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Wissenschaft
Die Einstellungen und Glaubenssätze (Mindsets) von Schwangeren können den Geburtsverlauf beeinflussen. Das haben Psychologinnen und Psychologen der Universität Bonn in einer Längsschnittstudie mit rund 300 Teilnehmerinnen herausgefunden. Frauen, die eine Geburt als natürlichen Vorgang begreifen, benötigen etwa seltener Schmerzmittel oder einen Kaiserschnitt. Die Ergebnisse sind nun im “European Journal of Social Psychology” veröffentlicht.
Die Geburt kann eher als natürlicher Vorgang oder stärker als medizinisches Ereignis wahrgenommen werden. “Das hängt vom Mindset ab”, sagt Dr. Lisa Hoffmann vom Institut für Psychologie der Universität Bonn. “Mindsets sind als eine Art mentale Brille zu verstehen, die die Wahrnehmung unserer Umwelt lenken und unser Verhalten beeinflussen können.” Konkret bedeutet das, dass die Entbindung entweder als Prozess gesehen wird, den die Gebärende bis auf wenige Ausnahmen ohne medizinische Hilfsmittel bewältigen kann. Oder aber die Geburt erscheint vielmehr als risikobehafteter Vorgang, der der medizinischen Überwachung und Unterstützung etwa mit Kaiserschnitt, Schmerzlinderung und Dammschnitt bedarf.
“Welches Mindset wir haben, kann einen Einfluss darauf ausüben, wie wir in bestimmten Situationen reagieren”, sagt Prof. Dr. Rainer Banse von der Sozial- und Rechtspsychologie an der Universität Bonn. Dies ist auch bei Schwangeren der Fall, haben Dr. Lisa Hoffmann und Prof. Rainer Banse zusammen mit ihrem Institutskollegen Dr. Norbert Hilger herausgefunden. In einer Studie befragten die Forschenden rund 300 Frauen von der ersten Hälfte der Schwangerschaft bis sechs Monate nach der Geburt zu ihren Einstellungen, Annahmen und Erlebnissen.
Bedeutung psychologischer Faktoren
“Die Studie zeigt die Bedeutung psychologischer Faktoren für die Geburt”, fasst Hoffmann die Ergebnisse zusammen. “Das Mindset der Schwangeren kann einen Effekt darauf haben, ob die Geburt später eher interventionsarm oder -reich verläuft.” Frauen, die die Entbindung als natürlichen Prozess ansehen, brauchten weniger medizinische Unterstützung bei der Geburt und hatten als Folge ein positiveres Erleben nach der Entbindung. Wochen danach waren bei ihnen weniger Probleme mit Depressionen oder postraumatischem Stress zu beobachten.
Die Teilnehmerinnen der Studie wurden während der Schwangerschaft über ein Online-Tool zu ihren Persönlichkeitseigenschaften wie Ängstlichkeit, Selbstwert und Selbstwirksamkeit sowie ihrem Mindset befragt. Einige Wochen vor der Geburt hakten die Forschenden außerdem nach, ob etwa Risiken zur Schwangerschaft aufgetreten waren und wo die Entbindung stattfinden sollte. In der ersten Woche nach der Entbindung drehten sich die Fragen um das subjektive Erleben der Geburt und ob medizinische Eingriffe durchgeführt wurden.
Im Rahmen einer Tagebucherhebung füllten die Teilnehmerinnen zudem für einige Wochen täglich und anschließend wöchentlich einen kurzen Fragebogen per Handy aus, in dem es etwa um ihr Wohlbefinden und das Stillen ging. Rund acht Wochen nach der Geburt lag der Fokus darauf, ob Symptome von Depression oder posttraumatischem Stress vorlagen. Sechs Monate nach der Entbindung kam es zur abschließenden Online-Befragung. Dabei stand die Mutter-Kind-Bindung im Mittelpunkt.
Mehrere Schritte zu einem positiven Geburtserleben
“Das Mindset kann aber nicht vorhersagen, wie gut sich später die Bindung zum Kind entwickelt”, erläutert Hoffmann. “Denn dazwischen liegen viele Schritte.” Nach dem Modell der Psychologen hat das Mindset einen Effekt auf den Geburtsverlauf. Wenn bei der Entbindung weniger medizinische Eingriffe stattfinden, hat dies ein positiveres Geburtserleben zur Folge. Dies hat wiederum Auswirkungen auf das Wohlbefinden von Mutter und Kind. Und alles zusammen kann bei einem positiven Verlauf zu einer sichereren Mutter-Kind-Bindung führen.
“Dies bedeutet jedoch nicht, dass es ein `gutes´ (natürliches) und ein `schlechtes´ (medizinisches) Mindset gibt”, ist die Psychologin überzeugt. Ziel sollte deshalb sein, so Hoffmann, Gebärende in ihren unterschiedlichen Mindsets zu unterstützen und ihnen ein positives und selbstbestimmtes Geburtserlebnis zu ermöglichen.
Was tun, wenn Frauen Schwangerschaft und Entbindung teilweise als extremen Stress empfinden? Hierfür gibt es zahlreiche Angebote zur Geburtsvorbereitung. Wie weit sich Mindsets als ein möglicher Ansatzpunkt beeinflussen lassen, sei noch nicht ausreichend empirisch überprüft, sagt Hoffmann. In weiteren Studien möchte sie den Zusammenhang zwischen Mindset und Erleben als eine Art selbsterfüllende Prophezeiung noch genauer untersuchen.
Promotionspreis der Universitätsgesellschaft
Dr. Lisa Hoffmann wurde 2021 für ihre herausragende Dissertation “On the Psychology of Birth”, die von Prof. Banse betreut wurde, mit dem Promotionspreis der Bonner Universitätsgesellschaft ausgezeichnet. Der Preis ist mit 10.000 Euro dotiert.
Förderung:
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) förderte die Studie.
Dr. Lisa Hoffmann
Sozial- und Rechtspsychologie
Institut für Psychologie
Universität Bonn
Tel. +49 (0)228 734155
E-Mail: lisa.hoffmann@uni-bonn.de
Lisa Hoffmann, Norbert Hilger, Rainer Banse: The mindset of birth predicts birth outcomes: Evidence from a prospective longitudinal study, European Journal of Social Psychology, DOI: 10.1002/ejsp.2940
Dr. Lisa Hoffmann von der Sozial- und Rechtspsychologie der Universität Bonn.
Foto: Volker Lannert/Uni Bonn
Criteria of this press release:
Journalists, all interested persons
Psychology
transregional, national
Research results, Scientific Publications
German
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