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Wissenschaft
Ein Konsortium aus 36 internationalen Forschenden analysierte alle bisher verfügbaren Daten zur Klassifizierung unterschiedlicher Mausmaki-Arten. In einer wissenschaftlichen Veröffentlichung stellen sie jetzt ein System vor, neue Arten zu definieren.
Welche Kriterien müssen erfüllt sein, damit eine neue Art als solche anerkannt werden kann? Um diese zentrale Frage zu beantworten, fügte ein Konsortium aus 36 europäischen, nordamerikanischen und madagassischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Forschungsdaten zusammen, die sie in den vergangenen fünf Jahrzehnten zu Mausmakis der Gattung Microcebus erhoben hatten. „Es entstand dabei einer der umfangreichsten Datensätze, der jemals für eine nicht-menschliche Primatengattung gesammelt und analysiert wurde“, berichtet Professorin Dr. Ute Radespiel aus dem Institut für Zoologie der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover (TiHo). Die Forschenden nutzten für ihre Datensammlung die Forschungsergebnisse von mehr als 20 Institutionen – unter anderem des Instituts für Zoologie der TiHo. Sie kombinierten genomische und morphologische Daten mit Erkenntnissen zur akustischen Kommunikation, der Fortpflanzungsaktivität und des geografischen Vorkommens von Mausmakis, um ein neues Methodenspektrum zu erhalten, mit dem sie Artgrenzen gerade auch für äußerlich unscheinbare, sogenannte kryptische Arten, systematisch bewerten können. Die Ergebnisse ihrer Untersuchungen veröffentlichte das Forschungskonsortium jetzt im renommierten Fachmagazin Nature Ecology & Evolution.
Mausmakis sind nachtaktiv und kommen nur auf Madagaskar vor. Die Insel ist für ihre reiche biologische Vielfalt und die zahlreichen Tier- und Pflanzenarten bekannt, die nur dort vorkommen (Endemismus). Aufgrund der biologischen Besonderheit ist Madagaskar ein geeignetes Modell, um zu erforschen, wie neue Arten entstehen – zahlreiche neue Arten wurden dort in den vergangenen Jahrzehnten entdeckt und beschrieben. Einige Mausmaki-Arten wurden aufgrund geringer DNA-Unterschiede zwischen wenigen beprobten Tieren einer Population als neue Spezies eingeordnet. Wann die Unterschiede zwischen Populationen ausreichen, um sie als unterschiedliche Arten einzuordnen, ist in der Wissenschaft nicht eindeutig definiert. Einig ist sich die Forschungswelt jedoch, dass ein einzelnes unterschiedliches Merkmal nicht ausreicht, um eine neue Art zu begründen – vor allem, wenn nur wenige Tiere oder Tiere an wenigen Orten beprobt wurden. „Wir haben jetzt einen systematischen und standardisierten Werkzeugkasten erschaffen, der eine gute Entscheidungsgrundlage schafft“, sagt Radespiel. „Wir berücksichtigen dabei auch die geographische Situation von Populationen. So sind im Fall der Mausmakis die Lebensräume häufig durch natürliche Barrieren voneinander abgegrenzt.“ Um als eigenständige Art gelten zu können, müssen nach dem neuen System die Unterschiede zwischen Populationen größer sein als aufgrund der räumlichen Distanz zu erwarten ist.
„Anhand unserer jetzigen Analysen und des neu entwickelten Systems haben wir gemeinsam die ursprüngliche Klassifikation revidiert und schlagen vor, die Zahl der Mausmaki-Arten von 25 auf 19 zu reduzieren. In mehreren Fällen kann die zuvor als Artgrenze interpretierte Differenzierung durch eine kontinuierliche Isolation über räumliche Distanz erklärt werden und rechtfertigt deshalb nicht, die jeweiligen Populationen als getrennte Arten einzustufen“, erklärt Doktorand Tobias van Elst von der TiHo, der einen großen Teil der genomischen Analysen für diese Studie durchführte.
Kryptische Arten
Mausmakis stellen die Forschenden vor eine besondere Herausforderung, weil sie sich äußerlich kaum voneinander unterscheiden. Man bezeichnet Arten, die sich nur genetisch oder in anderen biologischen Merkmalen unterscheiden, morphologisch aber gleich aussehen, als kryptische Arten. Zusätzlich zur Klassifizierung untersuchten die Forschenden, warum sich alle Mausmaki-Arten größtenteils ähneln. Ihre Ergebnisse deuten darauf hin, dass Mausmakis, obwohl sie in sehr unterschiedlichen madagassischen Wäldern leben, weiterhin ähnliche ökologische Nischen nutzen und ihr Aussehen sich während der Evolution deshalb nicht stark veränderte.
Artenschutz
Die menschlichen Einflüsse gefährden das Überleben der Mausmakis. Der kleinste Primat der Erde, Microcebus berthae, könnte bereits ausgestorben sein. Die Artenschutzmaßnahmen konzentrierten sich in den vergangenen Jahren hauptsächlich auf Arten. „Um die gesamte Vielfalt der Mausmakis zu erhalten, haben wir jetzt zusätzliche Einheiten innerhalb aller Arten identifiziert, die es zu schützen gilt.“
Die Originalpublikation
Integrative taxonomy clarifies the evolution of a cryptic primate clade
van Elst, Sgarlata, Schüßler et al.
Nature Ecology & Evolution, DOI: 10.1038/s41559-024-02547-w
https://www.nature.com/articles/s41559-024-02547-w
Professorin Dr. Ute Radespiel
Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover
Institut für Zoologie
Tel.: +49 511 953-8430
ute.radespiel@tiho-hannover.de
Tobias van Elst
Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover
Institut für Zoologie
tob.velst@posteo.de
https://www.nature.com/articles/s41559-024-02547-w
http://www.tiho-hannover.de/pressemitteilungen
Microcebus berthae ist der kleinste Primat der Erde. Er könnte bereits ausgestorben sein.
Nick Garbutt
Criteria of this press release:
Journalists, Scientists and scholars
Biology, Zoology / agricultural and forest sciences
transregional, national
Research results, Scientific Publications
German
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