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Wissenschaft
Die Wahlergebnisse in Sachsen und Thüringen erschüttern die Bundesrepublik und sind vorläufiger Höhepunkt einer Entwicklung, die das Land zunehmend spaltet. Neue empirische Befunde des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) erlauben ein differenziertes Meinungsbild der Gesamtbevölkerung. Wie bewerten die Menschen in Deutschland die Ziele der AfD und mögliche Konsequenzen für sich selbst? Die Kurzstudie zeigt: Mit und ohne Migrationshintergrund denken angesichts des AfD-Aufstiegs viele über Auswanderung aus Deutschland oder Wegzug aus ihrem Bundesland nach. Die Folgen für Wirtschaft, Demokratie und Zusammenhalt wären verheerend, warnen beteiligte Forscher*innen.
Die Alternative für Deutschland (AfD) ist bei den Landtagswahlen in Thüringen stärkste Kraft geworden, in Sachsen lag sie nur knapp hinter dem Sieger CDU. Ein Ergebnis, das sich ankündigte: In den vergangenen Jahren haben die Rechtspopulisten bei Wahlen auf allen Ebenen dazugewonnen, zuletzt bei der Europawahl und den Kommunalwahlen in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.
Diese Tendenz wirft zahlreiche Fragen auf: Werden die AfD und ihre Standpunkte zunehmend auch von der breiten Mitte der Gesellschaft akzeptiert? Wie „normal“ ist es, die Partei zu wählen? Welche Gefühle lösen Pläne zur „Remigration“ – ein zentraler Teil des Parteiprogramms – in der Bevölkerung aus? Und wie könnten sich weitere AfD-Wahlerfolge auf Abwanderungsabsichten innerhalb Deutschlands und Auswanderung auswirken?
Unter dem Titel „Ablehnung, Angst und Abwanderungspläne: Die gesellschaftlichen Folgen des Aufstiegs der AfD“ veröffentlicht das DeZIM-Institut nun eine Kurzstudie, in der diesen Fragen empirisch nachgegangen wird. Dazu hat das Forschungsteam um Prof. Dr. Sabrina Zajak (DeZIM-Institut) mit Prof. Dr. Gert Pickel (Universität Leipzig), Prof. Dr. Matthias Quent (Hochschule Magdeburg-Stendal) und Prof. Dr. Andreas Zick (Universität Bielefeld) zusammengearbeitet. Die deutschlandweite Befragung wurde im März 2024 mit rund 3000 Personen aus dem fortlaufenden DeZIM-Panel durchgeführt.
Zentrale Ergebnisse
• Auswanderungspläne
Erhebliche Teile der Bevölkerung denken angesichts des AfD-Aufstiegs über Auswanderung nach oder haben sogar bereits derartige Pläne: Fast jede vierte befragte Person mit Migrationshintergrund erwägt zumindest hypothetisch, Deutschland zu verlassen. Bei den Befragten ohne Migrationshintergrund trifft das immerhin noch auf mehr als jede*n zehnte*n zu (11,7 %). Der Anteil derer, die bereits konkrete Pläne gemacht haben, beträgt bei Befragten mit Migrationshintergrund 9,3 Prozent – also fast ein Zehntel. Bei Befragten ohne Migrationshintergrund trifft dies nur auf wenige zu (1,9 %).
• Abwanderungspläne
Die Werte sind höher, wenn nach Überlegungen und Plänen für den Wegzug in ein anderes Bundesland gefragt wird – im Falle einer Regierungsbeteiligung der AfD im eigenen Wohnbundesland: Mehr als ein Drittel (33,8 %) der Befragten mit Migrationshintergrund spielt mit dem Gedanken, das Bundesland zu wechseln. Konkrete Pläne haben 12,5 % von ihnen, wobei dies für Menschen mit Herkunft aus dem arabischen Raum (24,1 %) und aus europäischen Nicht-EU-Staaten (15,3 %) besonders häufig zutrifft. Bei den Befragten ohne Migrationshintergrund denkt fast jede*r siebte (14,2 %) über einen Wegzug nach, ein geringer Teil (3,4 %) hat dazu konkrete Pläne.
• Angst
Die meisten Befragten (84,9 %) lehnen die AfD-Pläne zur „Remigration“ ab. Sogar knapp drei von zehn AfD-Anhänger*innen (28,9 %) stehen diesen Plänen kritisch gegenüber. Die Ergebnisse zeigen, dass die Debatte um „Remigration“ bei knapp 60 % aller Befragten – unabhängig von der Herkunftsregion – Angst auslöst.
• Ablehnung
Eine klare Mehrheit der Befragten stuft die AfD als demokratiefeindlich (72,4 %), rassistisch (80,0 %) und extremistisch (76,9 %) ein. Rund 71 % der Befragten sehen sie nicht als eine Partei „wie jede andere“ (70,8 %). Diese Einschätzungen sind weitgehend unabhängig von Faktoren wie Herkunft oder politischer Einstellung. Einzig AfD-Anhänger*innen bewerten dies anders.
Prof. Dr. Sabrina Zajak, Leiterin der DeZIM-Abteilung Konsens und Konflikt: „Die Studie zeigt, dass die AfD keine breite ideologische Unterstützung hat. Extreme Positionen, etwa zur ‚Remigration‘, stoßen auf deutliche Ablehnung. Die bürgerlichen Parteien sollten sich also klar von der AfD abgrenzen. Um gravierende Folgen für Demokratie, Zusammenhalt, aber auch die Wirtschaft abzuwenden, sollten sie Lösungen bieten und jene ernst nehmen, die den Aufstieg der Partei mit Sorge sehen.“
Prof. Dr. Gert Pickel, Professor für Kirchen- und Religionssoziologie an der Universität Leipzig: „Wenn fast jeder Fünfte bei einem Sieg der AfD darüber nachdenkt, sein Bundesland zu verlassen, bedeutet dies gerade für Ostdeutschland einen kaum verkraftbaren Verlust an Wissen, Know-how und Wirtschaftskapazität. Zudem dürfte eine Gewinnung von Fachkräften bei einem solchen Image faktisch unmöglich werden.“
Prof. Dr. Matthias Quent, Professor für Soziologie an der Hochschule Magdeburg-Stendal: „Die Daten belegen, dass rechtsextreme Vertreibungsnarrative schädliche Auswirkungen für viele Menschen in Deutschland haben und den öffentlichen Frieden beschädigen. Wenn in diesen Tagen über die AfD und deren Wahlergebnisse diskutiert wird, sollten diese Implikationen aus dem Parteiprogramm stets problematisiert werden. Der demokratische Verfassungsstaat ist verpflichtet, die Menschenwürde aller vor rassistischen Aggressionen zu schützen.“
Prof. Dr. Andreas Zick, Professor für Sozialisation und Konfliktforschung an der Universität Bielefeld: „Diese Analyse zeigt deutlich die Spaltung in der Gesellschaft. AfD-Sympathisanten stimmen im klaren Gegensatz zu allen anderen demografischen und politischen Gruppen dem rechtsradikalen Konzept der ‚Remigration‘, welches massenhaft Menschen umsiedeln will, eher zu. Die Stimmung erzeugt Angst und Auswanderungsgedanken bei Andersdenkenden. Zugleich zeigen die Daten, dass sich AfD-Anhänger für normal und nicht radikal halten.“
Pressekontakt
Angie Pohlers
Pressereferentin
Mail: presse@dezim-institut.de
Tel.: 030-200754-130
Über das DeZIM-Institut
Das Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) forscht zu Integration und Migration, zu Konsens und Konflikten, zu gesellschaftlicher Teilhabe und zu Rassismus. Es besteht aus dem DeZIM-Institut und der DeZIM-Forschungsgemeinschaft. Das DeZIM-Institut hat seinen Sitz in Berlin-Mitte. In der DeZIM-Forschungsgemeinschaft verbindet sich das DeZIM-Institut mit sieben anderen Einrichtungen, die in Deutschland zu Migration und Integration forschen. Das DeZIM wird durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) gefördert.
https://www.dezim-institut.de/publikationen/publikation-detail/ablehnung-angst-u... Hier finden Sie den Bericht als Download.
Criteria of this press release:
Journalists
Politics, Social studies
transregional, national
Research results
German
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