idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Grafik: idw-Logo

idw - Informationsdienst
Wissenschaft

Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instance:
Share on: 
08/10/2023 09:00

Arbeit in Zeiten von Reallohnverlusten attraktiver gestalten

Bastian Thüne Presse und Redaktion
ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung GmbH Mannheim

    Die Zahl der Arbeitskräfte erhöhte sich seit 2020 trotz wirtschaftlicher Stagnation um 700.000 Menschen. Obwohl die Arbeitskräftenachfrage stieg, sanken zudem die Realeinkommen. Dies erscheint zunächst erstaunlich. Dr. Friedhelm Pfeiffer, stellvertretender Leiter des Forschungsbereichs „Arbeitsmärkte und Sozialversicherungen“ am ZEW Mannheim, erörtert auf Basis dieser Entwicklungen, wie die Attraktivität von Arbeit bei anhaltenden Reallohnverlusten und Fachkräftebedarf in Zeiten der Stagflation verbessert werden kann:

    Auf dem Arbeitsmarkt wirken derzeit mehrere Faktoren in besonderer Weise zusammen. Der Energiepreisschock durch den Ukrainekrieg scheint noch nicht überwunden, während bei einer anhaltend hohen Inflation die reale Wirtschaftsleistung stagniert. Dies bewirkt für sich genommen einen Rückgang der betrieblichen Arbeitsnachfrage. Gleichzeitig berichten Unternehmen von anhaltenden Schwierigkeiten, ausreichend Fachkräfte zu finden, um die grüne sowie digitale Transformation zu bewältigen und für die beginnende Verrentungswelle der Baby-Boomer vorzusorgen.

    Zudem sanken die Realeinkommen der Beschäftigten zwischen 2021 und 2022 durchschnittlich um vier Prozent und vom ersten Quartal 2022 zum ersten Quartal 2023 nochmals um 2,3 Prozent, wie das Statistische Bundesamt mitteilte. Auch die beachtlichen tariflichen Einkommenssteigerungen in Höhe von 5,6 Prozent im gleichen Zeitraum reichten nicht aus, den anhaltenden Inflationsschock auszugleichen. Dabei reduzieren die sinkenden Reallöhne für sich genommen auch die realen Arbeitskosten in den Unternehmen, was dazu führt, dass die betriebliche Arbeitsnachfrage zunimmt. Tatsächlich waren im ersten Quartal 2023 etwa 41,7 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt, was trotz Fachkräfteengpässen und Stagnation 700.000 mehr als im 1. Quartal 2020 sind.

    Wie also kann die Attraktivität von Arbeit bei anhaltenden Reallohnverlusten und Fachkräftebedarf in Zeiten der Stagflation verbessert werden? Derzeit scheint es den Tarifpartnern nicht zu gelingen, die nominalen Löhne so zu erhöhen, dass keine Inflationsverluste entstehen. Politik und Wirtschaft haben in dieser Situation mehrere Alternativen, um das Angebot an Fachkräften zu sichern, von denen zwei näher in den Blick genommen werden.

    Wiederentdeckung nicht-monetärer Lohnkomponenten

    Man mag sich fragen, warum sich die Arbeitnehmerseite nicht stärker gegen die Reallohnsenkung zur Wehr setzt bzw. zur Wehr gesetzt hat, nicht zuletzt auch mit Verweis auf die Fachkräftebedarfe. Ist die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmerseite geschrumpft? Das lässt sich nicht ausschließen. Es kann aber auch sein, dass es nominale Lohnrigiditäten, also Lohnunflexibilitäten, gibt, die zu starken Erhöhungen der nominalen Löhne im Wege stehen. Die nominalen Löhne weisen eine gewisse Rigidität im wirtschaftlichen Auf und Ab auf. Sie sind daher möglicherweise nur mit Einschränkungen geeignet, einen stetigen Ausgleich von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt herzustellen.

    Schließlich kann es ebenso sein, dass viele Beschäftigte die in der Corona-Krise erzwungene Arbeit von zu Hause schätzen gelernt haben. Wer nicht mehr jeden Tag am Arbeitsort anwesend sein muss, spart Fahrtkosten und Zeit. Homeoffice ist zwar nicht überall möglich, aber die Pandemie hat möglicherweise ihren Beitrag dazu geleistet, dass Beschäftigte und Betriebe neben den monetären den Wert von nicht-monetären Lohnkomponenten wieder entdeckt haben.

    Den Unternehmen steht eine Vielzahl nicht-monetärer Lohnkomponenten zur Verfügung, die sie ausbauen können, um Fachkräfte trotz Reallohnsenkungen bei nominalen Rigiditäten zu gewinnen. Sie können etwa für mehr Gesundheit und individuelle Gestaltungsmöglichkeit am Arbeitsplatz sorgen und mit einer transparenten und auf Respekt gründenden Unternehmenskultur ihre Attraktivität für Arbeitsuchende und Beschäftigte verbessern. Nicht-monetäre Lohnkomponenten werden, nach Einschätzung des Autors, derzeit von vielen Beschäftigten ebenso angenommen wie Lohnerhöhungen.

    Politische Gestaltungsmöglichkeiten

    Zudem stehen auch der Politik Optionen zur Unterstützung der Wirtschaft auf der Suche nach Fachkräften zur Verfügung, wenn die monetären Löhne ihre ausgleichende Funktion nur unzureichend erfüllen. Die Politik kann die steuerliche Belastung von Arbeitsleistungen reduzieren. Derzeit steigt die Belastung vor allem in den mittleren Einkommenssegmenten stark an, mit negativen Folgen für das Angebot an Arbeit. Steuersenkungen erhöhen bei ansonsten unveränderten Bedingungen die verfügbaren Nettoeinkommen und in den lohnelastischen Segmenten wahrscheinlich auch das Arbeitsangebot.

    Zwar ist die Lohnelastizität des Arbeitsangebots in der Gruppe der Beschäftigten im Alter zwischen 30 und 50 Jahren relativ gering und in manchen Hochlohnbereichen möglicherweise sogar negativ. Ein höherer Nettolohn hat dann entweder keine Auswirkung auf die gewünschte Arbeitszeit oder eine negative. Erhöhungen der verfügbaren Einkommen in den mittleren Lohngruppen, in denen die Lohnelastizität bei jüngeren und älteren Beschäftigten überwiegend noch positiv sein sollte, können jedoch helfen, Beschäftigungspotenziale in diesen Gruppen zu heben.


    Contact for scientific information:

    PD Dr. Friedhelm Pfeiffer
    Stellvertretender Leiter des Forschungsbereichs „Arbeitsmärkte und Sozialversicherungen“
    Telefon +49 (0)621 1235-150
    E-Mail friedhelm.pfeiffer@zew.de


    Images

    Criteria of this press release:
    Business and commerce, Journalists
    Economics / business administration, Politics, Social studies
    transregional, national
    Transfer of Science or Research
    German


     

    Help

    Search / advanced search of the idw archives
    Combination of search terms

    You can combine search terms with and, or and/or not, e.g. Philo not logy.

    Brackets

    You can use brackets to separate combinations from each other, e.g. (Philo not logy) or (Psycho and logy).

    Phrases

    Coherent groups of words will be located as complete phrases if you put them into quotation marks, e.g. “Federal Republic of Germany”.

    Selection criteria

    You can also use the advanced search without entering search terms. It will then follow the criteria you have selected (e.g. country or subject area).

    If you have not selected any criteria in a given category, the entire category will be searched (e.g. all subject areas or all countries).