idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Grafik: idw-Logo

idw - Informationsdienst
Wissenschaft

Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instance:
Share on: 
03/01/2023 17:00

Quantenchemie: Moleküle beim Tunneln erwischt

Dr. Christian Flatz Büro für Öffentlichkeitsarbeit
Universität Innsbruck

    Quanteneffekte können in chemischen Reaktionen eine wichtige Rolle spielen. Physiker um Roland Wester von der Universität Innsbruck haben nun zum ersten Mal eine quantenmechanische Tunnelreaktion, die theoretisch auch exakt beschrieben werden kann, experimentell beobachtet. Mit der in der Fachzeitschrift Nature veröffentlichen Studie liefern die Wissenschaftler eine wichtige Referenz für diesen fundamentalen Effekt in der Chemie. Es handelt sich dabei um die langsamste Reaktion mit geladenen Teilchen, die je beobachtet wurde.

    Tunnelreaktionen in der Chemie lassen sich nur sehr schwer vorhersagen. Die quantenmechanisch exakte Beschreibung von chemischen Reaktionen mit mehr als drei Teilchen ist schwierig, mit mehr als vier Teilchen nahezu unmöglich. Theoretiker simulieren diese Reaktionen mit klassischer Physik und müssen Quanteneffekte dabei vernachlässigen. Wo aber liegt die Grenze dieser klassischen Beschreibung von chemischen Reaktionen, die nur Näherungen liefern kann?

    Schon lange wollte Roland Wester vom Institut für Ionenphysik und Angewandte Physik der Universität Innsbruck diese Grenze ausloten. „Es braucht dafür ein Experiment, das sehr präzise Messungen erlaubt und quantenmechanisch noch beschrieben werden kann“, sagt der Experimentalphysiker. „Die Idee dazu kam mir vor 15 Jahren im Gespräch mit einem Kollegen bei einer Konferenz in den USA“, erinnert sich der Physiker sich. Wester wollte dem quantenmechanischen Tunneleffekt in einer sehr einfachen Reaktion nachspüren.

    Da der Tunneleffekt die Reaktion sehr unwahrscheinlich und damit langsam macht, war ihre experimentelle Beobachtung außerordentlich schwierig. Nach mehreren Anläufen gelang seinem Team nun genau aber dies zum ersten Mal, wie die Fachzeitschrift Nature in ihrer aktuellen Ausgabe berichtet.

    Durchbruch nach 15 Jahre Forschungsarbeit

    Das Team um Roland Wester wählte für ihr Experiment Wasserstoff – das einfachste Element im Universum. Sie brachten Deuterium – ein Wasserstoff-Isotop – in eine Ionenfalle ein, kühlten es ab und füllten die Falle anschließend mit Wasserstoff-Gas. Aufgrund der sehr tiefen Temperaturen fehlt den negativ geladenen Deuterium-Ionen die Energie, um auf konventionelle Weise mit den Wasserstoff-Molekülen zu reagieren. In sehr seltenen Fällen kommt es beim Zusammenstoß der beiden dennoch zu einer Reaktion.

    Ursache dafür ist der Tunneleffekt: „Die Quantenmechanik erlaubt es, dass Teilchen aufgrund ihrer quantenmechanischen Welleneigenschaften die energetische Barriere durchbrechen und es zu einer Reaktion kommt“, erklärt Erstautor Robert Wild. „In unserem Experiment geben wir möglichen Reaktionen in der Falle circa 15 Minuten Zeit und bestimmen dann die Menge der entstandenen Wasserstoff-Ionen. Aus deren Anzahl können wir ableiten, wie oft es zu einer Reaktion gekommen ist.“

    Theoretische Physiker hatten 2018 errechnet, dass es dabei nur in einem von 100 Milliarden Stößen zum sogenannten Quantentunneln kommt. Das deckt sich sehr gut mit den nun in Innsbruck gemessenen Werten und bestätigt nach 15 Jahren Forschungsarbeit erstmals ein präzises theoretisches Modell für den Tunneleffekt in einer chemischen Reaktion.

    Grundlage für besseres Verständnis

    Es gibt weitere chemische Reaktionen, hinter denen die Wissenschaft den Tunneleffekt vermutet. Nun liegt erstmals eine Messung vor, die auch theoretisch gut verstanden wird. Darauf aufbauend kann die Forschung einfachere theoretische Modelle für chemische Reaktionen entwickeln und diese an der nun erfolgreich demonstrierten Reaktion testen.

    Anwendung findet der Tunneleffekt zum Beispiel im Rastertunnelmikroskop und in Flash-Speichern. Mit Hilfe des Tunneleffekts wird auch der Alpha-Zerfall von Atomkernen erklärt. Durch Einbeziehung des Tunneleffekts sind aber auch manche astrochemische Synthesen von Molekülen in interstellaren Dunkelwolken erklärbar. Das Experiment von Westers Team legt damit die Grundlage für ein besseres Verständnis vieler chemischer Reaktionen.

    Die Forschungen wurden unter anderem vom österreichischen Wissenschaftsfonds FWF und der Europäischen Union finanziell unterstützt.


    Contact for scientific information:

    Roland Wester
    Institut für Ionenphysik und Angewandte Physik
    Universität Innsbruck
    Tel.: +43 512 507-52620
    E-Mail: roland.wester@uibk.ac.at
    Web: https://www.uibk.ac.at/ionen-angewandte-physik


    Original publication:

    Tunneling measured in a very slow ion-molecule reaction. Robert Wild, Markus Nötzold, Malcolm Simpson, Thuy Dung Tran, and Roland Wester. Nature 2023 DOI: 10.1038/s41586-023-05727-z https://www.nature.com/articles/s41586-023-05727-z


    Images

    Die Quantenmechanik erlaubt es, dass Teilchen aufgrund ihrer quantenmechanischen Welleneigenschaften die energetische Barriere (Mauer) durchbrechen und es zu einer Reaktion kommt.
    Die Quantenmechanik erlaubt es, dass Teilchen aufgrund ihrer quantenmechanischen Welleneigenschaften ...
    Harald Ritsch
    Universität Innsbruck


    Criteria of this press release:
    Journalists, all interested persons
    Chemistry, Physics / astronomy
    transregional, national
    Research results, Scientific Publications
    German


     

    Help

    Search / advanced search of the idw archives
    Combination of search terms

    You can combine search terms with and, or and/or not, e.g. Philo not logy.

    Brackets

    You can use brackets to separate combinations from each other, e.g. (Philo not logy) or (Psycho and logy).

    Phrases

    Coherent groups of words will be located as complete phrases if you put them into quotation marks, e.g. “Federal Republic of Germany”.

    Selection criteria

    You can also use the advanced search without entering search terms. It will then follow the criteria you have selected (e.g. country or subject area).

    If you have not selected any criteria in a given category, the entire category will be searched (e.g. all subject areas or all countries).