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Wissenschaft
TU-Wissenschaftlerin untersuchte, inwiefern Graswurzelbewegungen, Bildung und Kochboxen die Lebensmittelverschwendung reduzieren
Jährlich landen allein in Deutschland elf Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll. 6,5 Millionen Tonnen davon fallen in Privathaushalten an. Bei der Produktion dieser elf Millionen Tonnen sind circa 20 Millionen Tonnen CO2 ausgestoßen worden. Aber nicht nur das: Enorme Mengen an Wasser werden in der Landwirtschaft verbraucht, Pestizide und Herbizide auf den Feldern ausgebracht. Sind diese das Klima belastenden Emissionen und die Natur beeinträchtigenden Folgen vermeidbar und wenn ja, wie? Mit dieser Frage beschäftigte sich Mariam Nikravech in ihrer Dissertation „Essays on Contributions to Reduce Household Food Waste“ am Fachgebiet Bildung für Nachhaltige Ernährung und Lebensmittelwissenschaft der TU Berlin. Die Politikwissenschaftlerin untersuchte, welchen Einfluss Graswurzelbewegengen wie Dumpster Diving, in Deutschland unter dem Begriff „Containern“ bekannt, schulische Bildung, Kochboxen und der Umgang mit Speiseresten auf die Reduktion von Lebensmittelabfällen haben.
Was Graswurzelbewegungen bewirken
Zu den Graswurzelbewegungen nahm sie eine weltweite Literaturauswertung vor. Das Ergebnis: Die Datenlage ist dünn. Nur 15 Studien, und diese auch nur im englischsprachigen Raum, beschäftigten sich überhaupt mit dem Zusammenhang von Graswurzelbewegungen wie Dumpster Diving, Freeganismus oder Foodsharing, und der Reduktion von Lebensmittelabfällen. „Es gibt in diesen Studien keine Messungen, die belastbar belegen würden, dass so und so viel aus Containern gerettete Lebensmittel so und so viele Tonnen CO2 eingespart haben. Aber auch wenn es diese harten Fakten nicht gibt, leisten die Graswurzelbewegungen vor allem einen nicht zu unterschätzenden ideellen Beitrag, um Lebensmittelabfälle zu minimieren“, so Mariam Nikravech. Sei es, dass diese Initiativen durch ihre Aktivitäten für das Thema sensibilisieren: So warben Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir und Bundesjustizminister Marco Buschmann zu Beginn des Jahres dafür, das Containern nicht mehr strafrechtlich zu verfolgen. Sei es, dass Initiativen wie Freeganismus dem westlichen Konsumverhalten ade sagen und für einen ressourcenschonenden Lebensstil eintreten und über das Thema der Lebensmittelverschwendung auf damit zusammenhängende politische und soziale Fragen verweisen wie Hunger, Armut und Gerechtigkeit. Oder sei es, dass diese Bewegungen als Multiplikatoren wirken und Bildungsarbeit fördern.
Der Aha-Effekt: Weniger Abfall ist gut für Natur und Klima
Inwiefern Bildung dazu beitragen kann, die Lebensmittelverschwendung einzudämmen, untersuchte Mariam Nikravech anhand eines am TU-Fachgebiet „Bildung für Nachhaltige Ernährung und Lebensmittelwissenschaft“ entwickelten Moduls für Lehrerinnen und Lehrer und andere im Bildungssektor tätige Menschen. „An zehn neunten bis elften Klassen in Sekundarschulen in Berlin und Lüneburg wurde dieses Modul getestet, und ich habe es evaluiert. Das Modul, das auf drei Tage ausgelegt ist, basiert auf dem innovativen Bildungsansatz des forschenden Lernens. Unter anderem haben die Schülerinnen und Schüler die Mengen an Lebensmittelabfällen in ihren Haushalten zwei Wochen lang gewogen und die Mengen in einem Tagebuch festgehalten. Ziel des Moduls ist es, sowohl Kenntnisse über den Zusammenhang von Klimawandel und Lebensmittelverschwendung zu vermitteln als auch Wissen darüber, wie die Schülerinnen und Schüler selbst Lebensmittelabfälle vermeiden können“, sagt Mariam Nikravech.
Ergebnis der Evaluation: Der Zusammenhang zwischen Lebensmittelverschwendung und Klimawandel wurde durch das Modul für die Schülerinnen und Schüler deutlicher. Sie lernten: weniger Lebensmittelabfälle bedeuten weniger CO2. Die Schülerinnen und Schüler nahmen das als wichtigste Erkenntnis für sich mit. Für Mariam Nikravech wiederum war das eines ihrer wichtigsten Ergebnisse. „Die Schüler wussten zwar, dass es nicht gut ist, Lebensmittel wegzuwerfen, aber warum, das war nicht klar. Das Modul hat es geschafft, Zusammenhänge zu verdeutlichen. Bildung ist also durchaus ein Hebel, die Lebensmittelverschwendung zu begrenzen“, so Nikravech.
Grübeln über den Unterschied zwischen Mindesthaltbarkeitsdatum und Verbrauchsdatum
Unterschiedlich wirksam war das Modul dahingehend, Kenntnisse zu vermitteln, wie durch das eigene Handeln Lebensmittelabfälle reduziert werden können. Überhaupt war praktisches Wissen über Kaufverhalten oder die richtige Lagerung von Lebensmitteln vor allem von Obst und Gemüse vor Beginn des Moduls gering. Nach Absolvierung des Moduls verstanden die Teilnehmenden besser, dass sie Lebensmittelabfälle im eigenen Haushalt minimieren können, indem sie ihre Mahlzeiten aufessen und dass man die Essbarkeit eines Lebensmittels auch durch Sinneswahrnehmungen wie riechen und schmecken und durch das äußere Erscheinungsbild, also ob zum Beispiel Schimmelflecken zu sehen sind, selbst beurteilen kann. Das Wissen über die richtige Lagerung von Lebensmitteln im Kühlschrank und den Umgang mit dem Mindesthaltbarkeitsdatum und dem Verbrauchsdatum und der Unterschied zwischen beiden verbesserte sich dagegen nicht. „Die Evaluation zeigte, dass solche Bildungsinterventionen das Potenzial haben, Handlungen zu beeinflussen und Wissen zu befördern, aber auch, dass es robustere Stichproben braucht und noch viel Bildungsarbeit notwendig ist“, resümiert die Wissenschaftlerin.
Der Ekel-Faktor
Neben den Graswurzelbewegungen und Bildung untersuchte Mariam Nikravech auch die Wirkung von Kochboxen auf die Minimierung von Lebensmittelresten. „Mich interessierte, an welcher Stelle der Verarbeitung die wenigsten Reste entstehen. Es ist bei der Zubereitung, und im Topf bleibt weniger übrig. Da das Rezept die genauen Mengen angibt, fallen weniger Reste an bis auf Unvermeidliches wie Knochen oder Schalen.“ Unterschiedlich ist der Umgang mit Topf- und Tellerresten beim Kochen mit Kochboxen: Werden Topfreste eher wiederverwendet, warfen die meisten Probanden die Tellerreste weg. Tellerreste sind unbeliebter als Topfreste. Grundsätzlich aber hätten Kochboxen einen positiven Einfluss auf die Vermeidung von Lebensmittelabfällen, da von vornherein gezielt eingekauft wird. „Was wir aber noch nicht verstehen ist, das Auseinanderklaffen zwischen Wissen Lebensmittel wegzuwerfen ist schlecht und dem eigenen Handeln, es trotzdem zu tun und welche Rolle der Ekel dabei spielt.“
Es zeigte sich in der Befragung, dass mehr Lebensmittelreste nicht unbedingt mehr Abfälle bedeuten: Menschen, die keine Speisereste mögen, sind bemüht, wenig Speisereste zu produzieren. Und andere Menschen wiederum produzieren Reste bewusst und gehen bewusst mit ihnen um. Da sie in ihnen eine Geld- und Zeitersparnis sehen, lagern sie die Reste, kreieren daraus neue Mahlzeiten oder wärmen die Reste am nächsten Tag noch einmal auf.
Kontakt:
Mariam Nikravech
Fachgebiet Bildung für Nachhaltige Ernährung und Lebensmittelwissenschaft
E-Mail: mariam.nikravech@tu-berlin.de
Criteria of this press release:
Journalists
Biology, Chemistry, Environment / ecology, Nutrition / healthcare / nursing, Oceanology / climate
transregional, national
Research results
German
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