idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Grafik: idw-Logo

idw - Informationsdienst
Wissenschaft

Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instance:
Share on: 
05/31/2022 12:09

Neue Erkenntnisse zur Bewegung von Kiefernzapfenschuppen

Bastian Strauch Hochschul- und Wissenschaftskommunikation
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau

    • Wissenschaftler*innen zeigen in einem neuen Modell, dass die Samenschuppen von Kiefernzapfen sich aufgrund eines komplexen Zusammenspiels mehrerer Gewebe bewegen, die in unterschiedlicher Weise auf Feuchtigkeit reagieren.
    • Das Forschungsteam widerlegt damit die bisherige Annahme, dass die Bewegung lediglich auf dem feuchtigkeitsbedingten mechanischen Verhalten eines funktionalen Zweischicht-Systems beruht.
    • Mithilfe der Ergebnisse könnten bionische Klappensysteme mit verbesserter Funktion zum Beispiel für adaptive Gebäudefassaden entstehen.

    Kiefernzapfen öffnen sich bei Trockenheit und schließen sich bei Nässe. Auf diese Weise sorgt die Natur dafür, dass die Kiefernsamen unter vorteilhaften Bedingungen freigegeben werden, nämlich wenn es möglichst windig ist und die Samen weit getragen werden. Für die Forschung ist das Öffnen und Schließen besonders interessant, da die Bewegung passiv abläuft, also keine Stoffwechselenergie verbraucht. Deshalb hat der Kiefernzapfen bereits als Vorbild für bionische Klappensysteme gedient, die auf Feuchtigkeit reagieren und beispielsweise zur Klimaregulierung in Gebäudehüllen zum Einsatz kommen.

    Ein Team um Prof. Dr. Jürgen Rühe, Carmen Eger und Prof. Dr. Thomas Speck vom Exzellenzcluster Living, Adaptive and Energy-autonomous Materials Systems (livMatS) der Universität Freiburg, Dr. Simon Poppinga von der TU Darmstadt und Prof. Dr. Manfred Bischoff von der Universität Stuttgart hat in Zusammenarbeit mit Forschenden der TU München und Projektpartnern der BASF nun detailliert analysiert, welche Gewebestrukturen an dieser Bewegung beteiligt sind. Die Forschenden zeigen, dass die Zapfenschuppen sich aufgrund mehrerer Gewebeschichten schließen, die alle Feuchtigkeit aufnehmen. Mithilfe der Ergebnisse könnten bionische Klappensysteme mit verbesserter Funktion entstehen. Das Team hat seine Erkenntnisse in dem Journal Advanced Science veröffentlicht.

    Bisheriges Modell geht von zwei funktional relevanten Gewebetypen aus

    Bisher nahm die Forschung an, dass die Bewegungen des Kiefernzapfens auf dem Zusammenspiel zweier Gewebeschichten in der Schuppe beruht: Einer oberen, starren Schicht, die kein oder nur sehr wenig Wasser aufnimmt, und einer unteren, die durch Feuchtigkeit aufquillt und sich dabei verlängert. Hierbei drückt sie die Schuppe nach oben und der Zapfen schließt sich. Trocknet und schrumpft die untere Schicht, zieht sie die Schuppe wieder nach unten – der Zapfen öffnet sich.

    Faserstränge setzen Biegeprozess in Gang

    Dieses vereinfachte Modell widerlegen die Wissenschaftler*innen in ihrer Analyse. Sie zeigen, dass mehrere Gewebeschichten in der Schuppe Wasser aufnehmen. Eine besondere Bedeutung kommt dabei den sogenannten Sklerenchym-Fasersträngen zu. Im Doppelschicht-Modell gelten sie als Hauptbestandteil der starren, oberen Gewebeschicht. Die Forschenden kommen in ihrer Analyse hingegen zu dem Ergebnis, dass die Faserstränge im trockenen Zustand zwar starr sind, jedoch bei Feuchtigkeit erweichen – und so den Biegeprozess erst in Gang setzen. Zudem bestehen die unterschiedlichen Gewebe zwar aus chemisch identischen Materialien, jedoch variiert ihre Anordnung entlang der Schuppe. So besteht die Schuppe aus einer Biegezone und einer längeren klappenartigen Schicht, die nicht wesentlich zum Biegeprozess beiträgt, sondern passiv mitbewegt wird. Die Forschenden setzten in ihrer Analyse unter anderem hochauflösende 3D-Strukturanalysen, 3D-Verformungsmessungen, Messungen zur Wasseraufnahme der Gewebe und biomechanische Experimente ein.

    Faktenübersicht:

    • Originalpublikation: Eger, C. J., Horstmann, M., Poppinga, S., Sachse, R., Thierer, R., Nestle, N., Bruchmann, B., Speck, T., Bischoff, M., Rühe, J., The Structural and Mechanical Basis for Passive-Hydraulic Pine Cone Actuation. Adv. Sci. 2022, 2200458. DOI: 10.1002/advs.202200458 [LINK: https://doi.org/10.1002/advs.202200458]
    • Die Studie wurde von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt, vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg innerhalb des Projekts BioElast, von der BASF SE durch das PostDoc-Netzwerk JONAS und vom Exzellenzcluster livMatS finanziert.
    • Jürgen Rühe ist seit 1999 Professor für Chemie und Physik von Grenzflächen. Er ist geschäftsführender Direktor des Freiburger Instituts für interaktive Materialien und bioinspirierte Technologien und Mitglied des Sprecherteams des Exzellenzclusters livMatS der Universität Freiburg.
    • Thomas Speck ist seit 2001 Professor für Botanik: Funktionelle Morphologie und Bionik und Direktor des Botanischen Gartens der Universität Freiburg. Er ist Mitglied des Sprecherteams des Exzellenzclusters livMatS der Universität Freiburg.
    • Simon Poppinga war Leiter einer Arbeitsgruppe für Pflanzenbewegungen und Biomimetik im Botanischen Garten der Universität Freiburg und ist seit 2022 Leiter des Botanischen Gartens der TU Darmstadt.
    • Manfred Bischoff leitet das Institut für Baustatik und Baudynamik an der Universität Stuttgart und ist Prorektor für Forschung und wissenschaftlicher Nachwuchs an der Universität Stuttgart.
    • Simon Poppinga und Thomas Speck konnten in der Vergangenheit zeigen, dass fossile Zapfen auch nach Millionen von Jahren noch zu den Biegebewegungen ihrer einzelnen Samenschuppen fähig sind: https://kommunikation.uni-freiburg.de/pm/2017/pm.2017-01-11.2


    Contact for scientific information:

    Prof. Dr. Jürgen Rühe
    Institut für Mikrosystemtechnik
    Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
    Tel.: 0761/203-7160
    E-Mail: ruehe@imtek.uni-freiburg.de

    Sonja Seidel
    Wissenschaftskommunikation
    Exzellenzcluster livMatS
    Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
    Tel.: 0761/203-95361
    E-Mail: sonja.seidel@livmats.uni-freiburg.de


    More information:

    https://kommunikation.uni-freiburg.de/pm/2022/neue-erkenntnisse-zur-bewegung-von...


    Images

    Die einzelnen Gewebeschichten der Samenschuppe werden in mikro-computertomographischen Aufnahmen sichtbar.
    Die einzelnen Gewebeschichten der Samenschuppe werden in mikro-computertomographischen Aufnahmen sic ...
    Plant Biomechanics Group FR
    livMatS/Universität Freiburg


    Criteria of this press release:
    Journalists
    Biology
    transregional, national
    Research results
    German


     

    Help

    Search / advanced search of the idw archives
    Combination of search terms

    You can combine search terms with and, or and/or not, e.g. Philo not logy.

    Brackets

    You can use brackets to separate combinations from each other, e.g. (Philo not logy) or (Psycho and logy).

    Phrases

    Coherent groups of words will be located as complete phrases if you put them into quotation marks, e.g. “Federal Republic of Germany”.

    Selection criteria

    You can also use the advanced search without entering search terms. It will then follow the criteria you have selected (e.g. country or subject area).

    If you have not selected any criteria in a given category, the entire category will be searched (e.g. all subject areas or all countries).