idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Grafik: idw-Logo

idw - Informationsdienst
Wissenschaft

Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instance:
Share on: 
06/16/2004 10:09

Das blaue Gold Wasser und das schwarze Gold Öl

Michael Seifert Hochschulkommunikation
Eberhard Karls Universität Tübingen

    Orientalistik

    Das Sultanat Oman wurde seit den 1970er Jahren in kürzester Zeit in einen modernen Staat umgebaut, denn das Land ist durch seine Erdölvorkommen reich geworden. Die Menschen haben viele der alten Oasensiedlungen in Wüstengebieten verlassen und sind in neue Häuser gezogen. Heinz Gaube, Professor der Iranistik an der Universität Tübingen, dokumentiert und erforscht die traditionelle Oasenkultur des Oman in einem interdisziplinären Projekt.

    In Oman werden alte Oasensiedlungen zu Geisterstädten - Erforschung vor dem Verfall

    Große Teile des Sultanats Oman im Südosten der Arabischen Halbinsel bestehen aus einer unwirtlichen Sandwüste. Obwohl es dort sehr trocken ist, gehen die ersten Spuren von Oasensiedlungen bis zu 5000 Jahre zurück. Die Omaner haben schon früh gelernt, die wenigen natürlichen Wasserquellen richtig zu nutzen und auch nach einer aus dem Iran übernommenen Technik aufwendige Kanalsysteme zu bauen. Doch heute stehen fast alle Lehmbauten in den alten Oasensiedlungen leer und zerfallen. Denn das Land, in dem Wasser als "blaues Gold" der Oasen galt, ist seit den 1970er Jahren durch seine Erdölvorkommen reich geworden. "Die Gewinne wurden einigermaßen gut in der Bevölkerung verteilt, sodass die Menschen sich neue Häuser gebaut haben", berichtet Prof. Heinz Gaube vom Orientalischen Seminar der Universität Tübingen. Er schätzt, dass es etwa 70 Geisterstädte, verlassene Oasen, im Oman gibt. An den Irankundler hatte die Sultan-Qabus-Universität in der omanischen Hauptstadt Maskat ein Projekt herangetragen, in dem die alte Hochkultur des Oman vor ihrem völligen Verfall dokumentiert und erforscht werden soll. Das interdisziplinäre Projekt wurde ursprünglich im Rahmen des Forschungsschwerpunktprogrammes des Landes und seit 2002 durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft gefördert.

    "Bis 1970 war Oman das rückständigste Land, das man sich vorstellen kann. Brillen und Fahrräder waren verboten. Es gab nur ein paar Schulen, die von wenigen Jungen besucht werden durften", erzählt Gaube. Doch dann, 1970, putschte der heutige Sultan Qabus Bin Said gegen seinen Vater und modernisierte das Land in kurzer Zeit. "Der Sultan wurde in England ausgebildet, war auch zwei Jahre in Deutschland und liebt klassische Musik. Im Oman gibt es daher das einzige Symphonieorchester weit und breit, das der Sultan manchmal auch selbst dirigiert", sagt der Forscher. Mit dem Ölboom seien die heute etwa 40-Jährigen sozusagen von der Zentralregierung groß gezogen worden. Sie seien hohe Beamte, stellten die Minister und lenkten das Land. Zugleich, so der Forscher, ist aber auch die Stammeszugehörigkeit der Menschen im Oman noch sehr stark: "Äußerlich wirken sie sehr verwurzelt mit ihrem Land. Sie tragen traditionell weiße Gewänder, Turban und einen Stock." Die Menschen in Oman seien sehr stolz und gute Seefahrer, der bekannteste von ihnen ist wohl der sagenumwobene Sindbad.

    Um die Hochkultur der Oasensiedlungen im Oman wissenschaftlich zu dokumentieren, arbeiten die Tübinger Forscher unter Heinz Gaube in einem interdisziplinären Projekt mit Ethnologen und Archäologen aus dem Oman, Stuttgarter Stadtplanern und Architekten, Agrarwissenschaftlern mit dem Spezialgebiet Pflanzenernährung aus Kassel und dem Deutschen Archäologischen Institut Berlin zusammen. "Wir haben zunächst zur Erschließung des Untersuchungsgebiets Luftbilder von einem gasbetriebenen Zeppelin aus rund 100 Metern Höhe gemacht. Im Computer lassen sich durch ein Entzerrungsprogramm Pläne der Siedlungen zeichnen. Das geht viel schneller als die Vermessung am Boden", sagt Gaube. Der Oman, so erklärt der Forscher, zerfällt sozusagen in zwei Teile: den sehr trockenen Norden mit nur etwa zehn Zentimetern Niederschlag im Jahr und dem Süden, der als Monsungebiet viele Niederschläge hat. Dazwischen liegt die Wüste, in der Nomaden leben.

    Da es nicht möglich ist, den ganzen nördlichen Bereich des Oman zu erforschen, haben die Wissenschaftler im Laufe des Projekts drei Schnitte über die Karte des untersuchten Bereichs gelegt, um eine möglichst große Vielfalt an Siedlungs- und Bauformen sowie der Landnutzung aufzunehmen. Der erste Schnitt führte von der Küstenebene über die zweieinhalbtausend Meter hohen Berge bis ins Inland zur Wüste, ein zweiter wurde südöstlich parallel von der Küste bis ins Inland angelegt, der dritte Schnitt verbindet die ersten beiden Schnittenden auf der Inlandseite. Im Norden gibt es traditionell eine Drei-Etagen-Wirtschaft: Am höchsten wachsen Dattelpalmen, in der Mitte Zitrusbäume und unten Klee, der an Ziegen und auch Kühe verfüttert wird. Besonders wichtige Nahrungsmittel sind Datteln. Sie seien - neben der Orientierung an den Sternen - auch ein wichtiger Grund, warum die Omaner so erfolgreiche Seefahrer waren: Die vitaminreichen Früchte seien eine "Wunderwaffe" gegen die Vitaminmangelkrankheit Skorbut. Traditionelle Hauptnahrung sind außerdem Trockenfische, Fleisch gibt es nur selten, aber etwas Getreide. "Die Agrarwissenschaftler haben dort eine Weizensorte entdeckt, die genetisch sehr alt ist und sonst nur in Pfahlbauten am Bodensee gefunden wurde", erzählt Gaube von einer merkwürdigen Entdeckung.

    Die verlassene Oasensiedlung Al-Hamra haben die Tübinger Forscher genauer untersucht. Die aktuelle Bausubstanz der Lehmhütten ist viel jünger als die Siedlung, da die Lehmbauten nur etwa hundert Jahre halten. Im ehemaligen Haus des Scheichs, der jetzt in einer neuen Villa lebt, stießen sie in einem Lagerraum mit alten Tonkrügen auf einen "wissenschaftlichen Schatz", wie Gaube sagt: Eine große Amphore enthielt mehr als 8000 Briefe, die an den Scheich Muhsin ibn Zahran adressiert waren. "Er hatte offenbar die Schriftstücke zur Aufbewahrung einfach in die Amphore hineingeworfen", so der Forscher. Die Schriftstücke wurden alle fotografiert und archiviert. Die Briefe werden von Michaela Hoffmann-Ruf in einer Doktorarbeit untersucht und zu einer Art politischer Biografie des Scheichs zusammengefasst. "Immerhin war der Scheich 30 Jahre lang eine zentrale Figur in diesem Gebiet", sagt Gaube. Ähnlich wie im Jemen sei Oman im ländlichen Bereich in Stämmen organisiert gewesen. Dieser Scheich habe den Stamm der Abri, zu dem heute 10 000 bis 12 000 Menschen gehören, gelenkt und ihr Territorium erweitert. "Er hatte überall Spitzel sitzen, die ihm schriftlich Bericht erstattet haben - dies sind zum Teil die Schriftstücke aus der Amphore." Die Scheichs sind inzwischen abgesetzt, stattdessen herrscht heute ein staatlicher Gouverneur. Viel Schriftliches sei von dieser Gesellschaft nicht hinterlassen worden. Zusätzlich würden in dem Forschungsprojekt auch alte Leute über die Geschichte des Landes befragt, Untersuchungen der Architektur und Landwirtschaft kämen hinzu.

    Warum aber blieben bestimmte Oasen über etliche Jahrhunderte bestehen, während andere aufgegeben wurden? Die Antwort ist wohl im knappen Gut Wasser zu finden: Die ETH Zürich hat im Auftrag des Projekts durch Isotopenanalysen des Grundwassers in der seit 2000 Jahren kontinuierlich besiedelten Oase Balad Seet festgestellt, dass Regenwasser dort durchschnittlich fünf bis sechs Jahre im Boden verbleibt. Die angrenzenden Berge dienen als Wasserspeicher. Die Omaner wussten offenbar, wie sie mit dem Wasser bei der Aussaat und Vorratshaltung wirtschaften mussten, um bis zum nächsten Regen auszukommen. Andere Oasen, die vom Wadi-Grundwasser abhängig waren, mussten aufgegeben werden, weil sich die Wasserspeicher nicht wieder füllten. Heute, in den Zeiten des Erdölbooms, sei das Wissen über die Wasserwirtschaft und die kostbare Oasenkultur weit gehend verloren gegangen, sagt Gaube. Das Interesse der Omaner an ihrer eigenen Kultur sei zwar groß, das Geld dafür fließe trotzdem nur zäh. Nun haben die Projektmitglieder aber auch einen Kooperationsvertrag mit dem Religionsministerium geschlossen, zur Zeit sind zwei junge osmanische Theologen zum Promovieren am Orientalischen Seminar der Universität Tübingen. (7393 Zeichen)

    Nähere Informationen:

    Prof. Heinz Gaube
    Orientalisches Seminar - Abteilung für Irankunde
    Münzgasse 30
    72070 Tübingen
    Tel. 0 70 71/2 97 85 33
    Fax 0 70 71/29 53 72
    E-Mail heinz.gaube@uni-tuebingen.de

    Der Pressedienst im Internet: http://www.uni-tuebingen.de/uni/qvo/pd/pd.html

    Unter dieser Adresse sind auch Bilder zu finden, die auf Anfrage bei der Pressestelle per E-Mail zugeschickt werden können.


    Images

    Criteria of this press release:
    Construction / architecture, History / archaeology, Zoology / agricultural and forest sciences
    transregional, national
    Research results
    German


     

    Help

    Search / advanced search of the idw archives
    Combination of search terms

    You can combine search terms with and, or and/or not, e.g. Philo not logy.

    Brackets

    You can use brackets to separate combinations from each other, e.g. (Philo not logy) or (Psycho and logy).

    Phrases

    Coherent groups of words will be located as complete phrases if you put them into quotation marks, e.g. “Federal Republic of Germany”.

    Selection criteria

    You can also use the advanced search without entering search terms. It will then follow the criteria you have selected (e.g. country or subject area).

    If you have not selected any criteria in a given category, the entire category will be searched (e.g. all subject areas or all countries).