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Die Unstatistik des Monats Juni sind Meldungen des ZDF und der FAZ zu einer Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE). Die in der angesehenen Fachzeitschrift „The Lancet“ veröffentlichte Studie verwendet Daten von knapp 26.000 Geburten aus den Sommermonaten Mai bis September der Jahre 1999 bis 2021, die mit Temperaturdaten verknüpft wurden. Die Ergebnisse legen nahe, dass das Risiko von Frühgeburten um 45 Prozent anstieg, wenn die letzten zwei Tage vor der Geburt außergewöhnlich heiß waren, verglichen mit Geburten, denen höchstens ein besonders warmer Tag vorangegangen war. ...
... „Außergewöhnlich heiß“ bedeutet dabei, dass die gefühlten Temperaturen höher waren als in 99 Prozent der Fälle. Das dürfte den in der Pressemitteilung genannten 35 Grad entsprechen. Bei der gefühlten Temperatur wird neben der tatsächlich gemessenen Temperatur auch die Luftfeuchtigkeit berücksichtigt.
Wichtige Zusatzinformationen kann man dem Anhang der Studie entnehmen. Insgesamt gab es 2.181 Frühgeburten in den Daten des UKE. Leider schlüsseln die Studienautoren nicht exakt auf, wie viele dieser Frühgeburten an wie vielen Tagen mit durchschnittlichen, heißen oder außergewöhnlich heißen Tagen auftraten.
Die Studie gibt allerdings an, dass 32 Frühgeburten nach zwei aufeinanderfolgenden, außergewöhnlich heißen Tagen auftraten. Dies sind 45 Prozent mehr, als man erwarten würde, wenn es keinen Zusammenhang mit den Temperaturen gäbe, d.h. wenn an den 1 Prozent heißesten Tagen auch 1 Prozent der Frühgeburten stattgefunden hätten. Es geht also in absoluten Zahlen um 10 zusätzliche Frühgeburten in 22 Jahren.
Die folgende Abbildung verdeutlicht diese Zahlenverhältnisse für die Tage, an denen die gefühlte Temperatur unter bzw. mindestens bei 35 Grad lag.
Das heißt, die Anzahl der Frühgeburten stieg von einer Grundrate von etwa 8,5 Prozent auf 12,3 Prozent an. Also beträgt der absolute Anstieg 3,8 Prozentpunkte. Im Klartext: Nach den 1 Prozent extremsten Hitzetagen hatten unter je hundert Schwangeren 3 bis 4 mehr Frauen eine Frühgeburt.
In beiden Meldungen wird relatives mit absolutem Risiko verwechselt
„Der Klimawandel führt zu mehr Frühgeburten“, „bei andauernden Temperaturen von über 35 Grad steige das Risiko auf 45 Prozent“ warnt der ZDF-Artikel. Der Studie zufolge führe „Hitzestress ausgelöst durch Temperaturen von 30 Grad zu einem 20-prozentigen Anstieg von Frühgeburten, ab 35 Grad ist beinahe jede zweite Schwangere betroffen“. Auch die FAZ schreibt in ihrer Meldung „Hitze führt vermehrt zu Frühgeburten“: „Hitzestress von 30 Grad erhöhte das Risiko einer Frühgeburt, also vor der 37. Schwangerschaftswoche, um 20 Prozent; bei Temperaturen von mehr als 35 Grad lag das Risiko sogar bei fast 45 Prozent.“
Da sind ZDF und FAZ wohl die Hitze zu Kopf gestiegen. Ein Anstieg des relativen Risikos um 45 Prozent, wie zumindest an einer Stelle des ZDF-Beitrags richtig formuliert wird, ist kein Anstieg des Risikos auf 45 Prozent. Es bedeutet nicht, dass beinahe jede zweite Schwangere betroffen ist. ZDF und FAZ haben in ihren Meldungen das relative Risiko mit einem absoluten Risiko verwechselt. Es sind 3 bis 4 mehr Schwangere von je hundert, nicht 45 Prozent, wohlgemerkt: nach extremen, seltenen Hitzeereignissen.
Die Aussage, dass laut Studie „in zehn Jahren bei fortschreitender Häufigkeit von heißen Sommertagen bereits jedes 6. Kind in Deutschland zu früh auf die Welt kommt - das wären doppelt so viele Frühgeburten wie heute“, mag zwar von den UKE-Forschern prognostiziert worden sein, führt aber ebenfalls weitgehend in die Irre.
Denn es handelt sich zunächst einmal um bloße Annahmen, wie sich die Sommertemperaturen entwickeln werden. Darüber hinaus wird angenommen, dass sich Schwangere an den möglicherweise häufigeren, heißen Sommertagen in Zukunft nicht ins Kühle zurückziehen. Außerdem kommen von den derzeit gut 8,5 Prozent zu früh geborenen Kindern die allermeisten (65 Prozent) in den letzten 1,5 Monaten vor dem errechneten Geburtstermin zur Welt. Von reif geborenen Kindern unterscheiden sie sich im Hinblick auf Gewicht und Größe nur wenig, auch wenn ihnen wichtige Entwicklungszeit im Mutterleib fehlt. Die hoch emotionalen Bilder und Beispielgeschichten, die das ZDF in seinem Beitrag verwendet, bilden jedenfalls nicht die Gruppe der späten Frühgeborenen ab, sondern schüren Angst und Panik.
Angaben zum relativen Risiko klingen oft unnötig dramatisch
Leider ist das UKE an dieser dramatisierenden Berichterstattung nicht ganz unschuldig. In der Pressemitteilung wird der Effekt der Hitze nur als relative Zahl (45 Prozent mehr) und nicht als absoluter Anstieg (3 bis 4 von je 100 Frauen mehr) berichtet. Relative Risiken sind große Zahlen und machen unnötige Angst, absolute Risiken sind kleine Zahlen und helfen, das tatsächliche Risiko zu verstehen.
Der Arbeitskreis Deutscher Markt- und Sozialforschungsinstitute e. V. (ADM) schrieb erst kürzlich: „Die Verantwortung für eine korrekte Kommunikation liegt bei denjenigen, die die Ergebnisse veröffentlichen. Gleichzeitig sollten die Medien die Ergebnisse kritisch hinterfragen und sich über ihre Entstehung informieren, insbesondere wenn eine große öffentliche Aufmerksamkeit vermutet wird oder es sich um kontroverse Themen handelt. Dies erfordert natürlich ein hohes Maß an Datenkompetenz. Wenn es Zweifel an der Aussagekraft einer Studie gibt, muss von einer weiteren Verbreitung abgesehen werden.“
Wir haben schon vielfach darauf hingewiesen, dass absolute Risiken helfen können, das wirkliche Ausmaß einer Gefahr zu verstehen. Relative Risiken hingegen sind Nebelkerzen; sie dienen in den meisten Fällen vor allem der Sensationslust. Es ist sicher richtig, Schwangere darauf hinzuweisen, dass sie sich bei Hitze schonen sollten. Aber es ist manipulativ und verantwortungslos, dies mit derart falscher Dramatik zu tun.
Katharina Schüller (STAT-UP), Tel.: (089) 34077-447
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