Das Gen mit dem wissenschaftlichen Namen kcnh8 erwies sich als entscheidend für die Entwicklung des männlichen Merkmals. „Dieses Gen kodiert für einen Kaliumkanal – einer Gruppe von Kanälen, die insbesondere für die Reizweiterleitung und die Verarbeitung von Reizen im Nervensystems eine wichtige Rolle spielen“, sagt Schartl. Die nun vorgelegten Befunde deuten darauf hin, dass ein neuronales Gen während der Evolution des männlichen Schwerts vor etwa drei bis fünf Millionen Jahren rekrutiert wurde, also früh während der Diversifizierung der Schwertträgerfische. Die neue Funktion sei nicht auf Veränderungen innerhalb des Gens zurückzuführen, sondern auf Veränderungen in seiner Genregulation.
Tatsächlich zeigen Experimente, dass kcnh8 im Schwert während der normalen Entwicklung und nach der Behandlung mit männlichen Hormonen in der Region, in der das Schwert organisiert wird, stark hochreguliert ist. In fast allen anderen Flossenbereichen der Männchen und in weiblichen Schwanzflossen wird es hingegen nur schwach exprimiert. Darüber hinaus zeigen weitere Studien einen direkten Zusammenhang zwischen Stärke der Genexpression von kcnh8 und Länge der Schwerter.
Unterstützung von Botanikern der JMU
Unterstützung bei der Forschung an den Kaliumkanälen erhielten Schartl und Meyer von überraschender Seite: Botanikern der JMU. Rainer Hedrich, Inhaber des Lehrstuhls für Molekulare Pflanzenphysiologie und Biophysik, sowie dessen Kollege, Professor Dietmar Geiger, forschen seit Langem an Kaliumkanälen. Die Technik, die sie dabei verwenden – die speziellen Methoden des Patch-Clamp-Verfahrens –, konnten sie mühelos von der Pflanze auf den Fisch übertragen.
Kaliumkanäle transportieren elektrische geladene Teilchen und bewirken damit Veränderungen des Membranpotenzials in Zellen und in Geweben. Nach Ansicht der Wissenschaftler erzeugen sie auf diese Weise bei den Schwerträger-Fischen gewebeweite bioelektrische Gradienten, die Veränderungen in der großräumigen Strukturierung beeinflussen. Ähnliche Phänomene wurden auch schon bei der Proliferation von Krebszellen beobachtet und führten zu Hypothesen über die Bedeutung von Ionengradienten für die Wachstumskontrolle. Die Rolle von Kcnh8 bei der Entwicklung des ventralen Schwanzflossenauswuchses bei männlichen Schwertträgern stehe in guter Übereinstimmung mit diesen Modellen.
Prof. Dr. Manfred Schartl, T: +49 931 31-84149, phch1@biozentrum.uni-wuerzburg.de
The Developmental and Genetic Architecture of the Sexually Selected Male Ornament of Swordtails. Manfred Schartl, Susanne Kneitz, Jenny Ormanns, Cornelia Schmidt, Jennifer L. Anderson, Angel Amores, Julian Catchen, Catherine Wilson, Dietmar Geiger, Kang Du, Mateo Garcia-Olazábal, Sudha Sudaram, Christoph Winkler, Rainer Hedrich, Wesley C. Warren, Ronald Walter, Axel Meyer, John H.Postlethwait. Current Biology, available online 3 December 2020. https://doi.org/10.1016/j.cub.2020.11.028
Je länger das Schwert des Männchens (unten), desto größer sind die Chancen seines Trägers, dass sich ...
Georg Schneider / Uni Würzburg
Criteria of this press release:
Journalists, Scientists and scholars
Biology
transregional, national
Research results
German
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