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03/31/2004 10:56

Knochenarbeit im Kraichgau

Dipl.Biol. Renate Ries Kommunikation
Klaus Tschira Stiftung gGmbH

    Klaus Tschira Stiftung fördert wissenschaftliches Projekt des Vereins Homo heidelbergensis von Mauer e.V. - Verein stellt seine Arbeit am 4. April der Öffentlichkeit vor

    Die Frage, ob man ihnen in Heidelberg die Fundstätte des Homo heidelbergensis zeigen könne, müssen die Bewohner der altehrwürdigen Universitätsstadt regelmäßig verneinen. Zwar wird der weltberühmte Unterkiefer des nach Heidelberg benannten Frühmenschen im Geologisch-Paläontologischen Museum der hiesigen Universität aufbewahrt. Doch entdeckt wurde das bedeutende Fossil in einem weitgehend unbekannten Dorf namens Mauer, einer 3500 Einwohner zählenden Gemeinde, 17 km Luftlinie südöstlich von Heidelberg im Kraichgau gelegen.

    Hier gründeten vor drei Jahren Bürger und Wissenschaftler einen mittlerweile sehr aktiven Verein, der ein großes Ziel hat: Homo heidelbergensis von Mauer e.V. möchte in Mauer ein "Europäisches Hominidenzentrum" bauen, damit am Leben unserer Vorfahren Interessierte sich direkt an der Fundstelle informieren können. Die Klaus Tschira Stiftung unterstützt eine wichtige Voraussetzung für dieses Projekt: die vollständige digitale Katalogisierung und Klassifizierung aller Tierfossilien aus den Mauerer Sanden.

    In diesen Sanden, genauer sagt in der Sandgrube im Gewann "Grafenrain", hatte Daniel Hartmann vor bald 100 Jahren - am 21.10.1907 - plötzlich eine Sensation auf seiner Schaufel. Hartmann identifizierte den Unterkiefer, den er ausgegraben hatte, als eindeutig "vom Adam" und begab sich damit auf den Weg zum Mauerer Rathaus. Dass der einfache Arbeiter diese Zuordnung spontan und richtig machen konnte, ist dem Universalgelehrten und Professor der Heidelberger Universität Otto Karl Friedrich Schoetensack zu verdanken. Seit dem frühen 19. Jahrhundert waren in Mauer und Umgebung tierische Fossilien verschiedenster Arten aus dem Pleistozän (1,8 Millionen bis 11 500 v. Chr.) gefunden worden. Schoetensack hatte aus diesen Funden geschlossen, dass in den Mauerer Sanden auch mit dem Auftauchen fossiler Hominidenreste zu rechnen sei. Der begeisterte Forscher schulte die Arbeiter darin, auf solche Funde zu achten, doch er musste sich 20 Jahre gedulden, bis seine Voraussage bewiesen wurde.

    Der Unterkiefer war demnach kein Zufallsfund. Doch er blieb der einzige Teil eines Hominiden, der bislang in Mauer gefunden wurde. Schoetensack nannte ihn Homo heidelbergensis, ordnete ihn in die Reihe der menschlichen Vorfahren ein und machte ihn damit weltberühmt. Lange Zeit war dieser Unterkiefer eines 18 - 25jährigen Mannes das älteste Fundstück europäischer Menschenahnen, bis in Spanien und im Kaukasus noch ältere Funde gemacht wurden. Wissenschaftler nehmen an, dass sich aus dem Homo erectus heidelbergensis in Europa der Neandertaler entwickelte und in Afrika der Homo sapiens, unser direkter Vorfahr. Während die Neandertalmenschen heute als ausgestorbene Seitenlinie in der menschlichen Stammesgeschichte angesehen werden, geht man in Mauer noch davon aus, dass alle Mitteleuropäer einige Wurzeln im Kraichgau haben.

    In der Flussschleife des Ur-Neckars, in die der Kiefer vor circa 550 000 bis 600 000 Jahren von einem vermutlich nicht weit entfernten Ort angeschwemmt wurde, lebte zu jener Zeit eine mannigfaltige Tierwelt. Paläontologen fanden beispielsweise fossile Reste von heute ausgestorbenen Tieren wie dem Waldelefanten, dem kurzhörnigen Urrind, dem kronenlosen Hirsch und dem kleinen Mosbachpferdchen. Sie lebten im lichten Wald, der die Ufer des Ur-Neckars säumte. Im Fluss schwammen Biber und Flusspferd. Und aus dem Hinterland jenseits des Waldgürtels kamen der Säbelzahntiger und das etruskische Nashorn, um Beute und Futter im Uferbereich zu suchen.

    Damit ist Mauer eine der bedeutendsten Fundstätten tierischer Wirbeltiere des europäischen Pleistozäns. Über 5000 Fossilien sind bis heute bekannt. Doch wie vielfältig die Fauna war, so verstreut sind heute ihre fossilen Reste. Einen Großteil der ca. 4500 Objekte zählenden "Heidelberger Sammlung", die der Heidelberger Universität gehören, bewahrt zur Zeit das Staatliche Museum für Naturkunde in Karlsruhe auf. Weitere Fossilien sind von Mauer aus in die ganze Welt gelangt, sowohl in staatliche Museen als auch in private Sammlungen.

    In einem zweijährigen Projekt, das die Klaus Tschira Stiftung fördert, möchte nun der Mauerer Verein einen umfassenden digitalen Katalog erstellen, der möglichst viele Fossilien aus Mauer klassifiziert. Diese Bestandsaufnahme wird die wissenschaftliche Datengrundlage schaffen, auf der das gewünschte Hominidenzentrum aufgebaut werden könnte. Zu der Arbeit gehört auch die detektivische Recherche nach weiteren, bislang unbekannten Standorten von Mauerer Fossilien. "Wer weiß", hofft Erich Mick, ehemaliger langjähriger Bürgermeister von Mauer und heutiger Vereinsvorsitzender, "vielleicht findet sich auf dem ein oder anderen Dachboden oder Keller noch eine wissenschaftliche Rarität." Zur weitergehenden wissenschaftlichen Bearbeitung und späteren öffentlichen Präsentation wünscht sich der Verein auch die Rückführung der Fossilien an ihren Fundort.

    Bislang hat der Verein "Homo heidelbergensis von Mauer e.V." bereits über 200 Mitglieder für sein Vorhaben begeistern können. Neben interessierten Bürgern sind Wissenschaftler verschiedenster Fachrichtungen (Paläontologen, Geologen, Geochronologen, Mineralogen, Sedimentologen, Molekularbiologen und Sportwissenschaftler) vertreten, die in Vorträgen, wissenschaftlichen Tagungen und Demonstrationen die Welt des Homo heidelbergensis Stück für Stück rekonstruieren und ihre Mitbürger dafür begeistern.

    Am 4. April von 14 - 17 Uhr öffnen die Mitglieder ihr Vereins- und Informationszentrum in der Bahnhofstr. 4 in Mauer (Heid'sches Fachwerkhaus). In dem restaurierten Haus aus dem 16. Jahrhundert gibt es neu eingerichtete Vitrinen mit zahlreichen Funden zu sehen und die Vereinsmitglieder stehen für Fragen zur Verfügung. Erstmals wird als "Bausteine" für das geplante Originalsand aus der Fundschicht des Homo heidelbergensis zum Verkauf angeboten. Zur gleichen Zeit ist das Urgeschichtliche Museum im Rathaus der Gemeinde geöffnet. Weitere Informationen unter www.homoheidelbergensis.de

    Kontakt:

    Renate Ries, Klaus Tschira Stiftung, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit,
    Tel.: 06221-533214; Fax: 06221-533198
    renate.ries@kts.villa-bosch.de

    Weitere Informationen und Fotos für die Berichterstattung erhalten Sie bei
    Erich Mick, Homo heidelbergensis von Mauer e. V., Tel: 06226-8492, Fax: 06226-931827
    info@homoheidelbergensis.de
    www.homoheidelbergensis.de
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    Die Klaus Tschira Stiftung (KTS) fördert vor allem Forschungsvorhaben der angewandten Informatik, der Naturwissenschaften und der Mathematik. Bei allen Aktivitäten ist die KTS darauf bedacht, das Verständnis der Öffentlichkeit für Naturwissenschaften, Mathematik und Informatik zu fördern. Sitz der Stiftung ist die Villa Bosch, der ehemalige Wohnsitz des Chemie-Nobelpreisträgers Carl Bosch (1874 - 1940). Weitere Informationen unter www.kts.villa-bosch.de


    More information:

    http://www.kts.villa-bosch.de
    http://www.homoheidelbergensis.de


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    Criteria of this press release:
    Biology, Geosciences, History / archaeology, Information technology, Social studies
    transregional, national
    Research projects
    German


     

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