idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Grafik: idw-Logo

idw - Informationsdienst
Wissenschaft

Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instance:
Share on: 
09/15/2023 10:04

Wie hessische Forschende Giftschlangen auf den Zahn fühlen

Stephanie Mayer-Bömoser LOEWE-Zentrum Translationale Biodiversitätsgenomik
Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung

    Nicht nur in den Tropen führen Schlangenbisse zu gefährlichen Vergiftungen – auch Bisse europäischer Giftschlangen können ernste körperliche Beschwerden hervorrufen. Doch ihr Gift enthält auch Wirkstoffe, die künftig gegen bakterielle Krankheitserreger eingesetzt werden könnten. Wissenschaftler*innen des Gießener Fraunhofer Instituts für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie IME und des hessischen LOEWE-Zentrums für Translationale Biodiversitätsgenomik erforschen die Gifte europäischer Schlangen und haben kürzlich den Giftcocktail der in Griechenland heimischen Milosviper entschlüsselt. Ihre Publikation ist in der Fachzeitschrift „Frontiers in Molecular Biosciences“ erschienen.

    Nicht nur in den Tropen führen Schlangenbisse zu gefährlichen Vergiftungen – auch Bisse europäischer Giftschlangen können ernste körperliche Beschwerden hervorrufen. Doch ihr Gift enthält auch Wirkstoffe, die künftig gegen bakterielle Krankheitserreger eingesetzt werden könnten. Wissenschaftler*innen des Gießener Fraunhofer Instituts für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie IME und des hessischen LOEWE-Zentrums für Translationale Biodiversitätsgenomik erforschen die Gifte europäischer Schlangen und haben kürzlich den Giftcocktail der in Griechenland heimischen Milosviper entschlüsselt. Ihre Publikation ist in der Fachzeitschrift „Frontiers in Molecular Biosciences“ erschienen.

    Kobras, Mambas oder Klapperschlangen – dass von solchen Giftschlangen eine Gefahr für Leib und Leben ausgehen kann, ist sicherlich den meisten Menschen bewusst. Weltweit ereignen sich jährlich beinahe drei Millionen Schlangenbisse, die bis zu hunderttausend Todesopfer fordern, vor allem in tropischen Regionen. Die Weltgesundheitsorganisation hat daher bereits vor kurzem Schlangenbisse als vernachlässigte Tropenkrankheit eingestuft. Doch auch in Europa gibt es Giftschlangen. Zwar geht von ihren Giftbissen häufig eine deutlich geringere Gefahr aus als von den tropischen Verwandten, dennoch können die Bisse einiger Arten Langzeitschäden und auch Todesfälle verursachen. Im Vergleich zu den Giftcocktails tropischer Schlangen sind die Gifte europäischer Tiere deutlich weniger erforscht. Hessische Wissenschaftler*innen des Fraunhofer Instituts für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie IME und der Justus-Liebig-Universität Gießen befassen sich daher in Forschungsprojekten im Rahmen des LOEWE-Zentrums für Translationale Biodiversitätsgenomik und Projektförderungen der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit den vernachlässigten Giften von Kreuzotter und Co. Dabei ist es den Forscher*innen nun erstmals gelungen, die Giftzusammensetzung der berüchtigten Milosviper (Macrovipera schweizeri) zu entschlüsseln.

    „Die Milosviper ist eine nahe Verwandte der Levanteviper, einer der gefährlichsten Giftschlangen Europas und des Nahen Ostens. Sie lebt nur auf wenigen Inseln der griechischen Kykladen, vor allem auf Milos“, so Dr. Tim Lüddecke, Leiter der Nachwuchsgruppe Animal Venomics am Fraunhofer IME und Forschungsleiter des Projektes. „Trotz ihrer nahen Verwandtschaft zu diesen gefährlichen Tieren und ihrer einzigartigen ökologischen Nische auf den Kykladen war uns das Gift der Milosviper völlig unbekannt“, führt Lüddecke aus. „Durch Anwendung modernster Massenspektrometrie, der so genannten Proteomics, konnten wir erstmals die Komponenten im Gift der Milosviper identifizieren. Wir können zeigen, dass ihr Giftcocktail nahezu identisch mit den Giften der verschiedenen Unterarten der Levanteviper ist und müssen schlussfolgern, dass es eine vergleichbare Potenz besitzt“, sagt Lüddecke. „Um unsere Hypothesen zu überprüfen, haben wir die Effekte des Milosvipergifts im Labor experimentell bestimmt. So haben wir seine schädigende Wirkung auf Gewebe anhand verschiedener Zelltypen und die Aktivität von Eiweiß abbauenden Enzymen gemessen und mit denen der Levanteviper verglichen. Tatsächlich ähneln sich die Effekte von Milosviper- und Levanteviper-Giften sehr stark“, erklärt Lennart Schulte, Doktorand der Arbeitsgruppe und Erstautor der Studie. „Milosvipern sind keine angriffslustigen Tiere und beißen Menschen lediglich, um sich zu verteidigen. Wir müssen aber davon ausgehen, dass sie in der Lage sind, medizinische Notfälle zu verursachen“, so Schulte weiter.

    Obwohl die Studie bestätigt, dass Milosvipern nicht ungefährlich sind, lassen sich aus ihrem Gift möglicherweise in der Zukunft biomedizinische Anwendungen ableiten. „Wir haben mehrere Toxine identifiziert, die zu Proteinklassen mit bekannter Wirksamkeit gegen bakterielle Krankheitserreger gehören. Diese lassen sich eventuell einsetzen, um neue Leitmoleküle für die Wirkstoffentwicklung gegen Infektionskrankheiten zu entwickeln“, erklärt Lüddecke. „Wir haben erste Aktivitätsstudien mit dem Gift durchgeführt und zeigen, dass es in der Tat starke Wirksamkeit gegen einige medizinisch relevante Bakterien aufweist. Nun gilt es, diese Komponenten zu isolieren und weiterzuentwickeln“, führt Lüddecke aus. Erste Experimente, um die Gifte der Milosviper und naher Verwandter in ihre Bestandteile aufzutrennen, werden gerade vorbereitet.

    Die nun veröffentlichte Arbeit unterstreicht, dass es auch jenseits der besonders gefährlichen, tropischen Arten noch viel über Schlangengifte zu lernen gibt. „Es ist von enormer Bedeutung, dass wir ein besseres Verständnis zur Giftzusammensetzung, der Funktion und den Vergiftungserscheinungen auch von europäischen Giftschlangen entwickeln“, so Lüddecke. „Wir werden dieser Aufgabe nun mit besonderem Fokus nachgehen und dabei insbesondere unsere in Deutschland vorkommenden Arten ins Visier nehmen. Über deren Gifte wissen wir ebenfalls nur wenig“, ergänzt Schulte.


    Contact for scientific information:

    Dr. Tim Lüddecke
    Fraunhofer Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie IME
    Ohlebergsweg 12
    35392 Gießen
    tim.lueddecke@ime.fraunhofer.de


    Original publication:

    Publikation in Frontiers in Molecular Biosciences:
    Lennart Schulte, Maik Damm, Ignazio Avella, Lilien Uhrig, Pelin Erkoc, Susanne Schiffmann, Robert Fürst, Thomas Timm, Günter Lochnit, Andreas Vilcinskas, Tim Lüddecke
    “Venomics of the Milos viper (Macrovipera schweizeri) unveils patterns of venom composition and exochemistry across blunt-nosed viper venom”
    https://doi.org/10.3389/fmolb.2023.1254058


    Images

    Das Gift der Milosviper (Macrovipera schweizeri), hier ein ausgewachsenes Tier auf der Insel Milos, wurde nun erstmals aufgeschlüsselt.
    Das Gift der Milosviper (Macrovipera schweizeri), hier ein ausgewachsenes Tier auf der Insel Milos, ...
    Thomas Lindner
    Thomas Lindner


    Criteria of this press release:
    Journalists
    Biology, Environment / ecology, Medicine, Zoology / agricultural and forest sciences
    transregional, national
    Research results, Scientific Publications
    German


     

    Help

    Search / advanced search of the idw archives
    Combination of search terms

    You can combine search terms with and, or and/or not, e.g. Philo not logy.

    Brackets

    You can use brackets to separate combinations from each other, e.g. (Philo not logy) or (Psycho and logy).

    Phrases

    Coherent groups of words will be located as complete phrases if you put them into quotation marks, e.g. “Federal Republic of Germany”.

    Selection criteria

    You can also use the advanced search without entering search terms. It will then follow the criteria you have selected (e.g. country or subject area).

    If you have not selected any criteria in a given category, the entire category will be searched (e.g. all subject areas or all countries).