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Wissenschaft
Astronomen ist es gelungen, die Eigenschaften der inneren Planeten unseres Sonnensystems aus unserer kosmischen Geschichte heraus zu erklären: durch Ringe in der Scheibe aus Gas und Staub, in der die Planeten entstanden sind. Die Ringe hängen mit Eigenschaften zusammen wie dem Übergang von einer äußeren Region, in der sich Eis bilden kann, zu einer inneren Region, in der Wasser nur als Wasserdampf existieren kann. Die Astronomen nutzten eine Reihe von Simulationen, um verschiedene Möglichkeiten der Entwicklung der inneren Planeten zu untersuchen. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Nature Astronomy veröffentlicht.
In groben Zügen ist das Bild der Astronomie von der Entstehung unseres Sonnensystems seit Jahrzehnten unverändert. Aber die Details sind nach wie vor Gegenstand aktueller Forschung. Jetzt hat eine Gruppe von Astronomen unter der Leitung von Andre Izidoro von der Rice University, zu der auch Bertram Bitsch vom Max-Planck-Institut für Astronomie gehört, eine Erklärung für die Eigenschaften der inneren Planeten unseres Sonnensystems gefunden.
Eine wirbelnde Scheibe und Ringe, die alles verändern
Um einen jungen Stern bildet sich eine "protoplanetare Scheibe" aus Gas und Staub, und in dieser Scheibe wachsen immer größere kleine Körper, die schließlich Durchmesser von Tausenden von Kilometern erreichen, das heißt: zu Planeten werden. Doch in den letzten Jahren hat sich das moderne Bild der Planetenentstehung dank moderner Beobachtungsmethoden verfeinert und in ganz bestimmte Richtungen verändert.
Die auffälligste Veränderung wurde durch ein Foto ausgelöst: das erste Bild, das die ALMA-Beobachtung nach ihrer Fertigstellung im Jahr 2014 aufnahm. Das Bild zeigt die protoplanetare Scheibe um den jungen Stern HL Tauri in nie dagewesener Detailtreue. Was dabei sichtbar wurde, hatten die Astronom*innen zuvor noch nie so direkt gesehen: ein regelmäßiges Muster aus Ringen und Lücken in dieser Scheibe.
Im Vergleich mit Simulationen protoplanetarer Scheiben wurde klar, dass solche Ringe und Lücken in der Regel mit "Druckschwellen" verbunden sind, also Regionen, in denen der lokale Druck etwas niedriger ist als in den umliegenden Regionen. Das Auftreten solcher Druckschwellen ist typischerweise mit Veränderungen in der Scheibenzusammensetzung verbunden, vor allem in der Größe der Staubkörner.
Drei Übergänge, drei Ringe
Insbesondere gibt es Druckschwellen in drei wichtigen Übergangsregionen, die direkt mit grundlegenden physikalischen Eigenschaften zusammenhängen. In unmittelbarer Nähe des Sterns, bei Temperaturen über 1400 Kelvin, können Silikatverbindungen (ähnlich jenen aus denen Sandkörner bestehen) nur als Gas vorkommen. Insbesondere können innerhalb dieser Grenze überhaupt keine Planeten entstehen. Außerhalb der Grenze, also unterhalb der genannten Temperatur, gehen die Silikatverbindungen direkt in einen festen Zustand über (sie "kondensieren"). Damit ist eine innere Grenze für die Planetenbildung definiert.
Weiter außen, bei 170 Kelvin (-100 Grad Celsius), gibt es einen Übergang zwischen Wasserdampf einerseits und Wassereis andererseits, die so genannte (Wasser-)Schneelinie. (Der Grund dafür, dass diese Temperatur so viel niedriger ist als die uns vertraute Übergangstemperatur von 0 Grad Celsius, bei denen Wasser auf der Erde gefriert, ist der im Vergleich zur Erdatmosphäre viel geringere Druck). Bei noch niedrigeren Temperaturen, 30 Kelvin (-240 Grad Celsius), liegt die CO-Schneegrenze; unterhalb dieser Temperatur bildet Kohlenmonoxid ein festes Eis.
Druckschwellen als Pebble-Fallen
Was bedeutet das für die Entstehung von Planetensystemen? Eine Reihe früherer Simulationen hatten bereits gezeigt, wie solche Druckschwellen die Bildung von Planetesimalen erleichtern – also die Entstehung jener kleinerer Objekte mit einem Durchmesser zwischen 10 und 100 Kilometern, von denen man annimmt, dass sie die Bausteine für Planeten sind.
Die Planetenentstehung beginnt ja mit ungleich kleineren Objekten, nämlich mit Staubkörnern. Diese Staubkörner neigen dazu, sich in der Region etwas niedrigeren Drucks zu sammeln, die man in einer Druckschwelle findet. Körner einer bestimmten Größe driften natürlicherweise immer weiter nach innen, also auf den Stern zu, bis sie durch den höheren Druck am inneren Rand der Druckschwelle gestoppt werden.
Mit zunehmender Konzentration der Staubkörner an der Druckschwelle und insbesondere mit zunehmendem Verhältnis von festem Material (das dazu neigt, weiter zusammenzuklumpen) zu Gas (das die Staubkörner auseinander drückt) wird es für diese Körner leichter, sich zu sogenannten Pebbles zusammenzuschließen. Das ist der nächste Schritt auf dem Entwicklungsschritt hin zu größeren Objekten: Pebbles, wörtlich "Kieselsteinchen", sind Klumpen von einigen Millimetern bis zu einigen Zentimetern Größe.
Die Rolle von Druckschwellen für das (innere) Sonnensystem
Aber was ist die Rolle solcher Strukturen für die großräumigen Eigenschaften von Planetensystemen wie unserem eigenen Sonnensystem? Dort haben wir es ja mit einer charakteristischen Verteilung von felsigen, terrestrischen inneren Planeten und äußeren Gasplaneten zu tun. Mit der offenen Frage, wie sich diese Verteilung erklären lässt, beschäftigten sich Andre Izidoro (Rice University) und Bertram Bitsch vom Max-Planck-Institut für Astronomie und ihre Kollegen. Auf der Suche nach Antworten kombinierten sie mehrere Simulationen, die verschiedene Phasen der Planetenbildung abdecken.
Konkret konstruierten die Astronomen ein Modell einer Gasscheibe mit drei Druckschwellen: an der Grenze, ab der Silikate gasförmig werden, sowie an den Wasser- und CO-Schneelinien. Anschließend simulierten sie, wie Staubkörner in der Gasscheibe wachsen (und zum Teil ja auch wieder auseinanderfallen), die Bildung von Planetesimalen, das Wachstum von Planetesimalen zu Planetenembryonen (von 100 km Durchmesser auf 2000 km) in der Nähe unserer Erde (im Abstand "1 Astronomische Einheit", der mittleren Entfernung der Erde von der Sonne), das Wachstum von Planetenembryonen zu Planeten für die terrestrischen Planeten sowie die Ansammlung von Planetesimalen in einem neu gebildeten Asteroidengürtel.
In unserem eigenen Sonnensystem beherbergt der Asteroidengürtel zwischen den Umlaufbahnen von Mars und Jupiter zahlreiche kleinere Körper (davon geschätzt zwischen 100 und 1000 mit Durchmessern von 10 Kilometern und mehr), von denen man annimmt, dass sie Überreste oder Kollisionsfragmente von Planetesimalen in jener Region sind, die nie zu Planetenembryonen, geschweige denn zu Planeten heranwuchsen.
Variationen über ein planetarisches Thema
Bei Simulationen dieser Art ist die folgende Frage von einigem Interesse: Was, wenn die Ausgangsbedingungen nur ein wenig anders wären? Wäre das Endergebnis dasselbe (oder zumindest ähnlich), oder komplett anders? Das Verständnis dieser Art von Variationen ist wichtig, um zu verstehen, welche der Zutaten für das Ergebnis der Simulation entscheidend sind. Aus diesem Grund analysierten Bitsch und seine Kollegen eine Reihe verschiedener Szenarien mit unterschiedlichen Eigenschaften für die Zusammensetzung und das Temperaturprofil der protoplanetaren Scheibe. In einigen der Simulationen berücksichtigten sie dabei nur die Silikat- und Wassereis-Druckschwellen, in anderen alle drei Druckschwellen.
Die Ergebnisse zeigen einen direkten Zusammenhang zwischen dem Aussehen unseres Sonnensystems und der Ringstruktur seiner protoplanetaren Scheibe. Bertram Bitsch vom Max-Planck-Institut für Astronomie, der sowohl an der Planung dieses Forschungsprogramms als auch an der Entwicklung einiger der verwendeten Methoden beteiligt war, sagt: "Für mich war es eine völlige Überraschung, wie gut unsere Modelle die Entwicklung eines Planetensystems wie unseres Sonnensystems abbilden konnten - bis hin zu den leicht unterschiedlichen Massen und chemischen Zusammensetzungen von Venus, Erde und Mars."
Wie erwartet, bildeten sich in diesen Modellen Planetesimale in natürlicher Weise in der Nähe der Druckschwellen: in einem "kosmischen Stau" für nach innen driftende Pebbles, die dann durch den höheren Druck an der inneren Grenze des Druckschwelle aufgehalten wurden.
Rezept für unser (inneres) Sonnensystem
Für die inneren Regionen der simulierten Systeme konnten die Forscher auf diese Weise herausfinden, welche Bedingungen für die Entstehung unseres eigenen Sonnensystems nötig sind: Enthält die Region direkt außerhalb der innerste Druckschwelle (gasförmige vs. feste Silikate) Planetesimale mit einer Gesamtmasse von rund 2,5 Erdmassen, so wachsen jene zu etwa marsgroßen Körpern heran – passend zu den inneren Planeten im Sonnensystem.
Eine massereichere Scheibe oder aber auch eine höhere Effizienz bei der Bildung von Planetesimalen würde stattdessen zur Entstehung von "Super-Erden" führen, deutlich massereicheren Felsplaneten. Deren Umlaufbahnen wären vergleichsweise eng am Stern, direkt an der Grenze der innersten Druckschwelle. Die Existenz dieser Grenze kann natürlicherweise auch erklären, warum es keinen Planeten gibt, der näher an der Sonne liegt als Merkur - das nötige Material wäre in dieser Nähe des Sterns einfach verdampft.
Die Simulationen gehen sogar so weit, dass sie die leicht unterschiedliche chemische Zusammensetzung von Mars auf der einen und Erde und Venus auf der anderen Seite erklären: In den Modellen sammeln Erde und Venus das meiste Material, aus dem sich ihre Masse bilden wird, aus Regionen, die näher an der Sonne liegen als die derzeitige Umlaufbahn der Erde. Die Mars-Analoga in den Simulationen dagegen entstanden hauptsächlich aus Material aus Regionen, die etwas weiter von der Sonne entfernt sind.
Wie man einen Asteroidengürtel baut
Jenseits der Marsumlaufbahn entstand in den Simulationen eine Region, die anfangs nur spärlich mit Planetesimalen besiedelt oder in einigen Fällen sogar völlig leer war – der Vorläufer des heutigen Asteroidengürtels unseres Sonnensystems. Einige Planetesimale aus den Zonen innerhalb oder direkt jenseits des Asteroidengürtels verirrten sich jedoch später in die Region des Asteroidengürtels und blieben dort hängen.
Zusammenstöße jener Planetesimale führten zur Entstehung kleinerer Brocken und damit dem, was wir heute als Asteroiden beobachten. Die Simulationen sind sogar in der Lage, die verschiedenen Asteroidenpopulationen zu erklären: Die als S-Typ-Asteroiden bezeichneten Körper, die größtenteils aus Siliziumdioxid bestehen, wären die Überreste von versprengten Objekten aus der Region rund um den Mars, während die C-Typ-Asteroiden, die überwiegend Kohlenstoff enthalten, aus der Region direkt außerhalb des Asteroidengürtels gekommen wären.
Äußere Planeten und Kuipergürtel
In dieser äußeren Region, knapp außerhalb der Druckschwelle, die die innere Grenze für das Vorhandensein von Wassereis markiert, zeigen die Simulationen den Beginn der Bildung von Riesenplaneten an. Die Planetesimale in der Nähe dieser Grenze haben in den meisten der Simulationen eine Gesamtmasse zwischen dem 40- und 100-fachen der Masse der Erde. Das mit Abschätzungen zur Gesamtmasse der Kerne der Riesenplaneten Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun in unserem Sonnensystem überein.
Unter diesen Verhältnissen sollten die massereichsten Planetesimale schnell an Masse zunehmen. In den vorliegenden Simulationen wurde diese (anderweitig bereits gut untersuchte) spätere Entwicklung dieser Riesenplaneten nicht weiterverfolgt. Dabei liegen die Umlaufbahnen jener Riesen anfänglich recht eng beieinander. Uranus und Neptun wandern erst später nach außen zu ihren heutigen Abständen von der Sonne.
Nicht zuletzt können die Simulationen eine weitere Klasse von Objekten und ihre Eigenschaften erklären: die so genannten Kuiper-Gürtel-Objekte. Sie entstehen außerhalb der dritten, äußersten Druckschwelle, welche die innere Grenze für die Existenz von Kohlenmonoxid-Eis markiert. Die Simulationen zeigen sogar, woher die leichten Unterschiede in der Zusammensetzung der bekannten Kuipergürtel-Objekte stammen: Sie ntsprechen den Unterschieden zwischen Planetesimalen, die sich ursprünglich außerhalb der CO-Schneelinie gebildet hatten und dort geblieben sind, und Planetesimalen, die sich aus der angrenzenden inneren Region der Riesenplaneten in den Kuipergürtel verirrt haben.
Zwei mögliche Ergebnisse und ein seltenes Sonnensystem
Insgesamt gab es bei den Simulationen zwei grundlegend unterschiedliche Ergebnisse: Entweder bildete sich sehr früh eine Druckschwelle an der Wassereis-Schneelinie aus. In dem Falle entwickelten sich innere und äußere Region des Planetensystems bereits recht früh unabhängig voneinander, nämlich ab den ersten hunderttausend Jahren. Das führte zur Entstehung massearmer erdähnlicher Planeten im inneren Planetensystem, wie in unserem eigenen Sonnensystem.
Bildet sich die Wasser-Schneegrenze-Druckschwelle dagegen später oder war sie insgesamt nicht so ausgeprägt, dann konnte mehr Masse in den inneren Bereich driften. Das wiederum führte zur Entstehung von Super-Erden oder Mini-Neptunen im inneren Teil des Planetensystems. Die Statistik derjenigen Exo-Planetensysteme, die Astronom*innen bisher gefunden haben, zeigt, dass dieser Fall bei weitem wahrscheinlicher ist – und unser eigenes Sonnensystem ein vergleichsweise seltenes Ergebnis darstellt.
Ausblick
Die hier beschriebene Studie konzentriert sich auf das innere Sonnensystem mit seinen terrestrischen (erdähnlichen) Planeten. Als nächstes wollen die beteiligten Astronomen Simulationen durchführen, die auch die äußeren Regionen, wo sich in unserem Sonnensystrem Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun befinden, genauer untersuchen. Ziel ist es, am Ende eine vollständige Erklärung für die Eigenschaften unseres und anderer Sonnensysteme zu finden.
Zumindest für das innere Sonnensystem wissen wir jetzt, dass und wie die wichtigsten Eigenschaften der Erde und ihres nächsten Nachbarplaneten auf eine recht grundlegende Physik zurückgeführt werden können: den Übergang zwischen Wassereis und Wasserdampf und die damit verbundene Druckschwelle in der Scheibe aus Gas und Staub, die unsere junge Sonne umgab.
Hintergrundinformationen
Die hier beschriebenen Ergebnisse wurden als A. Izidoro et al. "Planetesimal rings as the cause of the Solar System's planetary architecture" in der Zeitschrift Nature Astronomy veröffentlicht.
Der beteiligte MPIA-Forscher ist Bertram Bitsch, unabhängiger Forschungsgruppenleiter in der Abteilung Planeten- und Sternentstehung, in Zusammenarbeit mit Andre Izidoro, Rajdeep Dasgupta, Andrea Isella (alle Rice University), Sean N. Raymond (Université de Bordeaux) und Rogerio Deienno (Southwestern Research Institute).
Das ALMA-Bild samt hochauflösender Versionen kann von den ESO-Webseiten heruntergeladen werden unter: https://www.eso.org/public/germany/images/eso1436a/
Journalist*innen, die Zugang zu dem genannten Fachartikel (insbesondere auch vor Ablauf der Sperrfrist) benötigen, wenden sich bitte an press@nature.com
Bertram Bitsch
Max-Planck-Institut für Astronomie, Heidelberg
Tel. +49 6221 528-427
bitsch@mpia.de
Die hier beschriebenen Ergebnisse wurden als A. Izidoro et al. "Planetesimal rings as the cause of the Solar System's planetary architecture" in der Zeitschrift Nature Astronomy veröffentlicht. Journalist*innen, die Zugang zu dem genannten Fachartikel (insbesondere auch vor Ablauf der Sperrfrist) benötigen, wenden sich bitte an press@nature.com
http://Online-Version der Pressemitteilun: https://www.mpg.de/18026335/1214-astr-ringe-und-planetenentstehung-106969-x
http://Das ALMA-Bild samt hochauflösender Versionen kann von den ESO-Webseiten heruntergeladen werden unter: https://www.eso.org/public/germany/images/eso1436a/
Bilder wie dieses hier, das 2014 mit dem ALMA-Observatorium aufgenommen wurde, haben Astronom*innen ...
© ALMA (ESO/NAOJ/NRAO)
Criteria of this press release:
Business and commerce, Journalists, Scientists and scholars, Students, Teachers and pupils, all interested persons
Physics / astronomy
transregional, national
Research results
German
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