idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Grafik: idw-Logo

idw - Informationsdienst
Wissenschaft

Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instance:
Share on: 
12/11/2023 11:56

Relevanz von Blutdruck und Perfusionsdruck bei akutem Rückenmarkschaden – Stand der Literatur und neue Studien

Kerstin Aldenhoff Pressestelle
Deutsche Gesellschaft für NeuroIntensiv- und Notfallmedizin

    Akuter Rückenmarkschaden – ein bisher wenig beleuchtetes Teilgebiet im Bereich der NeuroIntensivmedizin. Prof. Dr. med. Thomas Westermaier, Dachau, Präsident der Deutschen Gesellschaft für NeuroIntensiv- und Notfallmedizin (DGNI), gibt einen Überblick in den Stand der Literatur und neue Studien. Was bedeutet eine chirurgische Frühversorgung? Welche Relevanz haben Bluthochdruck und Perfusionsdruck? Klinische Leitlinien oder Metaanalysen sind noch nicht auf dem neuen Stand. Es besteht ein dringender Bedarf für weitergehende klinische Studien.

    Die Neurointensiv- und Neuro-Notfallmedizin ist ein sehr facettenreiches Fachgebiet. Im Vordergrund der wissenschaftlichen Aktivitäten stehen traditionellerweise zerebrale Erkrankungen, insbesondere Schlaganfälle, Subarachnoidalblutungen und Schädel-Hirn-Trauma. Der akute Rückenmarkschaden war bis jetzt ein eher weniger beleuchtetes Teilgebiet unseres Faches. Klinische Standards beziehen sich deshalb eher auf ältere Literatur. So wird unter einer chirurgischen Frühversorgung im Allgemeinen eine Operation innerhalb von 24 Stunden nach der Verletzung verstanden. Dies basiert auf zum Teil Jahrzehnte alten Studien. Erst in den letzten Jahren wird eine weit frühere Versorgung diskutiert und könnte tatsächlich einen Benefit für die betroffenen Patienten bieten (1). In klinische Leitlinien oder Metaanalysen ist dieser Sachverhalt jedoch noch nicht eingegangen. Ähnliches gilt für die Aspekte wie spinale Druckentlastung über Liquordrainage oder für die Perfusion des Rückenmarks nach einem akuten Schaden.

    Hier setzt die Studie von LaRiccia et al. an, die retrospektiv den Effekt einer Erhöhung des arteriellen Blutdrucks und somit des spinalen Perfusionsdrucks im Sinne einer Hyperperfusionstherapie auf die neurologische Erholung der betroffenen Patienten untersuchte. Es handelt sich um eine retrospektive single-center Studie, in die Patienten mit nicht penetrierendem Rückenmarktrauma eingeschlossen wurden. Die Studie wurde Juli 2023 im Journal of Spinal Cord Medicine publiziert (2). 96 Patienten erhielten eine aktive Hyperperfusionstherapie nach stumpfem Rückenmarkschaden. Diese wurden in klinische Outcome-Gruppen stratifiziert (neurologische Verbesserung vs. keine neurologische Verbesserung). Das Ansprechen auf die Hyperperfusionstherapie insbesondere in den ersten 12 Stunden korrelierte signifikant mit der Tendenz zur neurologischen Erholung. Ähnliches, aber in abgeschwächter Wirkung, galt für die Zeit zwischen 12 und 24 Stunden nach dem Trauma. Die Studie gibt Hinweis darauf, dass, ähnlich wie beim Schädel-Hirn-Trauma, die Aufrechterhaltung eines stabilen Blutdrucks und Induktion einer Hyperperfusionstherapie, möglicherweise über die stabile Perfusion einer periläsionalen Penumbra, letztliche Besserung des neurologischen Outcomes herbeiführen kann.

    Hier könnte einer von mehreren möglichen Therapieansätzen sein. Weitere diesbezügliche Behandlungsmethoden sind z.B. die Liquordrainage zur Verbesserung des Perfusionsdrucks über eine Reduktion des intraspinalen Drucks oder eine chirurgische Dekompression mit Laminektomie und Eröffnung der Dura Mater oder rheologische Maßnahmen. Diese Therapiemodalitäten wurden in einem kürzlich in Neurology publizierten systematischen Review untersucht (3). Wie eingangs angedeutet, scheint es sich um einen in der Literatur unterrepräsentierten Sachverhalt zu handeln. Nur wenige Studien konnten für die Auswertung herangezogen werden, insgesamt besteht ein sehr niedriges Evidenzniveau. Während die Aufrechterhaltung eines stabilen Blutdrucks durchaus untersucht ist und Eingang findet in Handlungsempfehlungen, besteht für die aktive Hyperperfusion oder andere Interventionen keine klare Evidenz. Hier sehen die Autoren der Metaanalyse den dringenden Bedarf für weitere klinische Studien.

    (1) Early Decompression (<8 Hours) Improves Functional Bladder Outcome and Mobility After Traumatic Thoracic Spinal Cord Injury. Wutte C, Becker J, Klein B, Mach O, Panzer S, Stuby FM, Strowitzki M, Maier D, Thomé C, Grassner L. World Neurosurg. 2020 Feb;134:e847-e854.
    (2) Mean arterial pressure (MAP) augmentation in traumatic spinal cord injuries: Early hyperperfusion treatment influences neurologic outcomes. LaRiccia AK, Sperwer K, Lieber ML, Spalding MC, J Spinal Cord Med. 2023 Jul 10:1-8. doi: 10.1080/10790268.2023.2223447. Online ahead of print
    (3)Multimodal interventions to optimize spinal cord perfusion in patients with acute traumatic spinal cord injuries: a systematic review. Weber-Levine C, Judy BF, Hersh AM, Awosika T, Tsehay Y, Kim T, Chara A, Theodore N.J Neurosurg Spine. 2022 Jun 3:1-11. doi: 10.3171/2022.4.SPINE211434.


    Contact for scientific information:

    Prof. Dr. med. Thomas Westermaier, Dachau
    Präsident der DGNI
    E-Mail: thomas.westermaier@helios-gesundheit.de


    Images

    Prof. Dr. Thomas Westermaier, Chefarzt der Neurochirurgie am Helios Amper-Klinikum Dachau und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Neurointensiv- und Notfallmedizin (DGNI)
    Prof. Dr. Thomas Westermaier, Chefarzt der Neurochirurgie am Helios Amper-Klinikum Dachau und Präsid ...

    Helios


    Criteria of this press release:
    Journalists
    Medicine, Nutrition / healthcare / nursing
    transregional, national
    Scientific conferences
    German


     

    Help

    Search / advanced search of the idw archives
    Combination of search terms

    You can combine search terms with and, or and/or not, e.g. Philo not logy.

    Brackets

    You can use brackets to separate combinations from each other, e.g. (Philo not logy) or (Psycho and logy).

    Phrases

    Coherent groups of words will be located as complete phrases if you put them into quotation marks, e.g. “Federal Republic of Germany”.

    Selection criteria

    You can also use the advanced search without entering search terms. It will then follow the criteria you have selected (e.g. country or subject area).

    If you have not selected any criteria in a given category, the entire category will be searched (e.g. all subject areas or all countries).