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11/21/2024 20:00

«Genetische Zeitmaschine» enthüllt komplexe Kultur der Schimpansen

Barbara Simpson Kommunikation
Universität Zürich

    Schimpansen sind für ihre bemerkenswerte Intelligenz und ihren Werkzeuggebrauch bekannt. Aber könnte sich ihre Kultur im Laufe der Zeit genauso entwickelt haben wie die des Menschen? Eine neue multidisziplinäre Studie der Universität Zürich deutet darauf hin, dass einige der komplexeren Verhaltensweisen über Generationen weitergegeben und verfeinert wurden.

    In den letzten Jahrzehnten hat die Forschung eindeutig gezeigt, dass Schimpansen wie wir Menschen komplexe kulturelle Errungenschaften, wie den Gebrauch von Werkzeugen, von Generation zu Generation weitergeben. Die menschliche Kultur hat sich jedoch von der Steinzeit bis zum Weltraumzeitalter durch die Integration neuer Errungenschaften erheblich weiterentwickelt. Schimpansenkulturen hingegen scheinen sich nicht in diesem Masse zu verändern, weshalb man davon ausging, dass nur Menschen die bemerkenswerte Fähigkeit besitzen, im Laufe der Zeit komplexere Kulturen aufzubauen.

    Wissenschaftler:innen, die Schimpansen in freier Wildbahn studiert haben, widersprechen dieser Hypothese und vermuten, dass einige der komplexeren Technologien der Schimpansen – bei denen sie mehrere Werkzeuge nacheinander benutzen, um versteckte Nahrungsquellen zu erreichen – wahrscheinlich auf Vorwissen beruhen, das sie sich im Laufe der Zeit angeeignet haben.

    Genetische Verbindungen zurückverfolgt

    «Da die meisten Werkzeuge der Schimpansen, wie Stöcke und Pflanzenstängel, vergänglich sind, gibt es kaum Aufzeichnungen über ihre Geschichte, die diese Hypothese bestätigen könnten – im Gegensatz zu menschlichen Beispielen wie der Entwicklung des Rades oder der Computertechnologie», sagt die Erstautorin Cassandra Gunasekaram vom Institut für Evolutionäre Anthropologie der Universität Zürich.

    Für die neue Studie hat sich ein Team aus Anthropolog:innen, Primatolog:innen, Physiker:innen und Genetiker:innen von Universitäten und Forschungseinrichtungen in Zürich, St. Andrews, Barcelona, Cambridge, Konstanz und Wien zusammengeschlossen, um genetische Verbindungen zwischen Schimpansenpopulationen über Jahrtausende hinweg zurückzuverfolgen. Dabei wurden neue Erkenntnisse der Genetik genutzt, um Schlüsselelemente der Kulturgeschichte der Schimpansen in bisher nicht gekannter Weise aufzudecken.

    Frühe kumulative Kultur bei Schimpansen

    Die Forschenden sammelten Informationen über Marker von genetischer Ähnlichkeit – genetische Hinweise auf Verbindungen zwischen verschiedenen Schimpansengruppen – und über eine Reihe von Verhaltensweisen bei der Nahrungssuche, die zuvor als kulturell erlernt beschrieben wurden, von insgesamt 35 Studienstandorten von Schimpansen in Afrika. Sie unterteilten diese Verhaltensweisen in solche, die keine Werkzeuge erfordern; solche, die einfache Werkzeuge erfordern, wie zum Beispiel die Verwendung eines Schwamms, der aus einem Blatt hergestellt wird, um Wasser aus einer Baumspalte zu sammeln; und die komplexesten Verhaltensweisen, die auf einer Kombination von Werkzeugen beruhen.

    Weitergabe komplexer Werkzeugsätze

    Gunasekeram erklärt, dass Schimpansen im Kongo zum Beispiel mit einem dicken Stock einen tiefen Tunnel durch harten Boden graben, um zu einem unterirdischen Termitennest zu gelangen. Anschliessend fertigten sie ein Werkzeug an, um die Termiten herauszufischen, indem sie einen langen Pflanzenstängel durch die Zähne zögen, um so ein bürstenartiges Ende auszufransen. Das Ende pressten sie zu einer Spitze zusammen, die sie geschickt in den Tunnel einführten, um sie schliesslich herauszuziehen und die Termiten abzuknabbern, die sich daran festgebissen hätten.

    «Wir haben die überraschende Entdeckung gemacht, dass die komplexesten Technologien der Schimpansen – die Verwendung ganzer Werkzeugsätze – am engsten mit heute weit entfernten Populationen verbunden sind», sagt die Letztautorin Andrea Migliano, Professorin für Evolutionäre Anthropologie an der UZH. «Dies entspricht genau der Vorhersage, dass solche fortschrittlichen Technologien selten erfunden oder verbessert werden und daher wahrscheinlich zwischen verschiedenen Gruppen weitergegeben werden.»

    Weibliche Migration bringt kulturelle Innovationen

    Bei Schimpansen sind es die geschlechtsreifen Weibchen, die in neue Gemeinschaften abwandern, um Inzucht zu vermeiden. So verbreiten sich Gene zwischen benachbarten Gruppen und über Jahrhunderte und Jahrtausende auch in weiter entfernte Regionen. Die Autor:innen der neuen Studie erkannten, dass dieselben weiblichen Migrationsbewegungen auch kulturelle Erfindungen in Gemeinschaften einführen könnten, die diese noch nicht besitzen.

    Die Studie zeigte auch, dass Orte, an denen sowohl komplexe Werkzeugsätze als auch die Komponenten dieser Werkzeugsätze an verschiedenen Standorten verwendet werden, in der Vergangenheit durch Migration von Weibchen miteinander verbunden waren. «Diese bahnbrechenden Entdeckungen bieten eine neue Möglichkeit zu zeigen, dass Schimpansen eine kumulative Kultur besitzen, wenn auch in einem frühen Entwicklungsstadium», fügt Migliano hinzu.


    Contact for scientific information:

    Cassandra Gunasekaram
    Institut für Evolutionäre Anthropologie
    Universität Zürich
    +41 78 919 23 00
    cassandra.gunasekaram@uzh.ch

    Prof. Dr. Andrea Migliano
    Institut für Evolutionäre Anthropologie
    Universität Zürich
    +41 78 757 93 00
    andrea.migliano@iea.uzh.ch


    Original publication:

    Gunasekaram, C., Battiston, F., Sadekar, O., Padilla-Iglesias, C., van Noordwijk, M. A., Furrer, R., Manica, A., Bertranpetit, J., Whiten, A., van Schaik, C. P., Vinicius, L. & Migliano, A. B. (2024) Population connectivity explains the distribution and complexity of chimpanzee cumulative culture. Science. 21 November 2024. DOI:
    https://doi.org/10.1126/science.adk3381


    Images

    Der achtjährige Jeje beobachtet und lernt den Umgang mit einem Werkzeugset von seiner Mutter Jire: einem Steinhammer und einem Steinamboss, die zum Knacken von Nüssen verwendet werden, Bossou, Guinea, Westafrika.
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    Tetsuro Matsuzawa
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    Die einjährige Joya beobachtet und lernt den Umgang mit einem Werkzeugset von ihrer Mutter Jire: einem Steinhammer und einem Steinamboss, die zum Knacken von Nüssen verwendet werden, Bossou, Guinea, Westafrika.
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    Tetsuro Matsuzawa
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    Criteria of this press release:
    Journalists
    Biology, History / archaeology, Medicine, Zoology / agricultural and forest sciences
    transregional, national
    Research results
    German


     

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