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Wissenschaft
Die SRH Hochschule in Nordrhein-Westfalen erforscht momentan intensiv die Auswirkungen der Corona-Maßnahmen. Prof. Dr. Sabrina Krauss hat bereits in diversen Fachkolloquien über aktuelle Themen hierzu, wie beispielsweise „Kreative Langeweile“ oder „Corona und die guten Seiten des sozialen Fastens“, berichtet und war zu diesen und weiteren Themen auch zu Gast in unterschiedlichen Radio und Fernsehsendungen.
„Die Resonanz unserer bisherigen Arbeiten zu den psychologischen Aspekten bei den Corona-Maßnahmen zeigt, dass hier weiterer Forschungsbedarf besteht. Ohne genaue Kenntnis des menschlichen Verhaltens können viele der derzeit beobachtbaren Vorkommnisse nicht hinreichend erklärt werden.“ sagt Professor Dr. Lars Meierling, Rektor der SRH Hochschule in Nordrhein-Westfalen.
Es sei wichtig, neben den Maßnahmen zum Erhalt der physischen Gesundheit auch die Erfordernisse zum Erhalt der psychischen Gesundheit heraus zu stellen, so Krauss. Zusätzlich zu den 2 Knotenpunkten (physische und psychische Gesundheit) sei noch ein dritter Punkt, nämlich die Auswirkungen psychologischer Effekte auf die Einhaltung der Maßnahmen zu beachten.
„Ein Aspekt, der momentan noch zu wenig Beachtung findet, ist der der psychologischen Wirkmechanismen, welche das menschliche Verhalten in der jetzigen Situation stark mitbeeinflussen können.“ sagt Prof. Krauss.
Zusammenfassend heißt das: Um das gesellschaftliche Gesamtgeschehen in Gänze verstehen und erklären zu können, müssen nicht nur die Voraussetzungen zum Schutze der physischen und psychischen Gesundheit gegeben sein, sondern es muss auch die Wahrscheinlichkeit der richtigen Umsetzung oder Einhaltung dieser Schutzmaßnahmen betrachtet werden. An dieser Stelle des skizzierten Dreiklangs setzen die aktuellen Forschungsabsichten an. Im Folgenden soll ein kurzer Einblick in die zu beachtenden Faktoren dargelegt werden:
Ab Mittwoch wird es zum zweiten Lockdown in Deutschland kommen. Bereits im März und April dieses Jahres kam es zu Kontaktbeschränkungen und Schließungen von Kultur- und Einkaufsmöglichkeiten konfrontiert. Schon die verabschiedeten Schutzmaßnahmen der ersten Stunde überzeugten nicht alle Menschen von der Notwendigkeit der angeordneten Einschränkungen. So empfanden viele die Maßnahmen als unverhältnismäßig und fühlten unter anderem ihren eigenen Handlungsspielraum bedroht. Um die bedrohte Freiheit wieder herzustellen, verweigerten manche Menschen z.B. die Einhaltung der Schutzmaßnahmen oder schlossen sich gar Gruppierungen an, die das Virus als Ganzes in Abrede stellen wollen. Die widerständische Reaktion auf eine empfundene oder reale Bedrohung der eigenen (Handlungs-) Freiheit wird in der Psychologie als „Reaktanz“ bezeichnet und führt oft dazu, dass das Verhalten, das nicht gezeigt werden soll, verstärkt gezeigt wird. Menschen funktionieren viel weniger rational, als man gemeinhin annehmen möchte. Menschliches Erleben und Verhalten wird von vielen unterschiedlichen Triebfedern, wie Motivation, Einstellungen und Normen vorangetrieben und ist sehr stark an Emotionen gebunden. Rational betrachtet erscheinen viele Verhaltensweisen, die wir dieser Tage bei unseren Mitmenschen beobachten können, als wenig bis nicht nachvollziehbar. Tatsächlich ist es aber so, dass z.B. Reaktanz, wie auch die Möglichkeit zu einer aggressiven Reaktion nach einer Frustration, in den Bereich des „normalen“ menschlichen Verhaltensrepertoires einzuordnen sind. Frustration tritt unter anderem auf, wenn ein erwartetes freudiges Ereignis, wie beispielsweise ein geplantes Weihnachtsfest, nicht erwartungskonform umgesetzt werden kann. Nach Enttäuschung kann es zu Frustration kommen und die Frustration kann zu z.B. zu einem Rückzug oder zu Aggression führen. Reaktionen, die, vor dem Hintergrund der heutigen Situation betrachtet, eine erhöhte Reaktanz (also das Verweigern der anberaumten Maßnahmen) oder einen Rückzug aus dem sozialen Leben bedeuten können. Ungünstige Reaktionen in Hinblick auf die Zielsetzung der physischen und psychischen Gesunderhaltung der Bevölkerung.
Die Beschreibung der benannten Phänomene soll nicht dazu dienen, unangepasstes Verhalten zu rechtfertigen, vielmehr sollen verschiedene Erklärungsansätze für zunächst unerklärliches Verhalten erscheinendes, aufgezeigt werden. Für die Beschreibung, Erklärung, Vorhersage und Veränderung des menschlichen Verhaltens lohnt sich in jedem Fall ein Blick in die Psychologie und ihre Mechanismen; ist sie doch die Wissenschaft des menschlichen Erlebens und Verhaltens.
Zu kommunizieren, dass bestimmte Maßnahmen, wie ein Lockdown, notwendig sind, um die physische Unversehrtheit der Menschen sicherzustellen, reicht also möglicherweise nicht aus, um das gewünschte Verhalten - wie das Tragen einer Maske, die Einhaltung der Abstände und den Verzicht auf (größere) private Treffen - bei allen Menschen herbei zu führen. Die bloße Information über bestimmte Sachverhalte führt noch keine Verhaltensänderung herbei. Diesen Effekt sehen wir sehr deutlich am Beispiel des Rauchens: Den meisten Rauchern ist sehr wohl bewusst, wie schädlich – gar tödlich – die Auswirkungen ihres Verhaltens sein können und dennoch rauchen viele unbeeindruckt weiter.
Aber auch das Vorschreiben oder das Anordnen von Verhaltensweisen stellt nicht in ausreichendem Maß sicher, dass das gewünschte Verhalten auch gezeigt wird. Dies kann sich in dem bereits beschriebenen, natürlichen Antagonisten des Gehorsams, der Reaktanz, begründen. Regelverstöße können aber auch durch nicht erkannte Sinnhaftigkeit einer Vorschrift, wahrgenommene Willkür oder durch mangelndes Vertrauen in die entscheidenden Instanzen, hervorgerufen werden.
Der Umstand, dass es zu Verstößen gegen die nun anberaumten Lockdown-Maßnahmen kommen kann, ist also weit weniger unwahrscheinlich als es man es sich allgemein wünschen würde. Verantwortlich dafür sind natürlich weit mehr psychologische Effekte als die hier benannten. Aber dem Phänomen der Reaktanz oder den Zusammenhang zwischen Frustration und Reaktion kann in diesem Kontext eine besondere Bedeutung zugeschrieben werden.
Ein weiterer Interessanter Aspekt, der auf den ersten Blick als völlig unverständliches Verhalten daherkommt, ist der Umgang mit der Konfrontation der eigenen Endlichkeit, also dem eigenen Tod. Wenn uns etwas bedroht, dass unser Leben beenden kann, gerät die menschliche Psyche in einen Zustand, der dem Begriff „Terror-Management“ sehr nah kommt. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit kann so bedrohlich sein, dass (wie zum Beispiel in vielen Religionen) der Glaube an ein Leben nach dem Tod präferiert wird oder die erlebte Bedrohung abgewertet wird. Im konkreten Fall bedeutet das z.B. die Verharmlosung oder gar Leugnung des Vorhandenseins eines tödlichen Virus. Glücklicherweise scheinen die jetzt anberaumten Maßnahmen aber auf eine große Akzeptanz zu treffen. Stutzig machen könnte allerdings der Umstand, dass die meisten interviewten Personen, die einen schnellen Lockdown befürworten, von den entsprechenden Kamerateams nicht im eigenen Vorgarten oder auf einem Feldweg, sondern in vielen Fällen in den Fußgängerzonen der Innenstädte angetroffen und befragt worden sind. Das bedeutet, dass sich einige Personen in Teilen gegen das soeben selbst ausgeführte Verhalten aussprechen. Auch hier finden wir einen psychologischen Effekt, nämlich den der eigenen Selbstüberschätzung, welcher beinhaltet, dass jeder Mensch sich selbst ein bisschen klüger einschätzt als seine Mitmenschen und so zu dem Schluss kommt, man selbst könne ja ruhig noch einmal in die Stadt gehen, weil man vielleicht besser aufpasst als die anderen oder andere schützende Vorteile innehat.
Das Vorhandensein all dieser Effekte ist weder gut noch schlecht. Sie sind Bestandteil des normalen menschlichen Miteinanders, fallen nur in der Regel weniger störend auf, als es im Moment der Fall ist.
Menschen sind nicht also nicht logisch – sie sind psycho-logisch. Es müssen somit Lösungen gefunden werden, die die physische Gesundheit sicherstellen, dabei die psychologischen Aspekte nicht außer Acht lassen und im besten Fall auch der psychischen Gesundheit zuträglich sind. Lösungswege könnten in die Richtung: Transparenz schaffen durch frühzeitige Kommunikation, Vertrauen schaffen durch stringente und einheitliche Handlungsstränge oder Stärkung des individuellen Kontrollempfindens gehen. Auch weitere Angebote zum Umgang mit der gerade sehr präsenten Angst können hilfreich sein, denn es darf nicht vergessen werden, dass wir Menschen uns gerne gesellen, also in Gruppen zusammen finden, und dies im Besonderen dann gerne tun, wenn der Stresspegel hoch ist. Genau dieses Zusammenrotten, egal wie gut es der Psyche tun würde, gefährdet aber momentan unsere physische Gesundheit.
Im Idealfall sollten nun folgende Pläne, Ideen und Lösungen darauf abzielen, auch jetzt angewendet werden zu können. Der dauerhafte Verweis auf eine Zeit nach Corona, in der alles wieder „normal“ sein wird, könnte bald ausgedient haben, da insbesondere das menschliche Bedürfnis nach zeitlicher Kontrolle wahrscheinlich weiterhin nicht befriedigt werden kann (das Wissen um das tatsächliche Ende der Pandemie befindet sich momentan noch im Bereich der Spekulationen). Aber genau dieses Aushalten bis zum ersehnten Zeitpunkt X, der dann ggf. wieder verschoben werden muss, kann erneut Frustration hervorrufen.
Natürlich ist es viel leichter, im Nachgang Geschehnisse zu kommentieren. Zudem unterliegen menschliche Einschätzungen über die Vergangenheit zumeist einem retrospektiven Irrtum, also dem Fehler, die Entscheidungen der Vergangenheit, mit allen jetzt vorhandenen Informationen zu beurteilen und zu dem Schluss zu kommen, dass es klar gewesen sei, dass die Dinge so kommen mussten. Aber das Wissen, das im Nachgang zur Verfügung steht, war zum Zeitpunkt der Entscheidung meist noch nicht vorhanden, was in der Rückschau aber oft keine Berücksichtigung findet und so zu dem Trugschluss führt, man hätte schon vorher wissen müssen, was „besser“ gewesen wäre.
Die Situation ist wenig vorhersehbar, Bedürfnisse nach Sicherheit und Kontrolle werden nicht in genügendem Maß befriedigt und diverse psychologische Effekte bestimmen das Verhalten der anderen Menschen und unser eigenes mit. Ein großer psychologischer Wirkfaktor, der uns alle vielleicht etwas zuversichtlicher stimmen könnte, liegt in der Kraft der Kognitionen (den mentalen Prozessen). Das bedeutet, dass keine Situation tatsächlich so viel Einfluss auf uns hat, wie unsere Bewertung dieser Situation. Dieser Effekt darf nicht mit „Schönfärberei“ verwechselt werden. Es geht viel darum, das Beste aus der Situation zu machen, statt sich dem eigenen Ärger hinzugeben.
Zudem ist aus vielen Forschungsarbeiten bekannt, dass Krisen uns auch stärken können.
Vielleicht verhilft uns dieses Wissen zu mehr Zuversicht und Optimismus, denn besonders der Optimismus wurde in der positiven Psychologie viel beforscht und kann dazu beitragen, die eigene Stimmung zu verbessern, Erkrankungen schneller heilen zu lassen und der Psyche als Ganzes gut zu tun.
Vielleicht wollen wir uns schlussendlich auch noch den Effekt der sich „sich-selbst-erfüllenden-Prophezeiung“, zu Nutze machen und beginnen, an ein lebenswertes Leben - trotz Vorhandensein des Virus - zu glauben und somit den Weg in diese Richtung der Erwartungsbestätigung zu ebnen.
Prof. Dr. Sabrina Krauss
Professorin für Psychologie
Leitung der Studiengänge „Psychologie“ und „Arbeits- und Organisationspsychologie“
sabrina.krauss[at]srh.de
Platz der Deutschen Einheit 1
59065 Hamm
Telefon +49 2381 9291-509
Criteria of this press release:
Journalists, Scientists and scholars, all interested persons
Economics / business administration, Psychology, Social studies
transregional, national
Schools and science, Studies and teaching
German
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