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07/09/2024 13:35

Arbeitskosten: Deutschland auf Position fünf in der EU

Rainer Jung Abt. Öffentlichkeitsarbeit
Hans-Böckler-Stiftung

    Neue Studie des IMK

    Arbeitskosten: Deutschland auf Position fünf in EU – langfristige Entwicklung der Lohnstückkosten weiter unter EZB-Inflationsziel

    2023 haben Arbeitnehmer*innen in Deutschland, ebenso wie im Durchschnitt der EU, erneut inflationsbereinigt Einkommensverluste erlitten. Diese fielen aber geringer aus als im Vorjahr, und zumindest in der Bundesrepublik gelang es 2023, die hohe Teuerungsrate durch stärkere Lohnerhöhungen im Durchschnitt fast auszugleichen.

    Zusammen mit weiteren Lohnsteigerungen in diesem Jahr ist damit die Voraussetzung dafür geschaffen, dass der private Konsum wieder an Kraft gewinnt und die deutsche Wirtschaft langsam aus ihrer Schwächephase kommen kann. Einen Beitrag zur Reduzierung der Kaufkraftverluste leisteten auch die von der Bundesregierung ermöglichten Inflationsausgleichsprämien, die durch Befreiung von Steuern und Abgaben sowohl für Beschäftigte als auch für Arbeitgeber kurzfristig finanziell attraktiv waren. Diese Faktoren prägten auch die Entwicklung der Arbeitskosten je Arbeitsstunde in der Privatwirtschaft in Deutschland, die 2023 um jahresdurchschnittlich 5,0 Prozent zunahmen. Das ist im langjährigen Vergleich ein relativ hoher Wert, aber spürbar weniger als 2022 mit einem Anstieg um 6,5 Prozent. Im Durchschnitt der EU legten die Arbeitskosten 2023 um 5,6 Prozent zu und im Euroraum um 5,1 Prozent. In fast allen osteuropäischen EU-Ländern stiegen die Arbeitskosten zweistellig, mit Spitzenwerten zwischen 15 und 20 Prozent in Polen, Rumänien und Ungarn. Mit Arbeitskosten von 41,90 Euro in der Privatwirtschaft rangiert die Bundesrepublik aktuell auf Position fünf in der EU, zusammen mit den Niederlanden und unmittelbar vor Schweden. Die schwedische Krone hat im vergangenen Jahr erneut deutlich an Wert verloren, weshalb das skandinavische Land bei den Arbeitskosten in Euro gerechnet mit 41,60 Euro diesmal knapp hinter der Bundesrepublik liegt (detaillierte Daten unten und in der Tabelle). Das zeigt der neue Report des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung zu den Arbeits- und Lohnstückkosten.*

    „Ohne deutliche Anstiege der nominalen Löhne hätte die Rekordinflation 2022 und 2023 die breite Kaufkraft in Deutschland auf längere Zeit schwer geschädigt. Nach wie vor sind die Einbußen vieler Beschäftigter nicht vollständig ausgeglichen, weshalb wir in unserer Konjunkturprognose mit weiteren deutlichen Lohnerhöhungen rechnen, die nötig sind, um die Nachfrage nachhaltig wieder in Schwung zu bringen“, sagt Prof. Dr. Sebastian Dullien, der wissenschaftliche Direktor des IMK. „Die Daten zu den Arbeitskosten zeigen nun, dass der Spielraum für eine Stabilisierung der Kaufkraft in der Krise genutzt worden ist, ohne Schieflagen an anderer Stelle zu verursachen. Denn die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft in Bezug auf die Lohnkosten ist stabil. Wir liegen bei den Arbeitskosten wie vor den Krisen der vergangenen Jahre im oberen Mittelfeld Westeuropas und sehen etwa bei den Exporten eine wieder aufsteigende Linie.“

    Mittelfristige Stabilität bei kurzfristigen Ausschlägen hat nach der neuen Analyse des IMK auch die Entwicklung der Lohnstückkosten geprägt, die die Arbeitskosten ins Verhältnis zur Produktivität setzen. Diese sind 2023 in Deutschland zwar kräftig um 6,6 Prozent gestiegen und damit etwas stärker als im Euroraum (6,1 Prozent). Ein wesentlicher Grund war neben der hohen Inflation die schwache Produktivitätsentwicklung infolge der schleppenden Konjunktur „Die kurzfristig hohen Anstiege gefährden die preisliche Wettbewerbsfähigkeit bislang aber nicht“, betonen Dr. Ulrike Stein und Prof. Dr Alexander Herzog-Stein, die die neue Studie verfasst haben. Es gebe bislang keine Anzeichen für eine Preis-Lohn-Spirale. Und auf die längere Frist gesehen liege die Lohnstückkostenentwicklung der deutschen Wirtschaft trotz dieser Beschleunigung weiterhin unterhalb der Zielinflation der Europäischen Zentralbank von zwei Prozent und habe damit „im Hinblick auf das Kriterium der makroökonomischen Stabilität im Euroraum… eher etwas zu langsam als zu schnell zugenommen“. Der Befund deckt sich mit dem 2023 erneut sehr hohen deutschen Leistungsbilanzüberschuss, der nach Schätzungen der EU-Kommission rund 284 Milliarden Euro oder 6,9 des Bruttoinlandsprodukts betrug. Die Kommission ordnet Leistungsbilanzüberschüsse ab sechs Prozent als problematisch hoch ein.

    In einer Zusatzauswertung zeigen die Forschenden, dass 2022 und bis ins Jahr 2023 hinein ein zwischenzeitlich starker Anstieg der Stückgewinne bestimmter Unternehmen einen deutlich stärkeren Einfluss auf die Inflation hatte als die Entwicklung der Lohnstückkosten. Das galt, in unterschiedlicher Ausprägung, vor allem für vier Wirtschaftsbereiche: Am Bau, im von der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) so zusammengefassten Großbereich „Handel, Verkehr und Gastgewerbe“ sowie etwas abgeschwächt im Bereich „Produzierendes Gewerbe ohne Bau- und Verarbeitendes Gewerbe“, zu dem die Energieerzeugung gehört, und in der Landwirtschaft. Der preistreibende Effekt der „Gewinninflation“ sei aber mit Ausnahme des Wirtschaftsbereichs Bau Mitte 2023 ausgelaufen, so Stein und Herzog-Stein.

    Detaillierte Ergebnisse der neuen Studie:

    – Arbeitskosten: Deutschland auf Position fünf in der EU: Niederlande ziehen gleich, Schweden wertet ab und fällt zurück –

    Zu den Arbeitskosten zählen neben dem Bruttolohn die Arbeitgeberanteile an den Sozialbeiträgen, Aufwendungen für Aus- und Weiterbildung sowie als Arbeitskosten geltende Steuern. Das IMK nutzt für seine Studie die neuesten verfügbaren Zahlen der europäischen Statistikbehörde Eurostat.

    Die Arbeitskosten in der deutschen Privatwirtschaft sind 2022 nominal um 5,0 Prozent gestiegen, nach 6,5 Prozent 2022. Mit Arbeitskosten von 41,90 Euro pro Stunde lag Deutschland 2023 an fünfter Stelle unter den EU-Ländern hinter Luxemburg, Dänemark, Belgien und Frankreich (Arbeitskosten dort zwischen 53,60 und 42,70 Euro; siehe auch Tabelle 3 in der Studie sowie in der pdf-Version dieser PM; Link unten). In den Niederlanden stiegen die Arbeitskosten stärker um 7,1 Prozent, so dass das Nachbarland mit ebenfalls 41,90 Euro pro Stunde mit Deutschland gleichgezogen hat. 41,60 Euro betragen die Arbeitskosten in Schweden, das 2022 noch vor der Bundesrepublik lag. Der Positionswechsel beruht aber auf dem Sondereffekt, dass die schwedische Krone erneut deutlich abwertete, was die Arbeitskosten in Euro reduziert, während sie in Landwährung um 4,0 Prozent gewachsen sind. Mit geringem Abstand folgt Österreich mit aktuell 40,90 Euro pro Stunde, dann Finnland und Irland.

    Der Durchschnitt des Euroraums beträgt 35,60 Euro. Italien weist mit 29,20 Euro die höchsten Arbeitskosten in Südeuropa auf, liegt aber spürbar unter dem EU-Mittel von 31,60 Euro. In den übrigen „alten“ südlichen EU-Staaten betragen die Arbeitskosten zwischen 24,10 Euro (Spanien) und 16,10 Euro (Portugal). Die „alten“ EU-Länder Portugal und Griechenland liegen mittlerweile zum Teil deutlich hinter osteuropäischen EU-Staaten wie Slowenien (26,00 Euro), Estland (18,30 Euro), der Tschechischen Republik (18,00 Euro) oder der Slowakei (17,20 Euro). In den übrigen baltischen Staaten sowie in Kroatien, Polen und Ungarn betragen die Stundenwerte zwischen 14,80 und 13,30 Euro. Schlusslichter sind Rumänien und Bulgarien mit Arbeitskosten von 10,80 bzw. 9,20 Euro pro Stunde, allerdings bei überdurchschnittlichen Zuwächsen von 16,9 und 14,5 Prozent im vergangenen Jahr.

    – Arbeitskosten bei Industrie und Dienstleistungen –

    Im Verarbeitenden Gewerbe betrugen 2023 die Arbeitskosten in Deutschland 46,00 Euro pro Arbeitsstunde. Im EU-Vergleich rangiert die Bundesrepublik damit wie im Vorjahr auf Position vier als Teil einer größeren Gruppe von Industrieländern, die deutlich über dem Euroraum-Durchschnitt von 37,70 Euro liegen. Dazu zählen auch Dänemark mit industriellen Arbeitskosten von 51,40 Euro, Belgien (49,70 Euro), Österreich (46,10 Euro), Luxemburg (45,80 Euro), die Niederlande (45,60 Euro), Frankreich (44,60 Euro), Schweden (42,80 Euro) und Finnland (41,60 Euro). Dabei ist nicht berücksichtigt, dass das Verarbeitende Gewerbe in der Bundesrepublik vergleichsweise stark von günstigeren Vorleistungen aus dem Dienstleistungsbereich profitiert – auch wenn der Abstand etwas kleiner ausfällt als früher. 2023 stiegen die industriellen Arbeitskosten in Deutschland um 4,9 Prozent. Das war etwas weniger als im Durchschnitt der EU (5,6 Prozent) und des Euroraums (5,0 Prozent).

    Im privaten Dienstleistungssektor lagen die deutschen Arbeitskosten 2022 mit 39,80 Euro an siebter Stelle nach Luxemburg, Dänemark, Belgien, Frankreich, Schweden und den Niederlanden wo die Stundenwerte zwischen 58,80 Euro und 40,60 Euro lagen. Österreich und Irland folgten mit 38,30 bzw. 38,10 Euro. Der Durchschnitt im Euroraum betrug 34,80 Euro, in der gesamten EU 31,80 Euro. 2023 stiegen die Arbeitskosten im deutschen Dienstleistungssektor um 5,1 Prozent. Damit lag der Zuwachs etwas unter dem Durchschnitt in der EU (5,6 Prozent) und im Euroraum (5,2 Prozent) und deutlich niedriger als 2022, als sich die Mindestlohnanhebung auf 12 Euro ausgewirkt hatte und den Niedriglohnbereich im Dienstleistungssektor verkleinert hatte.

    – Lohnstückkostenentwicklung: Langfristig immer noch 13 Prozentpunkte unter dem stabilitätsorientierten Wachstumspfad –

    Bei den Lohnstückkosten, die die Arbeitskosten ins Verhältnis zum Produktivitätsfortschritt setzen, weist Deutschland trotz der stärkeren Steigerungen 2023 und 2022 längerfristig weiterhin eine moderate Tendenz auf. Der Blick auf den mehrjährigen Trend ist nach Analyse der IMK-Ökonom*innen am aussagekräftigsten, um die Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit zu beurteilen. Die deutschen Lohnstückkosten sind seit der Jahrtausendwende, als die Bundesrepublik letztmalig eine fast ausgeglichene Leistungsbilanz aufwies (seitdem immer Überschüsse), im Jahresmittel um lediglich 1,6 Prozent gewachsen. Das ist schwächer als in den anderen großen Mitgliedsstaaten des Euroraums und auch weniger als mit dem Inflationsziel der EZB von 2,0 Prozent vereinbar gewesen wäre. Kumuliert lag die langfristige deutsche Lohnstückkostenentwicklung seit der Jahrtausendwende im Jahr 2023 immer noch um knapp 13 Prozentpunkte unter dem stabilitätskonformen Wachstumspfad, der vom Inflationsziel definiert wird.


    Contact for scientific information:

    Prof. Dr. Sebastian Dullien
    Wissenschaftlicher Direktor IMK
    Tel.: 0211-7778-331
    E-Mail: Sebastian-Dullien@boeckler.de

    Prof. Dr. Alexander Herzog-Stein
    IMK
    Tel.: 0211-7778-235
    E-Mail: alexander-herzog-stein@boeckler.de

    Ulrike Stein, PhD
    IMK
    Tel.: 0211-7778-339
    E-Mail: Ulrike-Stein@boeckler.de

    Rainer Jung
    Leiter Pressestelle
    Tel.: 0211-7778-150
    E-Mail: Rainer-Jung@boeckler.de


    Original publication:

    *Alexander Herzog-Stein, Ulrike Stein: Arbeits- und Lohnstückkostenentwicklung 2023: Herausforderungen einer Mehrfachkrise in ganz Europa spürbar. IMK Report Nr. 190, Juni 2024: https://www.boeckler.de/de/faust-detail.htm?produkt=HBS-08903

    Die PM mit Tabelle (pdf): https://www.boeckler.de/pdf/pm_imk_2024_07_09.pdf

    O-Ton von IMK Experten Prof. Dr. Alexander Herzog-Stein zu Arbeits- und Lohnstückkosten: https://www.boeckler.de/pdf/imk_podcast_report_190.mp3


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    Criteria of this press release:
    Journalists
    Economics / business administration, Politics, Social studies
    transregional, national
    Research results, Scientific Publications
    German


     

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