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03/04/2004 16:10

Nachhaltigkeitsbeirat Baden-Württemberg: "Flächenverbrauch durch konkrete Ziele begrenzen"

Ursula Zitzler Stabsstelle Hochschulkommunikation
Universität Stuttgart

    Nachhaltigkeitsbeirat Baden-Württemberg für Einführung von Zertifikaten zur Reduzierung des Flächenverbrauchs

    Nach Ansicht des baden-württembergischen Nachhaltigkeitsbeirats (NBBW) kann das Ziel des Landes, den Flächenverbrauch (heute elf Hektar pro Tag) deutlich zu reduzieren, mit den traditionellen Instrumenten der Raumplanung allein nicht erreicht werden. Daher empfiehlt der NBBW der Landesregierung in seinem aktuellen Sondergutachten zusätzlich die Einführung des marktwirtschaftlichen Instruments handelbarer Flächenzertifikate. Ein entsprechendes Sondergutachten "Neue Wege zu einem nachhaltigen Flächenmanagement in Baden-Württemberg" wurde heute Minister Ulrich Müller übergeben. Zusätzlich fordert der NBBW bis zum Jahr 2020 die stufenweise Reduzierung des Flächenverbrauchs um ein Viertel auf maximal drei Hektar pro Tag.
    "Die Geschwindigkeit, mit der im Land in den letzten Jahrzehnten Freiflächen in Siedlungs- und Verkehrsflächen umgewandelt wurden, ist in Hinblick auf die Gerechtigkeit gegenüber kommenden Generationen nicht nachhaltig", so Dr. Peter Fritz, Vorsitzender des Nachhaltigkeitsbeirats. Mit seinen Vorschlägen wolle der Nachhaltigkeitsbeirat einen Beitrag zur Erreichung des im Landes-Umweltplan formulierten Ziels einer deutlichen Reduzierung der Inanspruchnahme bislang unbebauter Flächen für Siedlungs- und Verkehrszwecke leisten. "Der Knappheit der Fläche wird offensichtlich durch hoheitliche Planungsvorgaben nicht adäquat Rechnung getragen. Die Landesregierung muss neue Wege einschlagen, wenn sie eine Trendumkehr einleiten will", so Fritz weiter.
    Professor Franz Josef Radermacher, Leiter des Forschungsinstituts für anwendungsorientierte Wissensverarbeitung (FAW) in Ulm und Mitglied des Nachhaltigkeitsbeirats ergänzt: "Durch den Flächenverbrauch gehen heute zunehmend wertvolle Flächen unwiederbringlich verloren, die für den Arten- und Biotopschutz und zukünftig für die Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung wichtig sind." Der Schutz hochwertiger landwirtschaftlicher Böden und wertvoller Biotope ist dem Beirat daher ein besonderes Anliegen. Für den Arten- und Biotopschutz hält es der Beirat für notwendig, in Baden-Württemberg mehr Flächen als bisher unter Schutz zu stellen.
    Aus diesem Grunde fordert der Beirat ein wirksameres Flächenmanagement, das bei Flächenumwidmungen neben der Quantität auch Qualität und Verteilung der Fläche im Raum berücksichtigt. "Mit den Instrumenten der Raumplanung steht dem Gesetzgeber zunächst ein sinnvolles Instrumentarium zur Steuerung der unterschiedlichen Raumnutzungsansprüche zur Verfügung", so Beiratsmitglied und Mitautor Professor Ortwin Renn, Umweltsoziologe an der Universität Stuttgart. Allerdings fehle dem Umwelt- und Planungsrecht die Steuerungskraft, den Umfang der in Anspruch genommenen Flächen zu regulieren. Dazu sei die Einführung alternativer Instrumente unerlässlich. So solle ein System sogenannter Flächenzertifikate sicherstellen, dass quantitativ festgelegte Ziele auch erreicht werden.
    Als Ziel empfiehlt der Nachhaltigkeitsbeirat dem Land, die Flächeninanspruchnahme ab 2005 schrittweise bis zum Jahr 2020 auf ein Viertel des heutigen Niveaus, also auf drei Hektar pro Tag zu begrenzen und dies gesetzlich festzusetzen. Eine im Auftrag des Beirats durchge-führte juristische Prüfung hat ergeben, dass das Land ein System mit handelbaren Flächenzertifikaten einführen könnte. Dies hätte positive Anreize auf Kommunen, die auf eine zu-sätzliche Flächenausweisung verzichten, da sie überschüssige Rechte verkaufen könnten. Allerdings hält es der Beirat aus Gründen des Standortwettbewerbs für hilfreich und sinnvoll, dass langfristig ein Zertifikatssystem auf der Ebene des Bundes eingeführt wird.
    Zur Einführung eines Zertifikatssystems sind folgende Schritte notwendig:
    1. Zielfestlegung. Am Anfang steht ein auf Landesebene gesetzlich festgelegtes Ziel über die maximal zulässige Flächenumwandlung pro Zeiteinheit, zum Beispiel beginnend mit acht Hektar/Tag im Jahr 2005 und einer schrittweisen Reduzierung auf drei Hektar/Tag im Jahr 2020. Hierfür könnte beispielsweise der Landesentwicklungsplan ergänzt werden. Die Zuteilung der Kontingente auf die konkrete Gemeinde könnte dann von den Regionalverbänden vorgenommen werden (siehe Punkt 3).
    2. Festlegung der Ausschlussflächen. Im nächsten Schritt werden mithilfe der Planungsinstrumente landesweit die Ausschlussflächen bestimmt, die aus Gründen des Arten- und Landschaftsschutzes, des Hochwasserschutzes, des Mikroklimas sowie der Ernährungssicherung für die Umnutzung in Siedlungs- und Verkehrsfläche nicht zur Verfügung stehen. Für die Umnutzung werden primär solche Flächen in Frage kommen, die entlang der Hauptentwicklungsachsen liegen und allenfalls eine durchschnittliche Bodenqualität (Landwirtschaft und Wald) haben.
    3. Zuteilung der Kontingente. Der gemäß Schritt 1 maximal zur Verfügung stehende Flächenumfang (Kontingent) wird nach bestimmten Kriterien (z.B. Einwohnerzahl) den Kommunen des Landes zugeteilt. Diese Kontingente werden in Fünfjahresabständen zugewiesen, die sukzessiv bis 2020 das angestrebte Landesziel erreichen sollen. Jede Kommune kann ihr zugewiesenes Kontingent im Rahmen der bestehenden Richtlinien ausnutzen und entsprechende Baugebiete ausweisen.
    4. Einrichtung einer Flächenbörse. Wie bei einem Aktienmarkt können die Kommunen ihre zugewiesenen Kontingente an einer Börse verkaufen oder zusätzliche Kontingente kaufen. Der Verkauf von Kontingenten wird beispielsweise für diejenigen Kommunen interessant, die aus Gründen des Landschaftsschutzes oder durch Konzentration auf Innenentwicklung auf einen weiteren Flächenverbrauch verzichten. Dies wird nunmehr finanziell belohnt. Da die Kommunen versuchen werden, den Kauf zusätzlicher Kontingente möglichst zu vermeiden oder gering zu halten, entsteht für sie ein Anreiz, bestehende Siedlungsbrachen und Baulücken vermehrt zu nutzen. Bund und Land müssen den Kommunen hierbei weiterhin mit ihren städtebaulichen Programmen zur Seite stehen.
    5. Ein Monitoringsystem schließlich sorgt dafür, dass die Zielerreichung regelmäßig überprüft wird und die Regeln des Handelssystems eingehalten werden.
    Der Nachhaltigkeitsbeirat hält das hier empfohlene Rechtsinstrument zur Begrenzung des Flächenverbrauchs nach durchgeführter rechtlicher Prüfung für verfassungsrechtlich zulässig. Er plädiert für handelbare Flächenzertifikate, weil sie zielgenauer und ökologisch und ökonomisch treffsicherer wirken.
    Das Sondergutachten "Neue Wege zu einem nachhaltigen Flächenmanagement in Baden-Württemberg" ist öffentlich und kann auf der Homepage des Nachhaltigkeitsbeirats abgerufen oder bei der Geschäftsstelle des NBBW angefordert werden.

    Kontakt:
    Christian D. León
    Geschäftsstelle des Nachhaltigkeitsbeirats Baden-Württemberg
    Tel. (0711) 121 3261
    Fax (0711) 121 2175
    E-Mail: info@nachhaltigkeitsbeirat-bw.de

    Der Nachhaltigkeitsbeirat Baden-Württemberg (NBBW)
    Der Nachhaltigkeitsbeirat ist ein von der Landesregierung Baden-Württemberg eingesetztes Beratungsgremium. Er wurde am 24.4.2002 konstituiert und für die Dauer von zunächst drei Jahren berufen. Der Beirat hat den Auftrag, durch periodische Begutachtung die Umweltsituation in Baden-Württemberg und deren Entwicklungstendenzen zu bewerten, die Umsetzung und Fortschreibung des Umweltplans Baden-Württemberg kritisch zu begleiten sowie umweltpolitische Fehlentwicklungen und Möglichkeiten zu deren Vermeidung oder Beseitigung (Controlling) aufzuzeigen. Der Nachhaltigkeitsbeirat legt der Landesregierung alle drei Jahre, erstmals 2005, ein derartiges Gutachten vor. Einmal im Jahr erstellt der Beirat Empfehlungen zu Schwerpunkten bei der Umsetzung des Umweltplans.
    Das erste Sondergutachten mit dem Titel "Nachhaltiger Klimaschutz durch Initiativen und Innovationen aus Baden-Württemberg" wurde am 6.2.2003 der Landesregierung übergeben.
    Die Mitglieder des Beirats sind:
    Dr. Peter Fritz, Forschungszentrum Karlsruhe (Vorsitzender)
    Prof. Dr. Ursula Gundert-Remy, Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), Berlin (stellv. Vorsitzende)
    Dr. Ulrich Höpfner, IFEU - Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg
    Prof. Dr. Giselher Kaule, Institut für Landschaftsplanung und Ökologie, Universität Stuttgart
    Prof. Dr. Dr. Franz Josef Radermacher, Forschungsinstitut für anwendungsorientierte Wissensverarbeitung (FAW), Ulm
    Prof. Dr. Stefan Rahmstorf, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK)
    Prof. Dr. Ortwin Renn, Institut für Sozialwissenschaften, Abteilung Technik- und Umweltsoziologie, Universität Stuttgart
    Prof. Dr. Lutz Wicke, Institut für Umweltmanagement, Europäische Wirtschaftshochschule Berlin
    Prof. Dr. Dr. h.c. Jürgen Zeddies, Institut für Landwirtschaftliche Betriebslehre, Universität Hohenheim


    More information:

    http://www.nachhaltigkeitsbeirat-bw.de


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    Criteria of this press release:
    Biology, Environment / ecology, Oceanology / climate, Social studies
    regional
    Research results
    German


     

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