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18.12.2020 – In Deutschland wird die Zulassung für den ersten Impfstoff, der wirksam und sicher vor COVID-19 Erkrankungen schützt, erwartet. Was bedeutet das für MS-Betroffene und was gibt es grundsätzlich bei Impfungen in dieser Risikogruppe zu beachten?
1. Welche Bedeutung hat eine COVID-19 Impfung für MS-Betroffene?
Eine erfolgreiche Impfung gegen COVID-19 könnte grundsätzlich die Zahl der Menschen, die sich mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infizieren, reduzieren und damit die Wahrscheinlichkeit verringern, dass MS-Betroffene an COVID-19 erkranken. Wird ein wirksamer Impfstoff bei MS-Betroffenen angewandt, werden diese einen direkten Schutz gegen COVID-19 aufbauen.
2. Impfungen bei MS: was ist grundsätzlich zu beachten?
Die Diagnose MS stellt prinzipiell keine Kontraindikation gegen Impfungen dar. Durch Impfungen vermeidbare Infektionen können einerseits schwerwiegende Erkrankungen verursachen, andererseits bei MS-Betroffenen darüber hinaus Schübe auslösen und zur Krankheitsverschlechterung beitragen. Dieses Risiko ist grundsätzlich als höher einzu-schätzen als potenzielle Risiken durch Impfungen. MS-Betroffene sollten daher entspre-chend den allgemeinen von der Ständigen Impfkommission (STIKO) des Robert Koch-Institutes empfohlenen Impfungen im Erwachsenenalter geimpft werden.
Zu Impfungen bei MS-Betroffenen, die ein Immuntherapeutikum erhalten, gibt es begrenzt Daten. Sorge ist hier ein vermindertes Ansprechen auf die Impfung. Um einen Impferfolg zu unterstützen, sollten Impfungen idealerweise mindestens 6 Wochen vor Einleitung einer Immuntherapie abgeschlossen sein. Grundsätzlich sind Impfungen mit Totimpfstoffen auch unter Therapien, die Immunzellen aus dem Körper entfernen („Zell-depletierende Therapien“) möglich, das Ansprechen auf die Impfung kann unter solchen Therapien allerdings vermindert sein. Idealerweise sollten Impfungen frühesten 4 Monate nach Behandlung (gemeint ist hier die jeweilige Medikamentengabe) erfolgen.
Alle Impfstoffe basieren auf dem Grundprinzip, unserem Immunsystem Teile (Antigene) zu präsentieren, so dass das Immunsystem einen wirksamen Schutz aufbauen kann. Die meisten der bislang zugelassenen Impfstoffe sind entweder sogenannte Totimpfstoffe oder Lebendimpfstoffe. Totimpfstoffe – oder inaktivierte Impfstoffe – enthalten entsprechend ihrer Bezeichnung nur abgetötete Krankheitserreger, die sich nicht mehr vermehren können, oder auch nur Bestandteile der Erreger. Lebendimpfstoffe enthalten geringe Mengen vermehrungsfähiger Krankheitserreger, die jedoch so abgeschwächt wurden, dass sie die Erkrankung selbst nicht auslösen. Bei Lebendimpfstoffen (wie Gelbfieber, Masern, Mumps, Röteln, Varizellen) können selten verstärkte Impfreaktionen auftreten. Die Indikation sollte bei MS-Betroffenen und insbesondere unter immunmodulatorischer Therapie streng gestellt werden. Lebendimpfungen unter Ocrelizumab, Alemtuzumab, Cladribin, Fingolimod, Siponimod, Ozanimod, Natalizumab oder Mitoxantron sind kontraindiziert. Die meisten der von der STIKO im Erwachsenenalter und für Ältere empfohlenen Impfungen sind Totimpfstoffe und können auch für MS-Betroffene uneingeschränkt empfohlen werden. Für MS-Betroffene als chronisch Kranke werden noch weitere Impfungen empfohlen, insbesondere unter einer immunsuppressiven Therapie (siehe Anhang unten).
Vor Beginn einer immunsuppressiven Therapie sollte immer kontrolliert werden, ob ein Schutz gegen Masern, Mumps, Röteln und Varizellen vorliegt. Bei fehlender Immunität sollte die Impfung noch mit ausreichendem Abstand zur Therapie durchgeführt werden, soweit die Therapie entsprechend verschiebbar ist. Da es sich um Lebendimpfstoffe handelt, kann eine Impfung unter Therapie nicht mehr durchgeführt werden.
3. Für welche COVID-19 Impfungen ist derzeit eine Zulassung in Deutschland beantragt?
Derzeit werden nach Angabe der Weltgesundheitsorganisation mehr als 40 mögliche Impfstoffkandidaten getestet, mehr als 160 weitere Kandidaten sind in der vorklinischen Entwicklung. Ein Impfstoff erhält in Deutschland und der EU nur dann eine Zulassung, wenn nachgewiesen ist, dass er wirksam und verträglich ist. Für zwei Impfstoffe ist auf der Grundlage von umfangreichen internationalen Studien an mehreren zehntausend Freiwilligen eine Zulassung bei der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA, die auch für Deutschland zuständig ist, beantragt worden. Die EMA stellte eine Entscheidung über die Zulassung bis Ende des Jahres in Aussicht. Bei beiden Impfoffen handelt es sich um sogenannte mRNA-Impfstoffe. Einer der beiden Impfstoffe ist bereits am 02.12.2020 im Vereinigten Königreich und am 12.12.2020 in den Vereinigten Staaten durch die entsprechenden Behörden zugelassen worden. In klinischen Studien zeigten beide Impfstoffe eine mehr als 94-prozentige Wirksamkeit eine SARS-CoV-2 Infektion zu verhindern und für das Restrisiko einer Infektion keine Entwicklung einer COVID-19 Erkrankung, also des schweren Verlaufs bei einer SARS-CoV-2 Infektion.
Diese neuartigen Impfstoffe enthalten Teile der Erbinformation des Virus, die den Bauplan für ein Virusprotein bereitstellen. Nach der Impfung wird die mRNA von einigen wenigen menschlichen Körperzellen aufgenommen, die dann Virusproteine selbst produzieren, das Immunsystem aktivieren und damit eine schützende Immunantwort erzeugen. Die mRNA wird nicht in die DNA einer Zelle eingebaut und wird vom Körper abgebaut. Es entstehen keine kompletten, vermehrungsfähigen Viren. Die mRNA-Impfstoffe sind daher konzeptuell den Totimpfstoffen zuzuordnen.
Neben den am weitesten entwickelten mRNA-Impfstoffen gibt es unter den Impfungen gegen SARS-CoV-2 drei weitere Hauptentwicklungslinien: klassische Totimpfstoffe, Lebendimpfstoffe sowie sogenannte Vektorviren-Impfstoffe, bei denen ein abgeschwächtes Virus als Transportmittel (Vektor) für einen ungefährlichen Teil der Erbinformation von SARS-CoV-2 genutzt wird.
4. Sind die Impfungen für MS-Betroffene sicher?
Nationale und internationale Qualitätsstandards gelten wie bei allen anderen Impfstoff-Entwicklungen auch bei der Zulassung einer COVID-19 Impfung. Basierend auf den veröffentlichten Studien zu den beiden mRNA-basierten Impfstoffen, für die die Zulassung in der Europäischen Union beantragt worden ist, ist nicht davon auszugehen, dass potentielle Nebenwirkungen bei MS-Betroffenen gehäuft auftreten oder dass die Empfehlungen von denen für die Anwendung von Totimpfstoffen bei MS-Betroffenen abweichen werden. Jedoch ist erst nach Abschluss von Zulassungsverfahren geklärt, welche Nebenwirkungen bei welchen Personengruppen und in welchem Ausmaß auftreten können und wie die Anwendungsempfehlung ausgestaltet sein wird. Auch nach einer Zulassung werden potentielle Nebenwirkungen weiterhin erfasst und bewertet. Wie bei anderen Totimpfstoffen können vorübergehend, insbesondere am Folgetag, typische Impfreaktionen wie Abgeschlagenheit, Müdigkeit, Kopfweh, Temperaturerhöhung oder Schmerzen an der Einstichstelle auftreten. In den Zulassungsstudien gab es keinerlei als schwerwiegend beurteilte Nebenwirkungen.
5. Wann steht die COVID-19 Impfung für MS-Betroffene zur Verfügung?
Aufgrund begrenzter Impfstoffverfügbarkeit kann die Impfung zunächst nur bestimmten Personengruppen angeboten werden, die ein besonders hohes Risiko für schwere oder tödliche Verläufe einer COVID-19 Erkrankung haben, u.a. Personen im Alter von ≥ 80 Jahren (www.rki.de). Danach sollen die definierten Risikogruppen schrittweise erweitert und geimpft werden. MS Patienten gelten nach Einschätzung des KKNMS als Risikogruppe und es ist zu erwarten, dass sie prioritär in dem Impfregime bedacht werden. Aus Sicht des KKNMS ist eine Impfung gegen COVID-19 im Sinne der oben dargelegten Überlegungen zu empfehlen.
Autorinnen und Autoren:
Prof. Dr. Jan D. Lünemann, Klinik für Neurologie mit Institut für Translationale Neurologie, Universitätsklinikum Münster
Prof. Dr. Tania Kümpfel, Institut für Klinische Neuroimmunologie, Klinikum Großhadern, Ludwig -Maximillians-Universität München
Dr. Markus Frühwein, MaHM, Facharzt für Allgemeinmedizin, Reisemedizin, Tropenmedizin, Ernährungsmedizin
Prof. Dr. Christian Münz, Institut für Experimentelle Immunologie, Abteilung für Virale Immunbiologie, Universität Zürich
Prof. Dr. Gerd Fätkenheuer, Klinik I für Innere Medizin, Klinische Infektiologie, Universi-tätsklinikum Köln
Prof. Dr. Frauke Zipp, Klinik für Neurologie, Johannes Gutenberg-Universität, Mainz
Prof. Dr. Heinz Wiendl, Klinik für Neurologie mit Institut für Translationale Neurologie, Universitätsklinikum Münster
Criteria of this press release:
Journalists, Scientists and scholars
Medicine
transregional, national
Transfer of Science or Research
German
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