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Kieler Forschungsteam untersucht am Beispiel von Fadenwürmern in einem naturnahen Kompost-Experiment, welchen Beitrag Wirtslebewesen und Mikroorganismen zur gemeinsamen Anpassung an einen neuen Lebensraum leisten
Alle vielzelligen Lebewesen - von den einfachsten tierischen und pflanzlichen Organismen bis hin zum Menschen - leben in enger Verbindung mit einer Vielzahl von Mikroorganismen, dem sogenannten Mikrobiom, die sich auf und in ihren Geweben ansiedeln und symbiotische Beziehungen mit dem Wirt eingehen. Viele Lebensfunktionen wie die Nährstoffaufnahme, die Regulierung des Immunsystems oder sogar neurologische Prozesse resultieren aus den Wechselwirkungen zwischen Wirtsorganismus und mikrobiellen Symbionten. Die funktionelle Zusammenarbeit zwischen Wirt und Mikroorganismen, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler als einen Metaorganismus bezeichnen, wird an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) im Sonderforschungsbereich (SFB) 1182 „Entstehen und Funktionieren von Metaorganismen" im Detail untersucht.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vermuten, dass das Mikrobiom einen wesentlichen Beitrag zur Umweltanpassung eines Gesamtorganismus leisten kann. Einen Grund dafür sehen sie in der raschen Anpassungsfähigkeit von Mikroorganismen, die um ein Vielfaches schneller auf veränderte Umweltbedingungen reagieren können als die genetisch gesteuerten Anpassungsmechanismen des Wirtslebewesens. Zahlreiche Forschungsarbeiten zeigten bereits, dass das Mikrobiom auf geänderte Umweltfaktoren wie zum Beispiel höhere Temperaturen reagiert und dazu beispielsweise seine Artenzusammensetzung verändert und so zur Umweltanpassung des Wirtslebewesens beiträgt. Viele dieser Arbeiten waren bislang allerdings vor allem auf die dabei im Mikrobiom ablaufenden Mechanismen fokussiert.
Forschende aus der Arbeitsgruppe Evolutionsökologie und Genetik um Professor Hinrich Schulenburg am Zoologischen Institut der CAU haben nun in einer neuen Studie die gemeinsamen Einflüsse von Wirtslebewesen und Mikrobiom in den Mittelpunkt gestellt: Dazu entwickelten sie eine innovative Kultivierungsmethode, um die Anpassungen eines Metaorganismus an neuartige Umweltbedingungen zu untersuchen: Der Fadenwurm Caenorhabditis elegans entwickelte sich dabei in einem Langzeitversuch über 100 Tage gemeinsam mit einer ursprünglich vorgegebenen Auswahl von Mikroorganismen unter komplexen und naturnahen Umweltbedingungen in einem Komposthabitat. Anschließend analysierten die Forschenden Veränderungen sowohl seitens der Wirte als auch im Mikrobiom und stellten fest, dass beide unter bestimmten Bedingungen gemeinsam dazu beitragen, den Gesamtorganismus optimal an eine neue Umwelt anzupassen. Die Kieler Forschenden, die in dieser Studie mit Professor Brendan Bohannan und seinem Team von der University of Oregon aus den USA kooperierten, veröffentlichten ihre Ergebnisse kürzlich in der Fachzeitschrift The ISME Journal.
Stinkender Kompost erlaubt Einblicke in den Ablauf von Umweltanpassungen
Um Mechanismen der Ko-Evolution von Wirtslebewesen und Mikroorganismen quasi im Zeitraffer untersuchen zu können, eignet sich C. elegans dank seiner sehr kurzen Generationszeit von nur etwa dreieinhalb Tagen besonders gut. Frühere Forschungsergebnisse, zu denen insbesondere auch Schulenburgs Arbeitsgruppe beigetragen hat, konnten zum Beispiel das natürliche Mikrobiom des Wurms identifizieren oder bestimmte Mikrobiom-Funktionen wie die Pathogen-Abwehr belegen. Die Forschungsfrage, wie sich Wirt und Mikrobiom über evolutionäre Zeiten gemeinsam verändern und dabei auf variable Faktoren in ihrer natürlichen Umwelt reagieren, wurde bisher jedoch wenig untersucht. Hier setzte das Kieler Forschungsteam an und suchte nach geeigneten Rahmenbedingungen, um C. elegans und sein Mikrobiom über einen langen Zeitraum unter naturnahen Bedingungen beobachten zu können.
„Der Wurm lebt in der Natur auf verrottendem organischem Material wie zum Beispiel Obst- und Gemüseresten. Wir haben versucht, eine solche Kompost-Umgebung unter kontrollierten Bedingungen nachzubilden und dazu sogenannte Mesokosmen auf Grundlage von Pflanzenmaterial entwickelt. Schließlich ist es uns gelungen, mit Hilfe dieser künstlichen Kompost-Habitate einen nachhaltigen Lebensraum für den Wurm und sein eingangs definiertes Ursprungs-Mikrobiom zu schaffen. Inzwischen überleben sie in dieser für das menschliche Auge besonders unappetitlichen Umgebung seit fast zwei Jahren durchgängig“, erklärt Dr. Carola Petersen, eine der Erstautorinnen und wissenschaftliche Mitarbeiterin in Schulenburgs Arbeitsgruppe.
Wirt und Mikrobiom können gemeinsam zur Umweltanpassung beitragen
Aus diesem Labor-Kompost entnahm das Forschungsteam nach 100 Tagen oder rund 30 Wurmgenerationen sowohl Exemplare von C. elegans als auch Proben seines Mikrobioms, die sich in dieser Zeit jeweils gemeinsam an die neuen Umweltbedingungen angepasst hatten. Anschließend führten sie verschiedene Versuche in einem sogenannten Common Garden-Ansatz durch, um die Auswirkungen von Mikrobiom-Zusammensetzung und Wirts-Genetik auf die Anpassung des Metaorganismus zu ergründen. „Dazu haben wir ursprüngliche und evolvierte Würmer und Mikroben in allen möglichen Kombinationen zusammengebracht und diese jeweils in der naturnahen Umgebung in neuen Mesokosmos-Kompost-Boxen und auch auf Agarplatten kultiviert. Anschließend haben wir anhand verschiedener Parameter die Fitness des Gesamtorganismus bestimmt“, erklärt SFB 1182-Mitglied Petersen.
„Besonders auffällig waren die guten Fitnesswerte der Würmer in einer bestimmten Box, deren Population im Vergleich zu den anderen Versuchsanordnungen außerordentlich zahlreich gedieh. Diese Würmer zeigten im Vergleich mit der Ursprungspopulation eine stark abweichende Genexpression, auch wenn sie mit dem ursprünglichen Mikrobiom ausgestattet waren“, betont Petersen. Dieser Fitnessvorteil ist also offenbar genetisch gesteuert und damit eine vom Wirtsorganismus ausgehende Umweltanpassung, deren genaue Mechanismen noch nicht bekannt sind. Der Vorteil für den Gesamtorganismus äußert sich dabei offenbar in einer verbesserten Stressreaktion, mit denen die Würmer besser für eine komplexe Umwelt wie das Kompost-Habitat mit seinen zahlreichen strukturellen und physiologischen Einflussfaktoren ausgerüstet sind.
Zusätzlich konnten die Forschenden belegen, dass das evolvierte Mikrobiom ebenfalls zu den Fitnessvorteilen des Wurms beitrug: „Der deutliche Effekt des erhöhten Populationswachstums zeigte sich nur in der Kompostumgebung in Anwesenheit der angepassten Mikroben, nicht aber auf Agarplatten. Auch diese Komponente übt also offenbar einen hochspezifischen Einfluss auf die Fitness der Wurm-Population aus“, so Petersen weiter. Insgesamt liefert die Studie damit experimentelle Belege in Form spezifischer Veränderungen in der Mikrobiomzusammensetzung und auch in der Genexpression der Fadenwürmer, die zeigen, dass die Anpassung an eine neue Umgebung gemeinsam von Wirt und Mikrobiom beeinflusst werden kann.
Neuartiges Modellsystem erlaubt Quantifizierung der Einflüsse von Wirtsgenetik und Mikrobiom
„Diese Umweltanpassungen basieren häufig auf quantitativen genetischen Veränderungen. Wie genau dabei das Mikrobiom mit der Genetik des Wirts zur Verbesserung der gemeinsamen Fitness interagiert, ist bislang noch nicht genau erforscht“, sagt Schulenburg, Vize-Sprecher des SFB 1182. „Mit unserem neuartigen Mesokosmos-System haben wir erstmals reproduzierbare Bedingungen geschaffen, anhand derer wir die Beiträge von Wirt und Mikrobiom zu diesem adaptiven Prozess nicht nur bestätigen, sondern in Zukunft auch ihre genauen Anteile quantifizieren können“, so Schulenburg weiter. Dazu wollen die SFB 1182-Forschenden in weiteren Forschungsarbeiten die aus dem Langzeitexperiment gewonnenen genetischen Daten von Würmern und Mikroben umfangreich analysieren, um die Einflüsse von Wirtslebewesen und Mikroorganismen bei der evolutionären Anpassung an Umweltbedingungen im Detail aufzuklären.
Fotos stehen zum Download bereit:
https://www.uni-kiel.de/de/pressemitteilungen/2023/220-petersen-isme-authors.jpg
Bildunterschrift: Hanne Griem-Krey, Dr. Carola Petersen und Inga Hamerich (v.l.n.r.) konnten gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen in der neuen Studie belegen, dass sowohl Wirt als auch im Mikrobiom an der Umweltanpassung eines Gesamtorganismus beteiligt sein können.
© Christian Urban, Uni Kiel
https://www.uni-kiel.de/de/pressemitteilungen/2023/220-petersen-isme-mesocosms.j...
Bildunterschrift: In den naturnahen Kompost-Mesokosmen (hier nach 0, 100 und 600 Tagen, von oben nach unten) konnten die Forschenden die Anpassung von Wirtslebewesen und Mikroorganismen an komplexe Umweltbedingungen über einen langen Zeitraum beobachten.
© Dr. Carola Petersen
https://www.uni-kiel.de/fileadmin/user_upload/old_news_images/2016/2016-152-2.jp...
Bildunterschrift: Der Fadenwurm C. elegans und sein Mikrobiom (hier in Rot dargestellt) bilden ein ideales Modellsystem, um die Auswirkungen von Mikrobiom-Zusammensetzung und Wirts-Genetik auf die Anpassung des Metaorganismus zu untersuchen.
© Dr. Philip Dirksen
Weitere Informationen:
Arbeitsgruppe Evolutionsökologie und Genetik,
Zoologisches Institut, CAU:
https://www.uni-kiel.de/zoologie/evoecogen
Sonderforschungsbereich 1182
„Entstehen und Funktionieren von Metaorganismen“, CAU:
https://www.metaorganism-research.com
Prof. Hinrich Schulenburg
Arbeitsgruppe Evolutionsökologie und Genetik, Leitung
Zoologisches Institut, CAU
Tel.: 0431-880-4141
E-Mail: hschulenburg@zoologie.uni-kiel.de
Carola Petersen, Inga K. Hamerich, Karen L. Adair, Hanne Griem-Krey, Montserrat Torres Oliva, Marc P. Hoeppner, Brendan J.M. Bohannan, Hinrich Schulenburg (2023): Host and microbiome jointly contribute to environmental adaptation. The ISME Journal
First published: 6. September 2023
https://doi.org/10.1038/s41396-023-01507-9
https://www.uni-kiel.de/zoologie/evoecogen
https://www.metaorganism-research.com
Der Fadenwurm C. elegans und sein Mikrobiom (hier in Rot dargestellt) bilden ein ideales Modellsyste ...
© Dr. Philip Dirksen
© Dr. Philip Dirksen
In den naturnahen Kompost-Mesokosmen (hier nach 0, 100 und 600 Tagen, von oben nach unten) konnten d ...
© Dr. Carola Petersen
© Dr. Carola Petersen
Criteria of this press release:
Journalists, Scientists and scholars
Biology
transregional, national
Research projects, Research results
German
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