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Wissenschaft
Mitleid, Egoismus, Pflichtbewusstsein: Es gibt viele Gründe, warum Menschen anderen Menschen helfen. Die Neurowissenschaftlerin Grit Hein erforscht ihre Motive und wirft dabei einen Blick ins Gehirn.
Die Corona-Pandemie macht es mal wieder deutlich: Menschen sind nicht nur auf ihren Vorteil aus. So haben sich beispielsweise im ersten Lockdown schnell Nachbarschaftsinitiativen gegründet, deren Mitglieder Einkäufe für ältere Menschen erledigten. Wer in Quarantäne geschickt wurde und seine Wohnung nicht mehr verlassen durfte, konnte sich darauf verlassen, dass ihm Freunde und Bekannte regelmäßig Taschen mit Lebensmitteln vor die Türe stellten. Auch die Bereitschaft, im öffentlichen Raum Mund-Nasen-Masken zu tragen, ist im Prinzip ein Ausdruck der Rücksichtnahme gegenüber Drit-ten.
Prosoziales Verhalten: So bezeichnet die Wissenschaft menschliche Verhaltensweisen, die darauf abzielen, anderen Personen zu nützen – Verhaltensweisen wie beispielsweise Helfen, Teilen, Trösten und Kooperieren. Eine Expertin auf diesem Gebiet ist Grit Hein, Professorin für Translationale Soziale Neurowissenschaften an der Universität Würzburg. Hein forscht an der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Würzburger Universitätsklinikums. Sie interessiert sich dafür, auf welche Weise unterschiedliche Motive prosoziales Verhalten beeinflussen und welche Strukturen im Gehirn damit in Verbindung stehen.
Fünf Motive für prosoziales Verhalten
„In der Psychologie kennen wir eine Reihe von Motiven, die dazu beitragen, dass Menschen sich prosozial verhalten“, sagt Grit Hein. Altruismus und Egoismus dürften auch Laien bekannt sein; Prinzipalismus, Kollektivismus und Reziprozität eher nicht. Während Prinzipalismus das Ziel hat, ein morali-sches Prinzip oder eine soziale Norm – „Das tut man nicht“ – aufrechtzuerhalten, geht es beim Kollektivismus darum, das Wohlergehen einer Gruppe zu steigern, mit der man sich selbst identifiziert. Ein Fußball-Fan ist demnach eher dazu bereit, einem Anhänger „seiner“ Mannschaft ein Bier auszugeben, als einem Fan aus dem gegnerischen Lager.
Reziprozität hingegen ist eines der wichtigsten Prinzipien in westlichen Gesellschaften und wird definiert als „die individuelle Tendenz, das Verhalten anderer zu erwidern“. Oder anders formuliert: Wer mir schon mal geholfen hat, ein schweres Möbelstück die Treppe hoch zu tragen, dem gebe ich gerne einen Liter Milch, wenn seine am Sonntag sauer geworden ist.
220.000 Euro von der Deutschen Forschungsgemeinschaft
„Natürlich wirken diese verschiedenen Motive fast nie isoliert. In den meisten Fällen werden mehrere von ihnen gleichzeitig aktiviert“, sagt Grit Hein. Um menschliches Verhalten zu verstehen und vorherzusagen, sei es daher wichtig zu verstehen, wie diese Motive zusammenwirken und wie die damit einhergehenden Wechselwirkungen die tatsächlichen sozialen Entscheidungen beeinflussen.
In ihrer aktuellen Studie untersucht Hein deshalb das neuronale Zusammenspiel zwischen dem egoistischen Motiv und einer Reihe anderer prosozialer Motive. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft unterstützt sie dabei mit rund 220.000 Euro. Hein möchte vor allem die Bedingungen bestimmen, unter denen Egoismus andere Motive und die damit verbundenen prosozialen Entscheidungen untergräbt beziehungsweise verstärkt.
Zwar unterscheiden sich Empathie und Egoismus deutlich. Dennoch können beide bewirken, dass Menschen Ditte unterstützen. Wer sich in sein Gegenüber hineinzuversetzen vermag, also empathisch ist, will ihm aus seiner schlechten Lage heraushelfen. Wer Hilfe aus einem egoistischen Motiv heraus leistet, hat in erster Linie den Wunsch, sich hinterher gut zu fühlen. Kompliziert wird es, wenn beide Motive gemeinsam auftreten.
Öffentliche Belohnung bremst die Hilfe
„Frühere Studien von uns haben gezeigt, dass das egoistische Motiv das Empathie-Motiv verstärkt. Das allerdings steht im Gegensatz zu Befunden, die einen Rückgang prosozialen Verhaltens zeigen, wenn Menschen dafür eine Belohnung erhalten“, sagt Grit Hein. Beispielsweise spenden Menschen seltener Blut, wenn sie dafür bezahlt werden. Die Erklärung für diesen Widerspruch ist möglicherweise ganz einfach: „Wir vermuten, dass Anreize prosoziales Verhalten nur dann untergraben, wenn sie öffentlich angeboten werden“, sagt Hein. Wenn also andere wissen, dass ich für meine Blutspende Geld erhalte, gehe ich seltener in die Blutbank. Bleibt die Bezahlung hingegen geheim, steigt meine Bereitschaft zum Spenden.
In ihrer aktuellen Studie setzt Hein auf eine Reihe klassischer Experimente, die darauf ausgelegt sind, prosoziales Verhalten unter dem Einfluss verschiedener Motive zu messen. Die Teilnehmer müssen wiederholt entscheiden, ob sie einen geringen Geldbetrag entweder für sich behalten oder mit einer zweiten Person teilen. Sie können also den Gewinn des zweiten Mitspielers erhöhen und dadurch ihren eigenen verringern – dies entspricht einer prosozialen Entscheidung. Oder sie verhalten sich egoistisch und maximieren ihren eigenen Gewinn. Dabei dürfen sie mal davon ausgehen, dass ihre Entscheidung allen anderen Beteiligten verborgen bleibt. Mal wird ihnen gesagt, dass alle erfahren, ob sie das Geld teilen oder sich selbst zuschanzen.
Experimente im Magnetresonanz-Scanner
Dieses experimentelle Grundgerüst wird anschließend variiert – abhängig davon, welches Motiv betrachtet werden soll. Um das egoistische Motiv zu untersuchen, wird den Teilnehmern mitgeteilt, dass sie einen finanziellen Bonus erhalten, wenn sie sich in der Mehrzahl der Versuche prosozial gegenüber der anderen Person verhalten. Um Empathie zu erzeugen, müssen die Teilnehmer mitansehen, wie ihre jeweiligen Partner eine unangenehme Stimulation an der Hand erhalten. Wenn es darum geht, das Reziprozitätsmotiv zu erforschen, müssen die Teilnehmer selbst mit dieser Stimulation an der Hand rechnen. Allerdings bietet ihnen ihr Mitspieler an, freiwillig auf Geld zu verzichten, um so sie so vor diesem unangenehmen Erlebnis zu bewahren. Dieses Szenario induziert in der Regel Dankbarkeit, von der bekannt ist, dass sie reziprozitätsbasiertes Verhalten auslöst.
Es sind vor allem die neuronalen Grundlagen, für die sich Grit Hein interessiert, wenn sie Motive bestimmter Verhaltensweisen erforscht. Mit den klassischen Methoden der Verhaltensbeobachtung allein kommt sie dabei nicht weit. Sie kombiniert deshalb diese mit der funktionellen Magnetresonanztomographie und einer computergestützten Modellierung, um so mit dem direkten Blick auf die Vorgänge im Gehirn verschiedene Motive unterscheiden zu können, die zum gleichen Verhalten führen. Die Teilnehmer an diesen Experimenten sitzen deshalb in einem Magnetresonanz-Scanner und interagieren mit Personen, die neben dem Scanner sitzen.
„Das neuronale Zusammenspiel zwischen dem egoistischen Motiv und bestimmten anderen prosozialen Motiven aufdecken und die Bedingungen spezifizieren, unter denen das egoistische Motiv andere Motive und die damit verbundenen prosozialen Entscheidungen untergräbt oder verstärkt“: So fasst Hein die Ziele ihres Forschungsprojekts zusammen. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse können ihrer Meinung nach dazu beitragen Anreizstrukturen zu entwickeln, die, wie sie sagt, „das Verhalten von Individuen steuern, ohne wichtige prosoziale Motive zu untergraben“.
Prof. Grit Hein, PhD, Professur für Translationale Soziale Neurowissenschaften, Universität und Universitätsklinikum Würzburg, T: +49 931 201-77411, hein_g@ukw.de
http://grit-hein.de/ Webseite Prof. Grit Hein
Criteria of this press release:
Journalists, all interested persons
Medicine, Psychology
transregional, national
Research projects
German
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