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Sonderforschungsbereich 1266 der Uni Kiel veröffentlicht Studie zur sozialen Bedeutung von steinernen Monumenten in Nordostindien
Monumente aus Steinen, die von Archäologinnen und Archäologen auch als Megalithen oder Steinsetzungen bezeichnet werden, sind ein in vielen prähistorischen und historischen Perioden und Kulturen verbreitetes Phänomen. Sie begeistern die Öffentlichkeit und Fachleute gleichermaßen, werfen aber auch viele Fragen hinsichtlich ihrer Bedeutung innerhalb der prähistorischen Gesellschaften auf. Die archäologische Forschung geht häufig davon aus, dass die Errichtung der Monumente mit bestimmten sozialen Strukturen verbunden war. So werden Steinmonumente mit der Entwicklung gesellschaftlicher Hierarchien und sozialen Ungleichheiten in Zusammenhang gebracht. Auch Fragen nach einer zentralen Organisation der benötigten Arbeitskräfte stellen sich den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Diese Interpretationen scheinen aus der Sicht heutiger Lebenswirklichkeiten durchaus naheliegend. Jedoch sind soziale Strukturen allein an den Steinen, die sich in den archäologischen Ausgrabungen erhalten, nicht abzulesen.
Mit der Identifizierung der sozialen Bedeutung der steinernen Monumente befasste sich ein ethnoarchäologisches Forschungsprojekt des Sonderforschungsbereichs (SFB) 1266 „TransformationsDimensionen“ an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU). Dieser besondere Teilbereich der archäologischen Forschung arbeitet verstärkt mit der Einbindung zeitgenössischer Beispiele besonderer Phänomene, wie beispielsweise der Errichtung steinerner Monumente. Ziel der Forschung war es, anhand aktueller Vergleichsstudien in Nagaland (Nordostindien) eine übergreifende Perspektive auf Megalithen zu ermöglichen. Die erlangten Forschungsergebnisse werfen ein neues Licht auf die Interpretation der Steinmonumente und wurden heute (10. März) in der renommierten Fachzeitschrift PLOS ONE veröffentlicht.
Solidarität, Kooperation und individuelles Ansehen stehen in Zusammenhang mit der Errichtung der Steinmonumente
Nagaland liegt in einer abgelegenen Bergregion im Nordosten Indiens und zeichnet sich durch eine große naturräumliche Vielfalt aus. Hierzulande ist die Region eher unbekannt, für die durchgeführte Studie machte sie jedoch eine Besonderheit interessant: Bis in die sechziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts wurden hier Monumente aus Steinen errichtet. Sie dienten dazu Festaktivitäten und Errungenschaften einzelner Mitglieder der Dorfgemeinschaften zu gedenken. Über umfassende Interviews wurde das in den Gemeinschaften Nagalands erhaltene Wissen zu der Errichtung steinerner Monumente dokumentiert und dann innerhalb des Forschungsprojektes aufgearbeitet.
Die Studie brachte nun hervor, dass für die Errichtung in der Regel nur eine Person verantwortlich war. Darüber hinaus wurde deutlich, dass der gesamte Prozess einer immensen Vorbereitung bedurfte. Nicht nur während der Errichtung, sondern bereits in dieser Vorbereitungsphase wurden Feste gefeiert, auf denen Speisen geteilt und zu denen Verwandte sowie Personen aus umliegenden Dörfern eingeladen wurden. Die Errichtung und die Vorbereitung sowie die in diesem Zusammenhang gefeierten Feste lassen vermuten, dass Verwandtschafts-, Kooperations- und Solidaritätsbeziehungen eine grundlegende Rolle spielten. „Dafür spricht das Teilen von Ressourcen wie Nahrung und Arbeitskraft“, erläutert Dr. Maria Wunderlich, Archäologin im SFB 1266, und führt weiter aus: „Das sind die Grundvoraussetzungen für das Erlangen individuellen Ansehens. Darüber hinaus sind gemeinsame, die Dorfgemeinschaften übergreifende Anstrengungen kennzeichnend für die Gemeinschaften im südlichen Nagaland.“
Die Steinsetzungen selbst sind äußerst vielfältig und reichen von kleinen, einzelnen Steinen bis hin zu massiven Installationen. Ihnen allen gemein sind jedoch die großen Festaktivitäten während der Vorbereitung und der Errichtung. Regionale Unterschiede und individuelle Ausgestaltungen offenbaren darüber hinaus eine große Bedeutung der eigenständigen sozialen und politischen Organisation der Gemeinschaften im südlichen Nagaland.
Die Erweiterung von Perspektiven in der Archäologie: Vom gegenwärtigen Nordosten Indiens in das Mitteleuropa der Jungsteinzeit
Doch was sagen die rezenten Vergleichsstudien den Archäologen und Archäologinnen über die steinernen Monumente in der mitteleuropäischen Jungsteinzeit (5.500-2.200 v. Chr.)? Denn Steinsetzungen, oftmals in Form von Gräbern, sind in dieser Periode besonders weit verbreitet. So wurden im heutigen Norddeutschland zwischen 3.600 und 3.200 v. Chr. Gräber aus großen Findlingen errichtet und für kollektive Bestattungen genutzt. Über die gemeinschaftlichen Bestattungen können die Archäologen und Archäologinnen eine Betonung der Gemeinschaft und weniger des Individuums erahnen. Diese kollektiven Handlungen zeugen davon, dass ein starkes Gemeinschaftsgefühl über die Errichtung der Grabmonumente ausgedrückt wurde. Die Ergebnisse der ethnoarchäologischen Studien an rezenten und außereuropäischen Vergleichsobjekten dienen dem besseren Verständnis der prähistorischen Gesellschaften. Darüber hinaus erweitern sie die archäologische Vorstellung über den Nutzen und die mit diesen Phänomenen verbundenen sozialen Absichten. Sie eröffnen damit neue Perspektiven auf die Lebenswelt der prähistorischen Gemeinschaften und können in Bezug auf die Errichtung von Steinsetzungen Anhaltspunkte zu der damit verbundenen sozialen Bedeutung geben.
„Ethnoarchäologische Studien stellen ein alternatives Erklärungsmodell zur rein archäologischen Interpretation bereit“, stellt Maria Wunderlich klar,„solche Modelle können dazu beitragen, die komplexen Lebenswirklichkeiten prähistorischer Epochen besser zu verstehen. Sie dienen dazu neue Perspektiven zu eröffnen, damit beispielsweise die Bedeutung des Teilens und der kommunalen Solidarität auch in archäologischen Untersuchungen berücksichtigt werden können“.
Das vom SFB 1266 und dem Schwerpunktprogramm (SPP) 1400 „Frühe Monumentalität und soziale Differenzierung“ durchgeführte Forschungsprojekt fand in Zusammenarbeit der CAU mit dem Department of History & Archaeology der Universität Nagaland statt und wurde durch Mittel des Exzellenzclusters (EXC) 2150 „ROOTS“ unterstützt. An der Forschungsgruppe waren zudem Mitglieder der Römisch-Germanischen Kommission (RGK) des Deutschen Archäologischen Institutes (DAI) beteiligt.
Die Feldaufenthalte und Studien in Nordostindien fanden in enger Kooperation mit Kollegen und Kolleginnen der Universität Nagaland statt. Sie stellen damit die Bedeutung transdisziplinärer sowie grenzübergreifender und international verorteter, gleichberechtigter Forschung heraus.
Weitere Informationen zum Sonderforschungsbereich 1266 http://www.sfb1266.uni-kiel.de/de
Dr. Maria Wunderlich
SFB 1266 „TransformationsDimensionen“
Institut für Ur- und Frühgeschichte
E-Mail: m.wunderlich@ufg.uni-kiel.de
Prof. Dr. Tiatoshi Jamir
Department of History & Archaeology
Nagaland University, India
E-Mail: tiatoshi@nagalanduniversity.ac.in
Prof. Dr. Johannes Müller
SFB 1266 „TransformationsDimensionen“
Institut für Ur- und Frühgeschichte
E-Mail: johannes.mueller@ufg.uni-kiel.de
Originalpublikation:
Wunderlich M, Jamir T, Müller J, Rassman K, Vasa D (2021) Societies in balance: Monumentality and feasting activities among southern Naga communities, Northeast India. PLoS ONE 16(3): e0246966. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0246966
https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0246966
http://www.uni-kiel.de/de/detailansicht/news/047-sfb1266-steinmonumente
Criteria of this press release:
Journalists, Scientists and scholars
History / archaeology
transregional, national
Research projects, Research results
German
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