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Wissenschaft
Empirische Studie zeigt, dass obersächsisch und mittelbairisch sprechende Menschen eher als traditionell und konservativ sowie weniger gewissenhaft eingeschätzt werden
Menschen, die den mittelbairischen und obersächsischen Dialekt sprechen, werden von anderen Menschen als weniger offen für Erfahrungen und weniger gewissenhaft wahrgenommen. Wobei obersächsisch sprechende Frauen und Männer hinsichtlich ihrer Offenheit für Erfahrungen negativer bewertet werden als mittelbairisch sprechende Frauen und Männer. Und obersächsisch sprechende Männer werden am wenigsten als gewissenhaft angesehen. Das ist ein Befund der Forschungen von Dr. Kerstin Trillhaase am Fachgebiet Kommunikationswissenschaft der TU Berlin.
In ihrer Dissertation untersuchte sie, wie der obersächsische und mittelbairische Dialekt die Wahrnehmung der Persönlichkeit eines Menschen, der einen solchen Dialekt spricht, beeinflusst. Dafür zog sie erstmals in der Sprachforschung die Kombination aus dialektalen Sprachaufnahmen und dem aus der Psychologie stammenden Modell der Big Five heran. Mit diesen Big Five – Neurotizismus, Extraversion, Offenheit für Erfahrungen, Verträglichkeit und Gewissenshaftigkeit wird versucht, die Persönlichkeit eines Menschen umfassend zu beschreiben. „Bislang gibt es Untersuchungen, inwiefern wie der typische Sachse und typische Bayer im Vergleich mit dem nicht Dialektsprecher als gebildet/ungebildet, temperamentvoll/ruhig und freundlich/unfreundlich angesehen werden, oder es wurde analysiert, wie anziehend, schön, melodisch, weich und logisch das Sächsische und Bairische empfunden werden“, sagt Dr. Kerstin Trillhaase, „aber Forschungen, inwiefern Dialekte die Wahrnehmung der Big Five tangieren, sind neu.“
Negative Bewertungen für den sächselnden Mann
Die Sprachwissenschaftlerin analysierte den Einfluss der zwei Dialekte auf die drei Faktoren Offenheit für Erfahrungen, Verträglichkeit und Gewissenshaftigkeit. Offenheit für Erfahrungen meint Offenheit für Fantasie, Ästhetik, Gefühle, Handlungen, Ideen sowie Offenheit des eigenen Normen- und Wertesystems. Verträglichkeit bezieht sich auf Vertrauen, Freimütigkeit, Altruismus, Entgegenkommen, Bescheidenheit sowie Gutherzigkeit. Und das Persönlichkeitsmerkmal Gewissenhaftigkeit umfasst die Facetten Kompetenz, Ordnungsliebe, Pflichtbewusstsein, Leistungsstreben, Selbstdisziplin, Besonnenheit.
Das Obersächsische wird ungefähr im Städtedreieck Leipzig-Dresden-Chemnitz gesprochen, das Mittelbairische erstreckt sich über den Großteil von Ober- und Niederbayern, wo auch München verortet ist, sowie Ober- und Niederösterreich. Für ihre empirischen Untersuchungen ließ Dr. Kerstin Trillhaase die aus Leipzig, Dresden, Chemnitz, Heidenau, München und aus ländlichen Gegenden Bayerns stammenden Probandinnen und Probanden einen Text einmal in ihrem jeweiligen Dialekt und einmal in Standarddeutsch vorlesen. Der Text gab eine Alltagssituation wieder. Am Ende hatte sie 88 Tonaufnahmen. Diese Tonaufnahmen wiederum wurden von 43 aus neun Bundesländern stammenden Hörerinnen und Hörern bewertet – hinsichtlich der drei oben genannten Persönlichkeitsfaktoren. Die Auswertung ergab, dass die sächsisch sprechenden Personen hinsichtlich Offenheit für Erfahrungen signifikant schlechter beurteilt wurden, als wenn sie den Text in Standarddeutsch vorlasen. Signifikant schlechter wurden auch sächsisch sprechende Männer hinsichtlich ihrer Wahrnehmung als gewissenhaft bewertet. „Führt man sich vor Augen, dass gewissenhafte Menschen als ordentlich, pflichtbewusst oder diszipliniert beschrieben werden und dem sächselnden Mann das alles kaum zugesprochen wird, dann könnte man fast zu dem Schluss kommen, er werde in seiner Kompetenz nicht ernst genommen“, sagt Dr. Kerstin Trillhaase. Interessanterweise wirkt sich der Dialekt für obersächsisch sprechende Frauen in dieser Kategorie nicht so negativ aus. Da konnte nur ein mittlerer Effekt im Vergleich zu dem von ihnen in der Standardsprache gelesenen Text festgestellt werden.
Frauen von Verzerrungen weniger betroffen als Männer
Bei mittelbairisch sprechenden Frauen dagegen hat der Dialekt auf die Wahrnehmung als offen für Erfahrungen und gewissenhaft im Vergleich zum Standarddeutsch nur kleine Effekte. Mittelbairisch sprechende Männer wiederum werden auch als weniger offen für Erfahrungen und gewissenhaft eingeschätzt, als wenn sie Standarddeutsch sprechen, jedoch nicht so negativ wie die obersächsisch sprechenden Probandinnen und Probanden. „Meine empirische Studie zeigt, dass ein Dialekt im Vergleich zum Standarddeutsch die Wahrnehmung der Persönlichkeit beider Geschlechter beeinflusst, und Dialekt sprechende Männer sind von einer solchen Verzerrung in der Wahrnehmung stärker betroffen als Frauen“, fasst Dr. Kerstin Trilhaase ihre Ergebnisse zusammen. Für den Persönlichkeitsfaktor Verträglichkeit allerdings ließen sich für beide Dialekte keine signifikanten Unterschiede zur Standardsprache feststellen.
Die Zuschreibungen erklärt die Sprachwissenschaftlerin zum Teil damit, dass Dialekte historisch betrachtet schon immer als Bauernsprache und damit als bildungsfern und einfältig stigmatisiert wurden und dass Menschen, die Dialekt sprechen, eher älter und männlich sind und auf dem Land leben und von daher mit Vorurteilen behaftet sind, traditionell, konservativ und konventionell zu sein sowie festgefahrene Einstellungen zu haben. Daraus werde dann, so Trillhaase, möglicherweise der Umkehrschluss gezogen, wer Dialekt spricht, ist traditionell und konservativ.
Um die Ergebnisse richtig zu deuten, ist es wichtig, darauf zu verweisen, dass Dialekt sprechende Menschen lediglich als weniger gewissenhaft oder weniger offen von ihrem Gegenüber wahrgenommen werden, was eben nicht heißt, dass es so ist. So widerlegte zum Beispiel die Studie des Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim von 2008 das Vorurteil, Dialekt sei die Sprache der sozialen Unterschicht. „Dialekt sprechende Personen haben per se kein niedrigeres Bildungsniveau als Sprecher des Hoch- beziehungsweise Standarddeutschs“, sagt Dr. Kerstin Trillhaase.
Wichtige Informationen für Bewerbungen und Personaler
Die Unterschiede in der Wahrnehmung der Persönlichkeit von Dialekt und Standarddeutsch sprechenden Menschen erklärt die Sprachwissenschaftlerin unter anderem mit der Modernisierung Deutschlands nach 1945 und einem damit einhergehenden Sprachwandel, der sich in einer Abkehr von Basisdialekten hin zum Standarddeutsch manifestiert. „Mehrere Studien, die aktuellste ist von 2019, zeigen, dass Personen, die Standarddeutsch sprechen, beziehungsweise dass das Standarddeutsch häufig positiver bewertet werden“, sagt Dr. Kerstin Trillhaase.
Dass das Obersächsische in ihrer Untersuchung deutlich schlechter abschneidet als das Mittelbairische korreliert mit Ergebnissen älterer Befragungen zur Beliebtheit/Unbeliebtheit von deutschen Dialekten. Seit Jahren führt das Sächsische die Unbeliebtheitsskala an. Zudem könnten sich Stereotype zu Bürgerinnen und Bürgern der ehemaligen DDR auf sächsisch sprechende Personen übertragen haben, da sich Ansichten über das „Sächsische“ und „Ostdeutsche“ teilweise überlagern.
Für das praktische Leben bedeuten ihre Befunde, dass sich Dialektsprecher dieser Wahrnehmungsverzerrungen bewusst sein sollten – zum Beispiel im Bewerbungsprozess oder im beruflichen Alltag. Das gelte auch für Personalmanagerinnen und Personalmanger, um sich vom Dialekt nicht zu Fehlurteilen verleiten zu lassen. Als Anstoß, nicht mehr Dialekt zu sprechen, so will Kerstin Trillhaase ihre Dissertation jedoch in keinem Fall verstanden wissen.
Kerstin Trillhaase, „Der Einfluss der deutschen Dialekte Obersächsisch und Mittelbairisch auf die Wahrnehmung der Persönlichkeit“, in Mündliche Kommunikation, Hrsg. von W. Sendlmeier, Logos Verlag Berlin GmbH 2021, Band 11, 225 Seiten, ISBN 978-3-8325-5313-5
Weitere Informationen erteilt Ihnen gern:
Dr. Kerstin Trillhaase
TU Berlin
Fachgebiet Kommunikationswissenschaft
E-Mail: k.trillhaase@gmx.de
Criteria of this press release:
Journalists, Scientists and scholars
Language / literature, Social studies
transregional, national
Research results, Scientific Publications
German
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