idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Grafik: idw-Logo

idw - Informationsdienst
Wissenschaft

Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instance:
Share on: 
12/18/2023 12:21

Forschende entdecken neuartigen antibiotischen Wirkstoff in menschlicher Nase

Antje Karbe Hochschulkommunikation
Eberhard Karls Universität Tübingen

    An der Universität Tübingen wurde erstmals der Wirkstoff Epifadin isoliert - Epifadin wird von bestimm-ten Bakterien in der Nase und auf der Haut des Menschen produziert, ist antibiotisch wirksam und der erste Vertreter einer bisher unbekannten Wirkstoffklasse.

    Forschende der Universität Tübingen haben einen neuartigen antibiotischen Wirkstoff in der mensch-lichen Nase entdeckt, der gegen krankheitserregende Bakterien eingesetzt werden könnte. Produ-ziert wird das Molekül mit dem Namen Epifadin von bestimmten Bakterienstämmen der Art Staphy-lococcus epidermidis, die auf der Schleimhaut der Naseninnenwand vorkommen. Daneben konnten Epifadin-produzierende Stämme aber auch von der Hautoberfläche isoliert werden. Epifadin be-gründet eine neue, bisher unbekannte Mikroorganismen-abtötende Wirkstoffklasse, die als Leitstruk-tur zur Entwicklung von neuartigen Antibiotika genutzt werden könnte.

    Die Nase, Haut oder der Darm des Menschen werden sowohl von gutartigen als auch von krank-heitserregenden Bakterien besiedelt. Gemeinsam leben diese Mikroorganismen in sogenannten Mik-robiomen. Ist das Mikrobiom aus dem Gleichgewicht, können sich Krankheitserreger vermehren und wir werden krank. Das Bakterium Staphylococcus epidermidis kommt natürlicherweise im Haut- und im Nasenmikrobiom fast aller Menschen vor. Der neu identifizierte Stamm produziert den Wirk-stoff Epifadin vermutlich, um sich gegen konkurrierende Mikroorganismen durchzusetzen. Epifadin wirkt nicht nur gegen diejenigen Bakterien, die sich in lokaler Konkurrenz mit Staphylococcus epi-dermidis befinden. Auch gegen Bakterien aus anderen Lebensräumen wie dem Darm sowie gegen bestimmte Pilze ist Epifadin wirksam. Eine besonders gute Wirksamkeit wurde gegen den potenziel-len Krankheitserreger Staphylococcus aureus festgestellt, der auch als Krankenhauskeim bekannt ist, und besonders gefährlich ist, wenn er als antibiotikaresistente Form (MRSA) vorkommt.

    Bereits 2016 entdeckten dieselben Arbeitsgruppen von Dr. Bernhard Krismer und Prof. Dr. Andreas Peschel gemeinsam mit den Professorinnen Stephanie Grond und Heike Brötz-Oesterhelt an der Universität Tübingen einen unbekannten antibiotischen Wirkstoff mit einzigartiger Struktur – das so-genannte Lugdunin. Epifadin ist nun also die zweite Entdeckung dieser Art von diesen Arbeitsgrup-pen, die im menschlichen Mikrobiom gemacht wurde.

    Im Experiment tötet der Wirkstoff Epifadin den Erreger Staphylococcus aureus sehr zuverlässig ab. Der Wirkstoff schädigt dabei die Zellmembran feindlicher Bakterienzellen, wodurch diese zerstört werden. Die chemische Struktur von Epifadin ist höchst instabil und der Wirkstoff ist nur wenige Stunden aktiv. Dadurch wirkt Epifadin vor allem lokal und Kollateralschäden des Mikrobioms, wie bei heutigen Behandlungen mit Breitbandantibiotika, sind unwahrscheinlicher. Ob Epifadin oder seine Derivate für eine Therapie nutzbar sind, wird erst die zukünftige Forschung zeigen. Es wäre bei-spielsweise denkbar, Epifadin-produzierende Staphylococcus epidermidis in der Nasenschleimhaut und an anderen Stellen auf unserer Haut gezielt anzusiedeln und somit das Wachstum von Krank-heitserregern wie Staphylococcus aureus zu unterdrücken. So könnte bakteriellen Infektionen vor-gebeugt werden – mit natürlichen Mitteln, über die unser Körper bereits verfügt.

    Forschende des Exzellenzclusters „Controlling Microbes to Fight Infections“ CMFI der Universität Tübingen kamen dem Wirkstoff und seiner Struktur vor zehn Jahren auf die Spur, als sie den produ-zierenden Stamm erstmals isolieren konnten. Komplexe Naturstoffe wie Epifadin werden von Mikro-organismen mithilfe von Enzymen aus Einzelbausteinen gebildet – „Biosynthese“ genannt. Erste Versuche diese Biosynthese nachzuvollziehen, hatten schon früh auf ein völlig neuartiges Molekül hingedeutet. Erst nach mehreren Jahren der engen Zusammenarbeit mit der chemischen Analytik und Synthese der Organischen Chemie an der Universität Tübingen, gelang ihnen die Anreicherung und Lagerung des Wirkstoffs auf eine Weise, die eine vollständige Isolierung der Reinsubstanz er-möglichte.

    Studienleiter Bernhard Krismer vom Interfakultären Institut für Mikrobiologie und Infektionsmedizin (IMIT) erinnert sich: „Die Daten aus dem Labor waren sehr interessant, aber wegen der Instabilität schwer zu interpretieren. Ich war der Meinung, dass es sich trotz der Schwierigkeiten lohnt, weiter daran zu forschen. Hartnäckigkeit und eine hohe Frustrationstoleranz haben hier schließlich zum Erfolg geführt“.

    Andreas Peschel, Professor für Mikrobiologie an der Universität Tübingen und Sprecher des Exzel-lenzclusters CMFI, ergänzt: „Seit Jahrzehnten stagniert die Entwicklung neuer Antibiotika. Wir brau-chen sie aber mehr denn je, denn wir verzeichnen weltweit einen rasanten Anstieg an multiresisten-ten Keimen über die letzten Jahre. Diese Infektionen sind schwer in den Griff zu bekommen und unsere Reserveantibiotika wirken nicht mehr so gut. Wir brauchen dringend neue Wirkstoffe und Behandlungsmethoden“.

    In Folgestudien wird es darum gehen, aus der Struktur des Wirkstoffs Rückschlüsse auf seine Wir-kung zu ziehen. Auch hier erschwert die kurze Haltbarkeit von Epifadin eine umfassende chemische und biologische Analyse. Daher sollen im Labor zunächst mittels chemischer Synthese künstlich Moleküle mit einer ähnlichen Struktur und antimikrobieller Wirkung wie Epifadin hergestellt werden, die stabiler sind und mit denen sich besser arbeiten lässt.


    Contact for scientific information:

    Dr. Bernhard Krismer
    Universität Tübingen
    Interfakultäres Institut für Mikrobiologie und Infektionsmedizin (IMIT)/Infektionsbiologie
    b.krismer @ uni-tuebingen. de
    Telefon: +49 (7071) 29-74640

    Prof. Dr. Stephanie Grond
    Universität Tübingen
    Institut für Organische Chemie
    stephanie.grond @ uni-tuebingen. de


    Original publication:

    Benjamin O. Torres Salazar, Taulant Dema, Nadine A. Schilling, Daniela Janek, Jan Bornikoel, Anne Berscheid, Ahmed M. A. Elsherbini, Sophia Krauss, Simon J. Jaag, Michael Lämmerhofer, Min Li, Norah Alqahtani, Malcolm J. Horsburgh, Tilmann Weber, José Manuel Beltrán-Beleña, Heike Brötz-Oesterhelt, Stephanie Grond, Bernhard Krismer & Andreas Peschel. (2023) Commensal production of a broad spectrum and short-lived antimicrobial peptide polyene eliminates nasal Staphylococcus aureus. Nature Microbiology. https://doi.org/10.1038/s41564-023-01544-2.


    Images

    Der Wirkstoff Epifadin in seiner isolierten Reinform. Der instabile Wirkstoff muss unter Schutzgas gelagert werden.
    Der Wirkstoff Epifadin in seiner isolierten Reinform. Der instabile Wirkstoff muss unter Schutzgas g ...

    © Jonas Ritz / Universität Tübingen.

    Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme des Epifadin produzierenden Bakteriums Staphylococcus epider-midis. Kolorierung: Elke Neudert/Universität Tübingen.
    Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme des Epifadin produzierenden Bakteriums Staphylococcus epider ...

    © Jeremiah Shuster, Tübingen Structural Microscopy Core Facility / Arbeitsgruppe Geomikrobiologie / Universität Tübingen.


    Attachment
    attachment icon Dr. Bernhard Krismer und Prof. Dr. Stephanie Grond im Mikrobiologischen Labor des Interfakultären Instituts für Mikrobiologie und Infektionsmedizin Tübingen (IMIT) der Universität Tübingen.

    Criteria of this press release:
    Journalists
    Biology, Chemistry, Medicine, Nutrition / healthcare / nursing
    transregional, national
    Research results, Scientific Publications
    German


     

    Help

    Search / advanced search of the idw archives
    Combination of search terms

    You can combine search terms with and, or and/or not, e.g. Philo not logy.

    Brackets

    You can use brackets to separate combinations from each other, e.g. (Philo not logy) or (Psycho and logy).

    Phrases

    Coherent groups of words will be located as complete phrases if you put them into quotation marks, e.g. “Federal Republic of Germany”.

    Selection criteria

    You can also use the advanced search without entering search terms. It will then follow the criteria you have selected (e.g. country or subject area).

    If you have not selected any criteria in a given category, the entire category will be searched (e.g. all subject areas or all countries).