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Wissenschaft
Juri Rappsilber erhält höchstdotiere Förderung des Europäischen Forschungsrats (ERC)
Ein Team von vier Wissenschaftler*innen aus Deutschland und den USA erhält einen von 37 Synergy Grants des Europäischen Forschungsrats, um die genaue Rolle und Funktionsweise der Proteinfabriken in unseren Zellen umfassend aufzuklären. Einer der vier ist Prof. Dr. Juri Rappsilber, Leiter des Fachgebiets für Bioanalytik der Technischen Universität Berlin. Er wird in dem Projekt mit Hilfe von Massenspektrometrie und Künstlicher Intelligenz (KI) die genauen Vorgänge in der Zelle auf Proteinebene sichtbar machen. Die Förderung durch den ERC beträgt 14 Millionen Euro, davon entfallen 4,7 Millionen auf die TU Berlin. Die 37 neuen Synergy Grants im Jahr 2023 wurden an Forschungsteams verschiedenster Fachrichtungen vergeben, davon nur dieser eine an Wissenschaftler*innen in Berlin.
Die Proteinfabriken unserer Zellen, die sogenannten Ribosomen, gehören zu den am besten untersuchten Bestandteilen der menschlichen Zellen. Dies liegt an ihrer zentralen Bedeutung für das Leben: Ständig wird die DNA im Zellkern abgelesen und Baupläne für die in der Zelle benötigten Riesenmoleküle, die Proteine, geschrieben. Diese „mRNA“ genannten Baupläne wandern dann zu den Ribosomen, die die Proteine aus vielen Aminosäure-Molekülen zusammensetzen. Je nach ihrer Aufgabe und dem entsprechenden Bauplan bestehen die Proteine aus verschiedensten Abfolgen der 20 im Menschen vorhandenen Aminosäuren. Die Ribosomen selber sind aus etwa hundert Proteinen und der ribosomalen RNA aufgebaut.
Nicht nur Fabriken, sondern auch Sensoren für die Zelle
„2009 gab es einen Nobelpreis für die Entschlüsselung der Struktur der Ribosomen“, erzählt Juri Rappsilber. „Trotzdem stehen wir erst am Anfang, wenn es darum geht, ihre Funktion für die Zelle vollständig zu verstehen.“ Es verdichten sich nämlich die Hinweise, dass die Ribosomen nicht einfach simple Maschinen sind, die nur die mRNA-Baupläne umsetzen. So hat Prof. Dr. Rachel Green von der Johns Hopkins University in Baltimore (USA), eine der vier Partner*innen des Forschungsteams, entdeckt, dass die Ribosomen auch als Sensoren für den Zustand der Zellen dienen können. Zum Beispiel docken bestimmte Hilfsproteine an den Ribosomen an wie an einem Parkplatz. Erst wenn das Ribosom feststellt, dass es Probleme bei seinen Bautätigkeiten gibt – die Zelle also vermutlich irgendwie gestresst ist – lässt es die Hilfsproteine frei, die dann einen zellweiten Reparaturmechanismus in Gang setzen.
Blitzlicht für Vorgänge in der Zelle
Um den Geheimnissen unserer Zellfabriken und damit letztlich den zentralen Mechanismen in der Zelle auf die Spur zu kommen, setzt das Forscher*innenteam neben speziellen Elektronenmikroskopen eine besondere Form der Massenspektrometrie ein, die von Juri Rappsilber entwickelt wurde. „Wir fluten die Zelle dabei zunächst mit einer speziell designten Aminosäure, die mit Hilfe von Licht aktiviert werden kann“, erklärt der Forscher. Diese Aminosäure werde von den Ribosomen und auch vielen Proteinen irgendwo in ihre Molekülstruktur integriert und verbleibe zunächst einfach dort. „Wenn wir dann zu einem bestimmten Zeitpunkt das Licht einschalten, fängt die Aminosäure an, sich mit dem ihr am nächsten liegenden Teil eines benachbarten Proteins zu vernetzen. Sie tackert sozusagen zwei Proteine zusammen, die gerade miteinander interagieren.“
Zerschlagen und Sortieren mit Massenspektrometrie
Das so geschaffene Konglomerat ist dadurch quasi eine Momentaufnahme der Interaktionen in der Zelle. Nun zerschlagen die Forscher*innen die zusammengetackerten Proteine schrittweise: Zunächst mit einem Enzym, das wir auch zum Verdauen unserer Nahrung im Magen benützen. Mit Hilfe von elektrischen Feldern werden die so entstandenen Bruchstücke dann gemäß dem Prinzip eines Massenspektrometers nach ihrem Verhältnis von elektrischer Ladung und Gewicht sortiert. „Diese Bruchstücke schießen wir in ein Gas. Die Kollision mit den Gasatomen zerlegt sie in noch kleinere Einheiten, die wir dann ebenfalls mit einem Massenspektrometer sortieren können“, sagt Rappsilber. Was den Forscher*innen hilft: Die Bruchstücke fliegen immer an bestimmten, molekularen Sollbruchstellen auseinander – die zusammengetackerten Stellen bleiben dabei unbeschädigt.
Künstliche Intelligenz hilft bei der Interpretation der Daten
Sinn dieses Zerlegungsprozesses ist es, möglichst genau die Stellen identifizieren zu können, an denen die verschiedenen Proteine zusammengetackert waren – welche Proteine also wo in ihrer Struktur jeweils miteinander interagiert haben. Um daraus dann ein Gesamtbild zu bekommen, vergleichen die Forscher*innen mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz die experimentell erhaltenen Daten mit denen von Computersimulationen, die mögliche Proteinkombinationen virtuell getackert und danach zerlegt haben. Gibt es ein Match, weiß man, dass die von der KI simulierte Situation der Realität in der Zelle entspricht.
Hohe Anforderungen an Technik und KI
„Was sich im Prinzip so einfach anhört, ist in der Praxis eine extrem herausfordernde Aufgabe“, erklärt Rappsilber. Denn es gebe in der DNA etwa 20.000 Gene, die jeweils einen Bauplan liefern für ein Protein, das dann aber beim Bau je nach genauer Aufgabe noch an verschiedenen Stellen verändert und ergänzt werde. Zudem lagerten sich viele Proteine zu sogenannten Komplexen zusammen, die dann wiederum neue Aufgaben erfüllen könnten. „Hier die Übersicht zu behalten und auch noch einschätzen zu können, wie groß der Fehler bei unseren Experimenten und Berechnungen ist, stellt unglaublich hohe Ansprüche sowohl an die Messgeräte wie an unsere KI-Methoden.“
Neues Teleskop für Vorgänge in der Zelle
Doch dem hohen Risiko eines möglichen Scheiterns steht auch ein extrem hoher Gewinn gegenüber. Denn das Ergebnis der Forschungen von Juri Rappsilber sind atomar aufgelöste Strukturmodelle, die ein detailliertes Verständnis darüber liefern, wie die Proteine gemeinsam ihre Funktionen ausüben. „Hat unser Verfahren Erfolg, wird es die medizinische und molekularbiologische Forschung grundlegend verändern. Wir haben quasi eine neue Art von Teleskop geschaffen, mit dem man Momentaufnahmen des molekularen Zellgeschehens erstellen kann“, so Rappsilber. Jede Krankheit wirkt sich letztlich durch ihre Veränderung von Vorgängen in den menschlichen Zellen aus – und mit der oben beschriebenen „Blitzlicht-Funktion“ lassen sich die verschiedenen Stadien dieser Vorgänge in mehreren Experimenten hintereinander genau untersuchen. So wollen die Forscher*innen zum Beispiel die Auswirkungen von Virusinfektionen auf die Zellen bei ihrem Projekt unter die Lupe nehmen.
Informationen zum Projekt
ERC Synergy Grant 2023 „Translation in cellular context: Elucidating function, organization and regulation with near-atomic models in whole cells“ (TransFORM)
Prof. Dr. Juri Rappsilber, Technische Universität Berlin
Prof. Dr. Julia Mahamid, European Molecular Biology Laboratory (EMBL) Heidelberg
Prof. Dr. Jan Kosinski, EMBL und Centre for Structural Systems Biology (CSSB) Hamburg
Prof. Dr. Rachel Green, Howard Hughes Medical Institute (HHMI) und Johns Hopinks University Baltimore (USA)
Weitere Informationen erteilt Ihnen gern:
Prof. Dr. Juri Rappsilber
Fachgebiet Bioanalytik
Institut für Biotechnologie
Technische Universität Berlin
Tel.: +49 (0)30 314-72905
E-Mail: juri.rappsilber@tu-berlin.de
Criteria of this press release:
Journalists
Biology, Chemistry, Medicine
transregional, national
Research projects
German
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