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11/23/2023 14:00

CAR-T-Zell-Therapie gegen CD19 bei refraktärer autoimmuner Muskelschwäche

Dr. Bettina Albers Pressestelle der DGN
Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V.

    „Die Patientin konnte im wahrsten Sinne ihren elektrischen Rollstuhl gegen ein E-Bike tauschen“ so beschrieb Prof. Dr. Ralf Gold, Bochum, auf dem diesjährigen Neurologie-Kongress in Berlin den Therapieerfolg mit einer CAR-T-Zell-Therapie bei einer Patientin mit einem seltenen autoimmunen Myasthenie-Syndrom. Nun berichtet die Universitätsklinik Magdeburg in einem im „Lancet Neurology“ publizierten Artikel über einen erfolgreichen Therapieversuch. Natürlich handelt es sich bisher „nur“ um erste Kasuistiken – und randomisierte Studien müssen folgen. Nach Ansicht der Experten liefern die Fallberichte aber womöglich auch neue Erkenntnisse zur Pathogenese autoimmuner Myasthenien.

    Die CAR-T-Zell-Therapie ist eine spezifische, zielgerichtete Immuntherapie, die gegen individuell krankheitsauslösende Antigene eingesetzt werden kann. Bei der Krebsbehandlung gibt es bislang die meisten Erfahrungen, so konnten z. B. bestimmte therapieresistente Lymphome erfolgreich behandelt werden. Für die CAR-T-Zell-Therapie werden zunächst T-Zellen aus dem Blut der Erkrankten gewonnen und molekulargenetisch so modifiziert, dass sie auf ihrer Oberfläche Rezeptoren gegen das entsprechende Antigen tragen. Dies können Tumorzellen, aber auch Immunzellen selber sein, die eine Autoimmunerkrankung auslösen. Diese spezifisch „scharf gemachten“ CAR (=chimäre Antigen-Rezeptoren)-T-Zellen werden dann über einen zentralen Venenkatheter reinfundiert. Im Verlaufe von Tagen und Wochen kommt es in Folge zu einer starken Aktivierung des Immunsystems, wodurch die krankmachenden Zellen, die das entsprechende Antigen tragen, abgetötet werden. Allerdings kann es unter der Therapie auch zu erheblichen systemischen Nebenwirkungen wie dem Zytokin-Freisetzungssyndrom, eine generalisierte, systemische Entzündungsreaktion, oder dem assoziierten Neurotoxizitätssyndrom mit schweren neurologischen Symptomen, kommen.

    In der Zeitschrift „Lancet Neurology“ wurde nun über den ersten Fall einer in der Universitätsklinik Magdeburg erfolgreich behandelten therapierefraktären autoimmunen Myasthenie mit humanen autologen Anti-CD19-CAR-T-Zellen berichtet [1]. Eine junge Patientin aus Sachsen-Anhalt litt an einer schwersten Muskelschwäche (Myasthenia gravis), da ihr Immunsystem Autoantikörper gegen Strukturen der neuromuskulären Endplatte produzierte. Die elektrische Impulsübertragung zwischen Nerven und Muskelzellen war somit gestört: durch die klassischen Antikörper einer Myasthenia gravis (MG) gegen Acetylcholin-(ACh-)Rezeptoren der postsynaptischen Membran. Die Patientin hatte während des jahrelangen Krankheitsverlaufs vielfältige Therapien erhalten, neben Acetylcholinesterase-Inhibitoren eine Thymektomie, Glukokortikoide, Mycophenolatmofetil, B-Lymphozyten-depletierende Antikörper und den Proteasom-Inhibitor Bortezomib – dennoch kam es zur klinischen Progression mit Gehunfähigkeit sowie Schwierigkeiten beim Schlucken und Atmen. Wegen sogenannter myasthenischer Krisen musste die junge Frau zuletzt fünfmal auf der Intensivstation behandelt und maschinell beatmet werden.

    Vor dem Hintergrund des erfolgreichen Einsatz von Anti-CD19-CAR-T-Zellen bei hämato-onkologischen und autoimmunen rheumatischen Erkrankungen entschied sich das Ärzteteam der Universitätsklinik Magdeburg – Prof. Aiden Haghikia, Direktor der Neurologischen Universitätsklinik und Prof. Dimitrios Mougiakakos, Direktor der Klinik für Hämatologie und Onkologie der Universitätsklinik Magdeburg – nach ausführlichen Besprechungen mit der Patientin zu der neuartigen Therapie. Anders als beispielsweise der B-Zell-Antikörper Rituximab, richten sich Anti-CD19-CAR-T-Zellen gegen eine breite Palette CD19-positiver, Antikörper-produzierende Zellen und deren Vorstufen (Prä- und Pro-B-Zellen, Plasmazellen und Plasmablasten). Bei der Patientin kam ein nebenwirkungsärmeres Anti-CD19-CAR-T-Konstrukt der zweiten Generation zum Einsatz, das durch eine veränderte Molekülstruktur bei dem Erkennungsprozess im Immunsystem mit geringerer Zytokinfreisetzung und Toxizität verbunden ist, als es bisher der Fall war. So erfolgte schließlich die Infusion von 1 × 10 [hoch] 8 (ca. 30 ml) Anti-CD19-CAR-T-Zellen (Tag 0). Die Zellvermehrung erreichte ein Maximum am 16. Tag; Nebenwirkungen wurden mit in der Hämatoonkologie erprobten Mitteln beherrscht, so dass die Patientin insgesamt keine schweren unerwünschten Ereignisse im Zusammenhang mit der CAR-T-Zell-Therapie hatte. Bis Tag 62 sanken die pathogenen AChR-Antikörper um ca. 70 % (von 2.434 nmol/ml auf 718 nmol/ml). Die serologischen Befunde gingen mit einer deutlichen klinischen Besserung einher, selbstständiges Gehen wurde wieder möglich, die Vitalkapazität der Lunge verbesserte sich (von 0,9 auf 3,9 Liter). Nach ca. drei Wochen konnte die Patientin mit einer geringen Erhaltungsdosis von Prednisolon entlassen werden, im Verlauf normalisierte sich sogar das Gangbild nahezu vollständig. Wie die Autoren aktuell bestätigen, ist die Patienten nun seit sieben Monaten klinisch stabil und hat bisher keine weitere Immuntherapie benötigt. Auch Prof. Gold kann über positive Erfahrungen berichten: „Wir haben inzwischen drei weitere Kranke mit Anti-CD19-CAR-T-Zellen behandelt und überblicken die ersten vier Monate eines Therapieerfolgs. In der Literatur sind andere Fälle mit dieser Therapie beschrieben, die bereits seit über drei Jahren in Remission sind.“

    „Der Erfolg der CD19-CAR-T-Zell-Therapie nach Versagen anderer immunmodulierenden Therapien lehrt uns Neues zur Pathogenese autoimmuner Myasthenien, denn er spricht dafür, dass an der Produktion der Autoantikörper insbesondere Plasmablasten und kurzlebige Plasmazellen beteiligt zu sein scheinen“, kommentiert Erstautor Prof. Dr. Aiden Haghikia „Möglicherweise kann die Therapie künftig auch bei einem breiten Spektrum anderer schwerer neurologischer Krankheiten helfen.“

    [1] Haghikia A, Hegelmaier T, Wolleschak D, Böttcher M, Desel C, Borie D, Motte J, Schett G, Schroers R, Gold R, Mougiakakos D. Anti-CD19 CAR T cells for refractory myasthenia gravis. Lancet Neurol. 2023 Dec;22(12):1104-1105. doi: 10.1016/S1474-4422(23)00375-7. PMID: 37977704.

    Pressekontakt
    Pressestelle der Deutschen Gesellschaft für Neurologie
    c/o Dr. Bettina Albers, albersconcept, Jakobstraße 38, 99423 Weimar
    Tel.: +49 (0)36 43 77 64 23
    Pressesprecher: Prof. Dr. med. Peter Berlit
    E-Mail: presse@dgn.org

    Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN)
    sieht sich als wissenschaftliche Fachgesellschaft in der gesellschaftlichen Verantwortung, mit ihren über12.300 Mitgliedern die neurologische Krankenversorgung in Deutschland zu sichern und zu verbessern. Dafür fördert die DGN Wissenschaft und Forschung sowie Lehre, Fort- und Weiterbildung in der Neurologie. Sie beteiligt sich an der gesundheitspolitischen Diskussion. Die DGN wurde im Jahr 1907 in Dresden gegründet. Sitz der Geschäftsstelle ist Berlin. www.dgn.org

    Präsident: Prof. Dr. med. Lars Timmermann
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    Geschäftsführer: David Friedrich-Schmidt
    Geschäftsstelle: Reinhardtstr. 27 C, 10117 Berlin, Tel.: +49 (0)30 531437930, E-Mail: info@dgn.org


    Original publication:

    doi: 10.1016/S1474-4422(23)00375-7


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    Criteria of this press release:
    Journalists
    Medicine
    transregional, national
    Scientific Publications, Transfer of Science or Research
    German


     

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