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Wissenschaft
Was ist normale Trauer, und unterscheidet sie sich von Depression? Diese Fragen haben Wissenschaftler der Universität Würzburg untersucht. Ihre Studie zeigt: Die Gedanken machen den Unterschied.
Nach dem Tod einer nahen Bezugsperson erleben etwa 90 Prozent der Hinterbliebenen normale, das heißt, nicht besonders starke und nicht sehr lange andauernde Trauerreaktionen. Gleichwohl suchen manche in dieser Zeit einen Arzt auf – sei es, weil sie sich in ihrem Befinden beeinträchtigt fühlen, sei es, weil sie unter körperlichen Beschwerden leiden. Nicht selten diagnostiziert dann der Arzt eine Depression und verordnet das entsprechende Medikament, in der Regel ein Antidepressivum. Aber ist das gerechtfertigt?
Dieser Frage sind jetzt Forscher der Universität Würzburg nachgegangen. In ihrer Studie haben sie nach dem Unterschied zwischen Trauer und Depression gesucht. Verantwortlich dafür sind Joachim Wittkowski, außerplanmäßiger Professor an der Fakultät für Humanwissenschaft der Universität Würzburg, und Dr. Rainer Scheuchenpflug, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Psychologie III. Die Ergebnisse ihrer Studie haben die Wissenschaftler in der aktuellen Ausgabe des European Journal of Health Psychology veröffentlicht.
Studie mit 400 Teilnehmenden
Mehr als 400 Personen, die meisten von ihnen verwitwet oder verwaiste Eltern, haben an der Studie teilgenommen. Sie haben dabei ihr Erleben nach dem Verlust einer ihnen nahestehenden Person anhand eines Fragebogens speziell zur Erfassung von Trauerreaktionen beschrieben. Auf diese Weise konnten die Wissenschaftler verschiedene Komponenten des Trauerns messen. Zusätzlich haben die Teilnehmenden einen Fragebogen ausgefüllt, der standardmäßig zum Einsatz kommt, wenn es darum geht, eine Depression zu erfassen.
„Die statistischen Analysen zeigen, dass eine eng gefasste Vorstellung von normaler Trauer, die allein auf Beeinträchtigungen im Denken und Fühlen ausgerichtet ist, große Ähnlichkeit mit einer Depression hat“, schildert Joachim Wittkowski das zentrale Ergebnis der Studie. Lege man aber ein umfassenderes Bild von Trauern zugrunde, das auch die Nähe zur verstorbenen Person, die Sehnsucht nach ihr, Schuldgefühle sowie positive Aspekte der Trauererfahrung berücksichtigt, erweise sich Trauer als eine Reaktionsform, die sich deutlich von Depression unterscheidet.
Ein genauer Blick ist erforderlich
Für Ärztinnen, Psychologen und Angehörige anderer Berufsgruppen im Gesundheitswesen ergibt sich nach Aussage der Wissenschaftler daraus die Schlussfolgerung, sich ausführlich mit Menschen in Trauer zu befassen und dabei das Augenmerk nicht ausschließlich auf Kummer und gedrückte Stimmung zu lenken, sondern auch Schuldgefühle und das Empfinden der Nähe zur verlorenen Person zu beachten. Wenn der Todesfall bereits länger zurückliegt, seien auch persönliches Wachstum und eine Zunahme von Empathie für andere Menschen Merkmale, die nur für Trauernde gelten, nicht hingegen für Depressive.
„Als Leitschnur für die diagnostische Einordnung von Menschen nach einem schwerwiegenden Verlust kann gelten, dass Trauernde und Depressive sich in ihren Gefühlen ähneln, sich hingegen in ihren Gedanken unterscheiden“, sagt der Psychologe. Zwar werde immer gestorben – und getrauert auch. Gerade unter den Bedingungen, unter denen in Zeiten der Pandemie gestorben wird und Abschied genommen werden muss, sei der differenzierte Umgang mit Trauer und Depression noch wichtiger als sonst.
Prof. Dr. Joachim Wittkowski, T: +49 931 65171, wittkows@psychologie.uni-wuerzburg.de
Evidence on the conceptual distinction of grief from depression: A multi-faceted analysis of differential validity. European Journal of Health Psychology. Joachim Wittkowski und Rainer Scheuchenpflug. https://econtent.hogrefe.com/doi/10.1027/2512-8442/a000077
Criteria of this press release:
Journalists, Scientists and scholars
Psychology
transregional, national
Research results
German
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