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Wissenschaft
In einem aktuellen Antrag fordert die AfD Bundestagsfraktion dringende Maßnahmen zur Bekämpfung von Sepsis. Am 26. Juni wird der Gesundheitsausschuss zu diesem Antrag eine öffentliche Anhörung durchführen. Aus diesem Anlass hat die Sepsis Stiftung eine evidenzbasierte wissenschaftliche Stellungnahme verfasst, in der verdeutlicht wird, dass es nach plausiblen, aktuellen Schätzungen in Deutschland jährlich mindestens eine halbe Million Sepsis-Betroffene im Krankenhaus behandelt werden, von denen dort 140.000 versterben. Zudem erleiden etwa 270.000 der Überlebenden Langzeitfolgen, die weitgehend identisch mit den als Long COVID bezeichneten Langzeitfolgen sind.
Derweil weisen die Überlebensraten von Sepsis-Betroffenen beispielsweise in Schweden, Australien und den USA darauf hin, dass es auch in Deutschland möglich wäre, täglich etwa 190 Menschenleben zu retten und 370 Betroffene vor Langzeitfolgen zu bewahren. Die zentralen gesundheitspolitischen Maßnahmen, mit denen in diesen Ländern in Zeiträumen von 10-15 Jahren die Sterberaten halbiert wurden und hernach unterhalb von 15% lagen, werden dort genannt und zitiert. In Deutschland liegt die Sterberate nach wie vor um 30%.
Wirkungsvolle Maßnahmen gegen Sepsis umfassen:
1. Effektive Vorbeugungsmaßnahmen zum Schutz vor Infektionskrankheiten, für die es effektive Impfstoffe gibt, wie Lungenentzündung, Grippe, COVID-19, Masern, Röteln Meningokokken-Meningitis, sowie wirksame Hygienemaßnahmen. Wie wichtig der Impfschutz gerade in Pandemiezeiten ist, hat sich in den US Bundesstaaten Ohio und Florida gezeigt. Dort war bei den als Republikaner registrierten Wählern und Wählerinnen eine um 43% höhere Übersterblichkeit zu verzeichnen als beim weniger impf-skeptischen demokratischen Wahlvolk.
2. Eine verpflichtende, konsequente Aufklärung des medizinischen Personals und der Bevölkerung über Frühzeichen einer Sepsis und die Notwendigkeit der Behandlung von Sepsis als Notfall, bei dem jede Stunde zählt. Dies ist durch zahlreiche Studien und Sepsis-spezifische Qualitätssicherungsmaßnahmen auf Krankenhaus, Länder- und nationaler Ebene belegt. Eine konsequente Aufklärung der Bevölkerung über Präventionsmöglichkeiten ergibt sich aus den derzeit im internationalen Vergleich sehr niedrigen Impfraten in Deutschland und den wissenschaftlichen Hinweisen dafür, dass circa ein Drittel der unnötigen Komplikationen bei der Sepsis Behandlung auf ein zu spätes Nachsuchen von medizinscher Hilfe seitens der Betroffenen zurückzuführen ist.
3. Eine effektive Gesundheitsreform. Die Sepsis Stiftung gehört nicht erst seit dem gemeinsam mit dem Aktionsbündnis Patientensicherheit auf den Weg gebrachten Appell gesundheitsreform.jetzt zu den entschiedenen Unterstützern einer konsequent durchgeführten Krankenhausstrukturreform. Denn nur so ist zu gewährleisten, dass nur solche Krankenhäuser komplexe Eingriffe durchführen und Krankheiten behandeln dürfen, für die dafür ausreichend fachlich qualifiziert und sowohl personell und apparativ adäquat ausgestattet sind, Damit einhergehen muss die Abschaffung von Fehlanreizen bei der Vergütung, weil sie derzeit paradoxerweise die von der Behandlung an vermeidbaren Komplikationen wie Sepsis verdienen. Dies liegt daran, dass die Komplexbehandlung Intensivmedizin und die Beatmungsdauer überproportional vergütet werden. Hier arbeitet also das Vergütungssystem gegen das Patienteninteresse.
4. Eine transparente Berichterstattung über die Krankheitslast und Versorgungsqualität durch Sepsis und ihre Folgen auf Bundes- Landes- und Gesundheitseinrichtungseben und die verpflichtende Vorhaltung von und eine überprüfbar adäquate Nutzung von Critical Incident Reporting Systeme (CIRS) auf der Einrichtungsebene. Diese steckt derzeit aufgrund der fehlenden weitgehenden Digitalisierung in den Kinderschuhen. Im Hinblick auf eine qualitativ angemessene Sepsisbekämpfung kostet diese mangelhafte Digitalisierung jeden Tag Leben.
Bei der Beurteilung der Kosteneffektivität von Aufklärungsmaßnahmen und der gesundheits-ökonomischen Bedeutung zur Stärkung der Sepsis-Kompetenz ist zu berücksichtigen, dass Sepsis die vulnerablen Altersgruppen d.h. die Früh- und Neugeborenen, ältere Menschen über 60 Jahren und Menschen mit Begleiterkrankungen besonders hart trifft. Dies bedeutet für diese Menschen nicht nur erhöhte Sterberaten im Krankenhaus, sondern, wie die Ergebnisse des Innovationsfond-Projekts Sepfrok gezeigt haben, dass das menschliche Leid für die Betroffenen und Angehörigen und die Belastungen für die Sozialsysteme und Wirtschaft noch viel größer sind, weil fast ein Drittel der Betroffenen innerhalb des ersten Jahres nach der Entlassung verstirbt bzw. erstmals ambulante Pflege benötigte und 13 % ins Pflegeheim muss.
Deutschland war 2013 mit Unterstützung des damaligen parlamentarischen Staatssekretärs Helge Braun weltweit das erste Land, in dem, in einem von der Fachwelt inklusive des Robert-Koch-Instituts und der Sepsis Hilfe e.V. breit unterstützten Memorandum, ein Nationaler Sepsisplan gefordert wurde. Der damalige Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hat 2016 im Rahmen eines Symposiums der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, seine erfolgreiche Initiative für die 2017 erfolgte Verabschiedung der WHA Sepsis Resolution angekündigt. 2022 hat sich Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) mit dem Einwerben für die weltweite Unterstützung der Implementierung dieser Resolution (der sog. Berlin Sepsis Declaration) der G7 Gesundheitsminister international große Anerkennung erworben.
Es wäre deshalb nur konsequent, wenn die jetzige Bundesregierung aufgrund der bisher fehlenden Umsetzung der zentralen Forderungen aus dieser Resolution Sepsis in die jeweiligen Gesundheitsstrategien zu integrieren, und diese wegen der engen Zusammenhänge von Infektionsprävention, Sepsis, Antimikrobiellen Resistenzen und Pandemien, im Rahmen einer innovativen Nationalen Infektionsmanagementstrategie umsetzen würde. Durch diese Bündelung könnten nicht nur gegebene vielfältige inhaltliche Synergien gehoben, sondern auch erhebliche Kosten eingespart werden.
Prof. Konrad Reinhart
konrad.reinhart@sepsis-stiftung.de
Criteria of this press release:
Journalists
Medicine, Politics
transregional, national
Science policy
German
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