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Wissenschaft
Die Zunahme an neurodegenerativen Alterserkrankungen wie M. Parkinson übersteigt die durch den demografischen Wandel erwarteten Zahlen. Nur eine Minderheit der Fälle ist genetisch erklärbar. Die Erforschung der Ätiologie und der Pathomechanismen erhärtet zunehmend den Verdacht, dass „Lifestyle“ und Umweltfaktoren bzw. -toxine eine Rolle spielen, beispielsweise in Kombination mit der genetischen Disposition. Es vergeht kein Monat, in dem nicht neue Publikationen zu dem Thema erscheinen.
Die Parkinson-Krankheit gehört zu den chronischen neurodegenerativen Erkrankungen, die bisher nicht heilbar oder kausal behandelbar sind. Seit Jahren nehmen Inzidenz und Prävalenz der Erkrankung zu – eine Ursache dafür ist der demografische Wandel, der generell zu einer Zunahme altersassoziierter Erkrankungen führt. Jedoch ist die Zunahme von Parkinson überproportional, also deutlich stärker als allein durch die Überalterung der Gesellschaft erklärt werden kann [1]. So litten im Jahr 2016 weltweit 6,1 Millionen Menschen an der Parkinson-Krankheit, 2,4-mal mehr als im Jahr 1990 (2,5 Millionen). Der Anstieg war in Ländern mit hohem soziodemografischem Index (der SDI beinhaltet Pro-Kopf-Einkommen, Bildung, Fertilität) am niedrigsten und in Ländern mit mittlerem SDI am höchsten.
Seit Jahren nehmen Hinweise zu, dass bei der Entstehung der Parkinson-Krankheit auch Umweltfaktoren, insbesondere Schadstoffe oder Umwelttoxine, beteiligt sein können.
Dass Partikelschadstoffe aus der Luft und andere Umwelttoxine sich auf das Nervensystem auswirken, ist unumstritten. Die Folgen bzw. neurologischen Symptome bei akuten Vergiftungen zeigen sich oft direkt, wohingegen langfristige Folgeschäden nur schwer auf eine bestimmte Ursache zurückzuführen sind. Dennoch wurden in der Umwelt- und Arbeitsmedizin bereits viele Kausalzusammenhänge zwischen jahrzehntelangen, z.B. berufsbedingten, Schadstoffexpositionen und entsprechenden Spätfolgen identifiziert und anerkannt. Bei den potenziellen Zusammenhängen von Umweltfaktoren mit Alterserkrankungen ist dieser Weg aber vermutlich noch weit. So beschäftigt sich inzwischen auch das Umweltbundesamt [2] mit der Thematik und unterstützt die entsprechende Forschung.
Seit längerer Zeit wird beispielsweise die Rolle des industriellen Lösungsmittels Trichlorethylen (TCE) bei der Entstehung des M. Parkinson diskutiert. Vor wenigen Monaten erschien eine Publikation [3], die dafür den bisher überzeugendsten Beweis erbracht hat [4]. Bisher umfasste die Literatur weniger als 20 Menschen, die nach TCE-Exposition an Parkinson erkrankten. Diese neue Kohortenstudie untersuchte über 340.000 US-Veteranen, die 1975−1985 für mindestens drei Monate in Camp Lejeune, North Carolina, stationiert waren. Dort war es damals zu einer Verunreinigung des Trinkwassers mit organischen Lösungsmitteln gekommen: Es wurde mehr als das 70-Fache der zulässigen Menge TCE nachgewiesen. Die heutigen Veteranen waren damals ungefähr 20 Jahre alt und lebten dort ca. zwei Jahre. Die Auswertung der Krankenunterlagen der nun ungefähr 60 Jahre alten Soldaten zeigte, dass das Parkinson-Risiko um 70 % höher war (Prävalenz 0,33 %; OR 1,70; p<0,001) als in einer Vergleichsgruppe eines anderen Camps ohne Trinkwasserkontamination (Prävalenz 0,21 %). Bei den Camp-Lejeune-Veteranen fanden sich außerdem häufiger Symptome, von denen bekannt ist, dass sie dem Ausbruch der Bewegungsstörung vorausgehen.
Weitere Substanzen, für die ein konkreter Verdacht besteht, wurden in letzter Zeit publiziert. Aktuelle Arbeiten [5, 6] geben einen Überblick zur möglichen Rolle von Organophosphor-Verbindungen (Pestiziden) bei der Entstehung neurodegenerativer und neurologischer Entwicklungsstörungen. Es werden Zusammenhänge mit der Parkinson-Krankheit beschrieben, aber auch mit der Alzheimer-Krankheit, der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS), Autismus und anderen entwicklungsbedingten Neurotoxizitäten, wie z. B. geistiger Behinderung. „Die mögliche Bedeutung von Pestiziden für die Zunahme von neurodegenerativen Erkrankungen wie Parkinson wird bei der derzeitigen europaweiten Diskussion bezüglich der Reduktion der Pestizidbelastung und des Glyphosat-Verbots zu wenig berücksichtigt“, kritisiert Prof. Dr. med Daniela Berg, Kiel, Präsidentin des diesjährigen DGN-Kongresses. Tatsächlich werden sowohl bezüglich Glyphosat wie auch bei der am 24.10.2023 im Umweltausschuss der EU diskutierten „Sustainable Use Regulation“ (SUR) von Pestiziden primär der Artenschutz und die möglichen Auswirkungen auf Krebserkrankungen genannt. Dabei sind die neurotoxischen Wirkungen von Pestiziden schon lange bekannt. Die Tatsache, dass Substanzen wie MPTP und Rotenon, die als Pestizid verwendet wurden bzw. noch werden, auch genutzt werden, um Tiermodelle für die Erforschung der Parkinsonerkrankung zu generieren, sollte ebenso in die aktuellen Diskussionen einfließen, wie die Tatsache, dass die Parkinson-Erkrankung in Frankreich bei Personen, die in der Landwirtschaft gegenüber Pestiziden exponiert waren (z.B. in Weinanbaugebieten), als Berufskrankheit anerkannt wird.
Für viele Pestizide ist ein direkt toxischer Effekt auf das Nervensystem nachgewiesen. So auch für Glyphosat, welches zu Veränderungen der Neurotransmitter- (Überträgerstoff-) Konzentrationen im Nervensystem und zu einem zellschädlichen Milieu beiträgt. Parkinsonerkrankungen wurden sowohl nach akuter [7] wie auch nach chronischer [8] Glyphosat-Exposition beobachtet. Neben dem direkt toxischen Effekt müssen auch mögliche indirekte Effekte, beispielsweise über eine Veränderung des Mikrobioms, bedacht werden. Außerdem beeinflussen genetische Variationen (sogenannte Polymorphismen) die individuelle Anfälligkeit für eine Neurotoxizität. „Es besteht gerade angesichts der rapiden steigenden Zahl der Parkinson-Erkrankungen ein dringender Bedarf, den möglichen Beitrag von Pestiziden weiter zu erforschen und in die aktuellen Diskussionen mit einzubeziehen“, so Prof. Daniela Berg.
Im Gegensatz zum früher häufiger gesehenen Manganismus, der akuten Toxizität von Mangan (Mn), ist die chronisch-kumulative Toxizität einer lebenslangen niedrig dosierten Mn-Exposition noch nicht ausreichend erforscht. Eine neue Arbeit fasst das bisherige Wissen zu den langfristigen Auswirkungen von Mn aus epidemiologischen und experimentellen Studien zusammen [9]. Es zeigt sich, dass sich bei chronischer niederschwelliger Exposition (gegenüber der akuten) die Mn-Ablagerung auch auf Hirnregionen ausdehnt wie die Substantia nigra. Die typischen motorischen Parkinson-Symptome sind durch Degeneration der dopaminergen Neuronen in der Substantia nigra bedingt. Es ergibt sich die dringende Vermutung, dass eine Kombination aus Expositionsdauer, -intensität und genetischer Anfälligkeit die Mn-induzierte Neurotoxizität (mitochondriale Dysfunktion, Neuroinflammation, oxidativer Stress und gestörte Proteinhomöostase) beeinflusst. Die Daten deuten nach Ansicht des Autorenteams darauf hin, dass Mn in Zukunft ein großes Gesundheitsrisiko darstellt und kumulativ höchstwahrscheinlich zum Parkinson-Ausbruch und -Fortschreiten beiträgt. Mit Blick auf die zunehmende Verbreitung von Mn in der Umwelt (z. B. an Arbeitsplätzen), sei es unbedingt erforderlich, diesen modifizierbaren Faktor weiter zu erforschen, zu definieren und entsprechende Sicherheitsvorkehrungen zu treffen.
Studien zeigten bereits, dass sowohl die langfristige als auch die kurzfristige Exposition gegenüber Luftschadstoffen mit einem erhöhten Parkinson-Risiko verbunden sein kann, während es keine Aussagen zur Auswirkung einer mittelfristigen Exposition gab. Eine retrospektive Beobachtungsstudie aus China [10] zeigt nun einen statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen mittelfristiger Schwefeldioxid (SO2)-Exposition und M. Parkinson bei fast 40.000 Fällen (über 2.191 Tage, 2014-2019). So entsprach der Anstieg pro 1 μg/m3 SO2 einem Anstieg monatlicher ambulanter Arztbesuche wegen Parkinson von 2,34 %. Die Ergebnisse unterstreichen nach Ansicht des Autorenteams, wie wichtig es ist, neben der bisherigen Fokussierung auf die lang- oder kurzfristigen Auswirkungen, auch der Rolle mittelfristiger SO2-Belastung der Luft bei der Entwicklung der Parkinson-Krankheit mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Notwendig seien mehr Forschung und politische Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit.
Die Liste der Substanzen, die darüber hinaus im Fokus stehen, ist lang: Darunter sind neben Feinstaub, Pestiziden, Lösemitteln, neurotoxischen Metallen (wie Mangan, Blei, Quecksilber, Cadmium) auch Mikroplastik und Nanopartikel, Mineralöle, chemische Weichmacher, Bisphenol A (BPA), da sie mit typischen biochemischen Parkinson-Merkmalen (wie mitochondrialer Dysfunktion, Störungen der Metallhomöostase und Aggregation von Proteinen) in Verbindung gebracht werden.
„All diese Studien geben nicht übersehbare Hinweise, dass Umwelttoxine die Parkinson-Inzidenz zusätzlich erhöhen können, was eine Erklärung für den überproportionalen Anstieg sein kann“, so Prof. Berg, Kiel. „Zweifellos ist künftig die Politik, aber auch jeder Einzelne gefordert, damit entsprechende Expositionen minimiert werden. Ferner sollte dringend in Forschung investiert werden, die die Zusammenhänge von Umwelttoxinen und neurodegenerativen Erkrankungen wie Parkinson aufdeckt und die krankheitsbedingenden Mechanismen aufklärt.“
[1] Dorsey ER, Elbaz A, Nichols E et al. Global, regional, and national burden of Parkinson's disease, 1990-2016: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2016. Lancet Neurol 2018; 17 (11): 939-953
[2] https://www.umweltbundesamt.de/umweltschadstoffe-alterskrankheiten
[3] Goldman SM, Weaver FM, Stroupe KT et al. Risk of Parkinson Disease Among Service Members at Marine Corps Base Camp Lejeune. JAMA Neurol 2023 May 15; e231168 doi: 10.1001/jamaneurol.2023.1168. Online ahead of print. PMID: 37184848 PMCID: PMC10186205 DOI: 10.1001/jamaneurol.2023.1168
[4] Wadman M. Solvent exposure strongly linked to Parkinson's. Science. 2023 May 19;380(6646):683. doi: 10.1126/science.adi7660. Epub 2023 May 18. PMID: 37200442.
[5] Mostafalou S, Abdollahi M. The susceptibility of humans to neurodegenerative and neurodevelopmental toxicities caused by organophosphorus pesticides. Arch Toxicol. 2023 Oct 3. doi: 10.1007/s00204-023-03604-2. Epub ahead of print. PMID: 37787774.
[6] Paul KC, Krolewski RC, Lucumi Moreno E et al. A pesticide and iPSC dopaminergic neuron screen identifies and classifies Parkinson-relevant pesticides. Nat Commun. 2023 May 16;14(1):2803. doi: 10.1038/s41467-023-38215-z. Erratum in: Nat Commun. 2023 Jun 23;14(1):3747. PMID: 37193692; PMCID: PMC10188516.
[7] Barbosa ER, Leiros da Costa MD, Bacheschi LA et al. Parkinsonism after glycine-derivate exposure. Mov Disord. 2001 May;16(3):565-8. doi: 10.1002/mds.1105. PMID: 11391760.
[8] Wang G, Fan XN, Tan YY, Cheng Q, Chen SD. Parkinsonism after chronic occupational exposure to glyphosate. Parkinsonism Relat Disord. 2011 Jul;17(6):486-7. doi: 10.1016/j.parkreldis.2011.02.003. Epub 2011 Mar 2. PMID: 21367645.
[9] Lucchini R, Tieu K. Manganese-Induced Parkinsonism: Evidence from Epidemiological and Experimental Studies. Biomolecules. 2023 Jul 30;13(8):1190. doi: 10.3390/biom13081190. PMID: 37627255; PMCID: PMC10452806.
[10] Hu Y, Zhou C, Tan C, Liu J, Huang X, Liu X, Yao C, Li D, Huang Q, Li N, Long J, Li X, Li Y, Zhou L, Cai T. The association between intermediate-term sulfur dioxide exposure and outpatient visits for Parkinson's disease: a time-series study in southwestern China. Environ Sci Pollut Res Int. 2023 Sep;30(44):99694-99703. doi: 10.1007/s11356-023-29408-6. Epub 2023 Aug 24. PMID: 37615914.
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Environment / ecology, Medicine, Nutrition / healthcare / nursing
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