idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Grafik: idw-Logo

idw - Informationsdienst
Wissenschaft

Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instance:
Share on: 
04/25/2022 14:50

Schnelle Diagnose statt langer Odyssee

Stefan Zorn Stabsstelle Kommunikation
Medizinische Hochschule Hannover

    MHH-Humangenetik: Ganzgenomsequenzierung soll Ursache Seltener Erkrankungen bei schwerstkranken Kindern frühzeitig ans Licht bringen

    Etwa vier Millionen Menschen leiden in Deutschland an einer der vielen verschiedenen Seltenen Erkrankungen (SE) – vor allem auch schwer erkrankte Kinder, die intensivmedizinisch behandelt werden müssen. Die meisten Seltenen Erkrankungen sind genetisch bedingt und oft vergehen Jahre, bis die richtige Diagnose gefunden wird. Kann die Behandlung von schwer kranken Kindern durch eine schnelle genetische Diagnosestellung verbessert werden? Dieser Frage geht ein Team aus Kinderheilkunde und Humangenetik der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) in der Studie „Baby Lion“ nach. Im Mittelpunkt steht dabei die Entschlüsselung des Genoms, also der gesamten Erbinformation eines Menschen, in nur wenigen Tagen.

    Um eine Seltene Erkrankung handelt es sich laut EU-Definition, wenn sie unter 10.000 Einwohnern höchstens fünf Mal auftritt. Insgesamt sind mehr als 7.000 verschiedene Seltene Erkrankungen bekannt. „So gesehen ist eine Seltene Erkrankung dann doch nicht so selten“, sagt Dr. Bernd Auber vom Institut für Humangenetik. Für die Studie nehmen er und sein Team eine spezielle Patientengruppe in den Fokus: Kinder in den ersten Lebenswochen und -monaten, die so krank sind, dass sie auf einer Intensivstation behandelt werden müssen. „Die Ursache für ihre Symptome ist oft nicht klar. und es kann keine eindeutige Diagnose gestellt werden“, erklärt Dr. Alexander von Gise, einer der an der Studie beteiligten Kinderintensivärzte. Ohne eine genaue Diagnose ist aber keine gezielte Behandlung möglich, es folgt oft ein langer Leidensweg und eine Odyssee von Arzt zu Arzt.

    Genom des Kindes und der Eltern wird entschlüsselt

    Genau hier setzt die Baby Lion-Studie an, die erste Studie dieser Art im deutschsprachigen Raum. „Es gibt heute die Möglichkeit, das menschliche Genom in wenigen Tagen komplett zu entschlüsseln“, erklärt Dr. Auber. Experten sprechen dabei von einer Ganzgenomsequenzierung (Whole Genome Sequencing, WGS). Mithilfe dieser sehr umfangreichen und technisch anspruchsvollen Diagnostikmethode, bei der riesige Datenmengen erzeugt werden, können auch extrem seltene genetisch bedingte Krankheitsbilder identifiziert werden. In der Studie möchten die Experten der Genetik und Kinderheilkunde aber nicht nur das Genom der kranken Kinder entschlüsseln, sondern auch das der beiden Elternteile. Mit dieser Trio-Ganzgenomsequenzierung können die drei Genome ganz genau miteinander verglichen werden und relevante genetische Veränderungen beim Kind schnell erkannt werden.

    „Trotz der großen Datenmengen innerhalb weniger Tage zu einer Diagnose zu kommen, wäre gerade auch bei schwer kranken Neugeborenen eine große Hilfe“, meint Professorin Dr. Bettina Bohnhorst, Leiterin der Neugeborenenintensivstation der MHH. In den USA und anderen Ländern wurden mit dieser neuartigen Diagnostikmethode bereits sehr gute Erfahrungen gemacht. „Bei bis zu 40 Prozent der untersuchten Kinder konnte die Diagnose einer genetisch bedingten Erkrankung gestellt werden“, berichtet Dr. Michael Sasse, der Leiter der pädiatrischen Intensivstation der MHH. „Dank der frühzeitigen und sicheren Diagnose ist es möglich, den Kindern und ihren Familien schneller gezielt zu helfen. In seltenen Fällen kann bereits jetzt mit einer spezifischen Therapie begonnen werden.“ Leidenswege können verkürzt und unnötige Therapien und Untersuchungen vermieden werden.

    Nun möchte das Team um Dr. Auber herausfinden, ob sich diese Erkenntnisse auch auf das deutsche Gesundheitssystem übertragen lassen. Unterstützt wird das Projekt durch das Unternehmen Illumina, Hersteller von Geräten für genetische Diagnostik und führend auf dem Gebiet der Gensequenzierung. In die Studie sollen innerhalb eines Jahres 100 Kinder und ihre Eltern eingeschlossen werden. Dabei handelt es sich um Familien, die auf den Intensivstationen der Kinderklinik der MHH und in anderen niedersächsischen Krankenhäusern betreut werden. Bei der Studie arbeiten die Genetikerinnen und Genetiker eng mit den Kolleginnen und Kollegen der neonatologischen und kinderintensivmedizinischen Stationen zusammen.

    Genetische Beratung für die Familien

    Für die Teilnahme an „Baby Lion“ muss eine kleine Menge Blut entnommen werden. Nach der Genomsequenzierung besprechen die behandelnden Kinderärztinnen und -ärzte das Ergebnis und die weiteren therapeutischen Schritte mit den Eltern. Außerdem wird allen Familien eine genetische Beratung angeboten. Nach einiger Zeit erfolgt eine Befragung der behandelnden Kinderärzte und auch der Eltern nach den Auswirkungen der schnellen Diagnostik auf die gesundheitliche Entwicklung des Kindes. Dr. Auber betont: „Wenn wir mit unserer Studie zeigen können, dass sich das Verfahren positiv auf die Behandlung der betroffenen Kinder auswirkt, hoffen wir, in Zukunft allen schwer erkrankten Kindern eine schnelle Genomsequenzierung in der Regelversorgung anbieten zu können.“

    SERVICE:

    Weitere Informationen erhalten Sie bei Dr. Bernd Auber, auber.bernd@mh-hannover.de, Telefon (0511) 532-8719.


    Images

    Hoffen, dass die Kinder von der Ganzgenomsequenzierung profitieren: Dr. Bernd Auber, Dr. Alexander von Gise und Dr. Michael Sasse von der intensivmedizinischen Station sowie Professorin Dr. Bettina Bohnhorst von der neonatologischen Station (von links).
    Hoffen, dass die Kinder von der Ganzgenomsequenzierung profitieren: Dr. Bernd Auber, Dr. Alexander v ...
    Copyright: „Karin Kaiser / MHH“


    Criteria of this press release:
    Journalists
    Medicine
    transregional, national
    Miscellaneous scientific news/publications, Research projects
    German


     

    Help

    Search / advanced search of the idw archives
    Combination of search terms

    You can combine search terms with and, or and/or not, e.g. Philo not logy.

    Brackets

    You can use brackets to separate combinations from each other, e.g. (Philo not logy) or (Psycho and logy).

    Phrases

    Coherent groups of words will be located as complete phrases if you put them into quotation marks, e.g. “Federal Republic of Germany”.

    Selection criteria

    You can also use the advanced search without entering search terms. It will then follow the criteria you have selected (e.g. country or subject area).

    If you have not selected any criteria in a given category, the entire category will be searched (e.g. all subject areas or all countries).