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Medienkonsum und Digitalisierung bekamen mit Homeschooling und Homeoffice eine völlig neue Dimension. Die Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Stephan Degle und Dr. Michaela Friedrich im Fachgebiet Augenoptik, Optometrie und Vision Science der Ernst-Abbe-Hochschule (EAH) Jena wertete aktuelle Datenerhebungen zu Nutzungszeiten sowie Studien zum Medienkonsum von Kindern aus. Der Fokus lag auf den gesundheitlichen Auswirkungen – hier insbesondere auf den Augen und dem Sehen. Ausgewählte Grundlagen, Zusammenhänge und empirische Erkenntnisse sind nachfolgend dargestellt.
Aufgrund der pandemiebedingten, politischen Maßnahmen bestimmen digitale Medien seit über zwei Jahren bei vielen Erwachsenen die Arbeit und ihre Freizeit. 2021 stieg die tägliche Nutzung von Massenmedien bei den 14- bis 69-Jährigen auf 10,5 h täglich. Werden digitale Medien wie E-Mails, Nachrichten und Telefonate der Individualkommunikation dazugezählt, sind das im Durchschnitt 13 h täglich (Media Activity Guide von SevenOne Media). Demzufolge sind wir fast den ganzen Tag „digital unterwegs“ und selbst die Ruhe- und Schlafenszeiten sind davon betroffen. Und das ist „normal“ für uns. Aber nicht nur bei den Erwachsenen haben die Nutzungszeiten von Smartphone, Tablet und PC stark zugenommen - besonders bei immer jüngeren Kindern sind steigende Nutzungszeiten zu verzeichnen. Fakt ist: Erwachsene, Jugendliche und Kinder nutzen digitale Endgeräte in einem bisher nicht dagewesenen Ausmaß!
Mittlerweile haben die Bundesländer Mittel zur Anschaffung von Geräten bereitgestellt. Es ist also politisch gewollt, dass Kinder auch digital beschult werden. Allerdings sind die finanziellen Mittel i. d. R. ausschließlich für den Kauf von Hardware, nicht aber für Konzepte für einen sinnvollen Umgang mit digitalen Medien. Darüber hinaus wird der private Umgang mit digitalen Medien in Deutschland grundsätzlich nicht reglementiert, aber der soziale Umgang in der Pandemie Situation, z. B. durch Kontaktverbote. Auf Verstoß gegen die Maßnahmen gibt es Strafen und Bußgelder. Jedoch gibt es kein Gesetz, was den täglichen Umgang mit digitalen Medien für Kinder vorschreibt. Damit können auch beispielsweise übermäßige Nutzungszeiten nicht als Ordnungswidrigkeit o. ä. verfolgt werden. Auf der einen Seite ermöglicht die Digitalisierung die Vermittlung von Wissen, wo Präsenzunterricht untersagt oder Quarantäne angeordnet wird. Außerdem ermöglichen digitale Medien den Austausch von Menschen, auch ohne reale Kontakte. Diesen Vorteilen stehen aber auf der anderen Seite negative Effekte gegenüber - die Auswirkungen von Homeschooling und sozial Media. In der WHO-Studie „Health Behaviour in Schoolaged Children (HBSC)“ wurden die Auswirkungen deutlich: Je mehr Zeit die Jugendlichen (ca. 5000 Schulkinder) vor dem Bildschirm/Display verbrachten und je häufiger sie soziale Medien nutzten, desto häufiger traten chronische Kopfschmerzen, Rückenschmerzen und Schwindel auf. Als Ursachen dafür werden eine schlechte Körperhaltung und/oder die Ermüdung der Augen genannt.
Da wir die meisten Informationen mit den Augen aufnehmen, leiden unsere Augen besonders an den Folgen des täglich, hohen digitalen Konsums. Denn die menschlichen Augen sind nicht für dauerhaftes Nahsehen auf Bildschirme und Displays ausgelegt. Sie werden durch den dauernden Blick in die Nähe stark belastet. Diese Gefahren für die Augen bestehen selbst für Erwachsene an Arbeitsplätzen, die nach aktuellem Stand „ergonomisch“ gestaltet sind und natürlich auch bei Kinderaugen. Hier haben viele Kinder weder schulisch noch privat die Möglichkeiten einer Optimierung wie Erwachsene. Umso mehr besteht Aufklärungsbedarf für einen sinnvollen zeit- und inhaltsbedingten Umgang mit digitalen Medien bei Kindern und Jugendlichen sowie den Aufbau von Medienkompetenz. Obwohl wir im digitalen Zeitalter leben, ist Medienkompetenz nicht angeboren, sondern muss erlernt werden. Dabei geht es nicht nur um die reine Nutzung der Geräte, denn häufig ist die Bedienung mit dem Einfingersystem auch für kleinere Kinder unkompliziert möglich und schnell erlernbar. Es geht um die Verwendung digitaler Medien mit einem echten Nutzen zur Informationsbeschaffung und einen kritischen Umgang mit Informationen zur eigenen Meinungsbildung.
Auswirkungen von Bewegungsmangel und dauerhafter Naharbeit
Durch intensive Mediennutzung können bei Kindern und Erwachsenen folgende Symptome auftreten und Störungen entstehen:
- visuelle Störungen, z. B. Beeinträchtigungen des beidäugigen Sehens
- systemische Störungen, z. B. Kopfschmerzen
- physische Störungen, z. B. Nacken-Schulter-Schmerzen
- psychische Störungen, z. B. Abhängigkeit
Dr. Michaela Friedrich: „Leider spielen die Kinder heutzutage deutlich weniger draußen als noch vor 20 Jahren. Um Kinder in der Pandemie zu „schützen“, wurden politisch Regelungen in Deutschland getroffen. Über die Maßnahmen werden Kinder und Jugendliche gezwungen, häufiger ohne Bewegung zu sein und digitale Medien zu nutzen, weil es in der Quarantäne oder im Lockdown so angeordnet wird. Zudem die soziale Isolation. Wenig oder gar nicht beachtet wird, welche Auswirkungen diese Maßnahmen auf die Gesundheit und Entwicklung der Kinder haben. Eine aktuelle Studie zeigt: in der Corona-Pandemie ist die Mediensucht bei Kindern und Jugendlichen deutlich gestiegen, im Besonderen bei Computerspielen wurde ein Anstieg um 52 % festgestellt (DAK & UKE 2021). Leider waren im Winter 2020/21 auch alle Kinder und Jugendlichen durch die pandemiebedingten Maßnahmen wie Schulschließungen und Kontaktreduzierungen betroffen, so dass sich viele ihre Zeit mit digitalen und sozialen Medien „vertrieben“ haben. Wir leben in einer Zeit, in der die Angst sehr stark dominiert. Das merken auch die Kinder. Unsere Aufgabe sollte es sein, Perspektiven und konstruktive Lösungsvorschläge aufzuzeigen und nicht durch „Schutzmaßnahmen“ die gesamte Entwicklung von Kindern und Jugendlichen negativ zu beeinflussen. Gefordert sind umso mehr Eltern, Erzieher*innen und Pädagog*innen, durch aktive Begleitung im Umgang mit digitalen Medien, Einfluss auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu nehmen und vor allem Bewegung und Ausgleich zu digitalen Medien anzubieten.“
Computer Vision Syndrome
Der Bewegungsmangel und die ständige Naharbeit sorgen häufig für einen Komplex mit typischen Beschwerdemustern, die in der Wissenschaft unter den modernen Begriffen Computer Vision Syndrome (CSV), Office Eye Syndrome (OES) oder Digital Eye Strain (DES) zusammengefasst werden. Typische Beschwerden sind Kopfschmerzen, Augenschmerzen, Trockene Augen, Verspannungen und Haltungsbeschwerden sowie Unschärfe und Doppeltsehen. Ausgelöst werden diese durch die statische Tätigkeit und eine hohe Konzentration auf den Bildschirm/Display. Und Kinder können genau die gleichen Beschwerdebilder bekommen wie Erwachsene, nur eben schon früher. Und da sie sich noch im Wachstum befinden, können sich Störungen manifestieren und zu lebenslangen Belastungen werden. Den Bezugspersonen sind die Belastungen der Augen durch übermäßige Nutzung digitaler Medien und die daraus resultierenden Konsequenzen frühkindlicher Fehlentwicklungen wahrscheinlich gar nicht so bewusst oder völlig unbekannt. Wichtig ist deshalb im Alltag von Erwachsenen und auch im Alltag von Kindern: für Abwechslung sorgen und immer wieder mal in die Ferne schauen. Dazu regelmäßig Pausen zu machen (auch bei Computerspielen) und regelmäßiges bewusstes Blinzeln (schließen der Augen), damit die Augen wieder besser versorgt werden.
Zunehmende Kurzsichtigkeit
Prof. Dr. Stephan Degle berichtet: „Bei Schülern und Studierenden sehen wir sowohl in der optometrischen Forschung als auch in der Praxis, dass es in den vergangenen Monaten in zahlreichen Fällen zur einer ,coronabedingten´ starken Zunahme von Kurzsichtigkeit kommt. Dabei hat der Anstieg von Kurzsichtigkeit nichts direkt mit der Sehschärfe zu tun, vielmehr ist er die Folge davon, dass die Kinder so viel mehr in der Nähe schauen und weniger Bewegung haben. Auch wenn Kurzsichtigkeit selbst keine Krankheit ist, so ist es wichtig einem raschen Anstieg gezielt entgegenzuwirken. Denn ein schneller Anstieg kann fatale Folgen für die Augengesundheit haben und irreparable Schäden bewirken.“ Mit speziellen Brillengläsern und Kontaktlinsen sowie gezielten Augenübungen kann das Voranschreiten der Kurzsichtigkeit gehemmt werden. Wichtig dabei ist, dass die Korrektion der Kurzsichtigkeit nicht nur für die Ferne bestimmt wird, sondern vor allem für die Nähe. In vielen Fälle ist eine zusätzliche Nahunterstützung sinnvoll. Darüber hinaus ist vor allem eine Verhaltensänderung notwendig, z. B. kontrollierter Umgang mit digitalen Medien statt passiver Nutzung.
Spezielle Brillengläser und Kontaktlinsen für den „entspannten“ Umgang mit digitalen Medien
Sogenannte „digitale“ Brillengläser ermöglichen sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern ein „entspannteres“ Sehen bei Tätigkeiten an Bildschirmen und Displays. Sie haben große Blickfelder und ermöglichen scharfes Sehen auch bei mehreren Bildschirmen und in verschiedenen Entfernungen. Sie können bei Kindern und Jugendlichen sowie bei Erwachsenen eingesetzt werden, sowohl wenn eine Korrektion „nur“ für die Ferne oder „nur“ für die Nähe notwendig ist.
Blaulicht als Gefahr
Digitale Medien in der Freizeit werden oft vor allem abends verwendet. Mittlerweile wurde jedoch nachgewiesen, dass Kinder und Jugendliche schlechter und weniger schlafen, wenn sie am Abend Smartphone, Tablet und Co benutzt haben. Viele von ihnen wissen nicht, dass das blaue Licht, was Bildschirme und Displays ausstrahlen, die Produktion des Schlafhormons Melatonin reduziert. Das natürliche Tageslicht hat in Abhängigkeit der Tageszeit ein unterschiedliches Lichtspektrum. Am Tag enthält es mehr Blauanteile, am Abend mehr Rotanteile. Demzufolge sollte bei Tätigkeiten an digitalen Medien die Beleuchtung so gewählt werden, dass sie durch Tageslicht bzw. tageslichtähnliche Leuchten eine natürliche Umgebung ermöglicht. Licht mit hohem Blauanteil tagsüber zu verwenden, regt den Organismus an. Displays mit hohem Blaulichtanteil sollten jedoch am Abend vermieden werden, denn das Blaulicht, das Bildschirme und Displays abstrahlen, hält wach. Deshalb sollten digitale Endgeräte spätestens eine halbe Stunde vor der Schlafenszeit ausgeschaltet und nicht im Schlaf- oder Kinderzimmer abgelegt werden, damit der Tag-Nacht-Rhythmus stabil bleibt und keine Schlafstörungen entstehen. Nicht immer ist ein Verzicht auf digitale Medien möglich. Sollen oder müssen digitale Endgeräte am Abend durch Jugendliche oder Erwachsene verwendet werden, unterstützen Programme zur Anpassung der Farbtemperatur. Dann helfen zum einen qualitativ gute Monitore, wie sie z. B. von Grafikern verwendet werden oder auch Software, die Blaulichtanteile ein wenig reduziert. Zum anderen gibt es auch spezielle Brillengläser, die Blaulichtanteile wegnehmen.
Aufbau von Medienkompetenz und sinnvoller altersentsprechender Umgang mit digitalen Medien
Die Nutzung digitaler Medien ist grundsätzlich nichts Schlechtes und sollte nicht pauschal abgelehnt werden. Aber es kann nicht davon ausgegangen werden, dass Menschen, und vor allem Kinder, automatisch von sich aus damit sinnvoll umgehen können. Medienkompetenz muss erlernt werden und ist demzufolge altersentsprechend unterschiedlich. Wesentliche Punkte zum Aufbau von Medienkompetenz und für einen sinnvollen, altersentsprechenden Umgang mit digitalen Medien sind eine zeitlich begrenzte und inhaltlich bezogene Nutzung digitaler Endgeräte, eine sinnvolle Gestaltung der Umgebungsbedingungen während der Nutzung (z. B. durch höhenverstellbaren Stuhl) und die Vorbildwirkung von Bezugspersonen.
Weitere Tipps für einen sinnvollen Umgang mit digitalen Medien:
- Taschenbuch mit eigener Kinderbroschüre „ENTSPANNT am Smartphone, Tablet und PC für KINDER“, Friedrich Michaela und Degle Stephan, ISBN: 978-3-942873-60-4, NEUERSCHEINUNG (2022) im DOZ-Verlag (www.doz-verlag.de)
- Broschüre „Entspannt am Bildschirm - Praxis-Tipps für Computer, Smartphone & Co.“, Degle Stephan und Friedrich Michaela (2019), erhältlich im DOZ-Verlag (www.doz-verlag.de)
- Allgemeines zum Bildschirmarbeitsplatz: www.ergoptometrie.de.
Als hochaktuelle Fachtagung zum Thema „Haltung und Bewegung, Myopie und Blaulicht“ findet das 5. INTERBILD Symposium am Donnerstag, den 2. Juni 2022 an der Ernst-Abbe-Hochschule Jena statt.
Prof. Dr. Stephan Degle,
Professor für Optometrie und Ophthalmologische Optik
Fachbereich SciTec - Fachgebiet Augenoptik/Optometrie/Ophthalmotechnologie/Vision Science
Ernst-Abbe-Hochschule Jena, Carl-Zeiss-Promenade 2, 07745 Jena
E-Mail: optometrie@eah-jena.de
Tel.: +49 3641 205 428
Steigender digitaler Medienkonsum von Kindern – Gefahren und gesundheitliche Folgen, aber auch Lösu ...
Stephan Degle
Prof. Dr. Stephan Degle, EAH Jena
Criteria of this press release:
Journalists, Scientists and scholars, Teachers and pupils, all interested persons
Media and communication sciences, Nutrition / healthcare / nursing, Politics, Social studies, Teaching / education
transregional, national
Miscellaneous scientific news/publications, Schools and science
German
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