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12/09/2024 10:07

Geothermie: Erdwärme kühlt Abwärme und spart Strom- und Investitionskosten

Kosta Schinarakis Pressestelle
Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geothermie IEG

    Kühlanlagen in Wohnungen und Büros machen die Sommerhitze erträglich. In Gewerbebetrieben halten sie zudem Produktionsanlagen auf Betriebstemperatur und schützen vor Überhitzung. In Deutschland verbrauchen Kühlanlagen fast 15 Prozent des Stroms. Auf der anderen Seite wäre im Winter und nachts genug nachhaltige Kälte kostenfrei vorhanden. Den passenden Speicher, um die Kälte im Untergrund zu speichern und auch an Sommertagen zu nutzen, entwickelt nun das Fraunhofer IEG gemeinsam mit Praxispartner Voltavision im Projekt MissEllyDEMO. Das BMKW fördert es mit rund 2,8 Millionen Euro.

    »Wir konzipieren einen Erdsonden-Kältespeicher und betreiben ihn so dynamisch, dass er Wärmeenergie in einem weiten Leistungsbereich und in bedarfsgerechten Geschwindigkeiten aufnehmen kann«, erklärt Projektleiter Roman Ignacy vom Fraunhofer IEG. »Die smarte Steuerung und das flexible Anlagendesign sind wohl weltweit einmalig.«

    Der Industriepartner im Projekt ist Voltavision und betreibt besonders energieeffiziente Prüflabore, entwickelt Prüfstands-Equipment und testet Batteriezellen und -Module sowie Hochvoltbatterien etwa für die Automobilindustrie an seinem Standort in Bochum. »Als Akteur beim Wandel zu klimafreundlicher Elektromobilität streben wir stets danach auch selbst schnellstmöglich klimaneutral zu arbeiten und Kohlendioxid-Emissionen auf allen Ebenen zu reduzieren. Neben der Nutzung von Photovoltaikenergie sowie den Betrieb des ersten Batterie-Prüflabors mit klimaneutraler Kältetechnik auf Basis natürlicher Kältemittel, nutzen wir längst Abwärme zur Heizung der Gebäude. Mit der geplanten Geothermie-Anlage und dem Innovationssprung der in ihr liegt, gelingt uns ein weiterer, sehr großer Schritt zu nachhaltigen Energiesystemen«, erklärt Lore Mall, verantwortliche Projektleitung bei Voltavision, und führt weiter aus: »Wenn die Außentemperatur niedrig ist, wird schon jetzt das Kühlwasser der Anlagen über die Umgebungskälte in der Luft gekühlt. Diese Freikühlung ist an sehr warmen Tagen nicht möglich, so dass stromintensive Kompressionskälte zum Einsatz kommen muss. Um den Freikühlanteil auf bis zu 100 Prozent zu erhöhen, wohlwissend dass die Sommer heißer werden, entstand die Idee vor Ort im Boden gespeicherte Kälte aus dem Winter im Sommer zu nutzen. Nach der vielversprechenden Machbarkeitsstudie freuen wir uns sehr, das Projekt nun gemeinsam mit dem Fraunhofer IEG an unserem Standort im Bochumer Technologie-Quartier umzusetzen.«

    Im Prüfbetrieb können kurzzeitig auch hohe Wärmelasten an den Prüfanlagen auftreten. Diese Prozesswärme bei rund 20 °C zu kühlen, benötigt einen großen Teil der Energieaufwendungen des Unternehmens. Die Prozesswärme geht über einen Kühlwasserkreis, Kältemaschinen und Rückkühler auf dem Dach an die umgebende Luft. Dies hat im allgemeinen Nachteile: Die Anlage selbst ist mit hohen Investitionskosten bei der Anschaffung sowie der laufende Betrieb mit einem hohen Stromverbrauch durch die Kompressionskühlung verbunden.

    Speicher machen Anlagen effizient
    Nach der Analyse der Kühlbedarfe von Voltavision war klar, dass die entscheidende Stellschraube nicht der aufsummierte Jahreskühlbedarf ist. Kostentreiber beim Kühlen sind die Spitzenlastzeiten im Sommer, in denen die Außenlufttemperatur über der Rücklauftemperatur des Kühlmittels liegt, da dann die Kompressionskältemaschinen laufen müssen. Für diese Zeit braucht es ein flexibles Kältereservoire im Untergrund, welches Kälteerzeugung und -verbrauch räumlich und zeitlich entkoppelt. So lassen sich Kühlanlagen stets beim idealen Wirkungsgrad betreiben, kleiner dimensionieren und ggf. auch negative Strompreise nutzen.

    Das Projekt MissEllyDEMO wird erstmals ein Feld an Erdwärmesonden als Speicher für eine Industrieanwendung mit permanentem Prozesskältebedarf nutzen. Die 30 bis 40 Sonden werden im Abstand von 5 bis 10 Metern bis zu 100 Meter tief verlegt. Eine Sole läuft als Betriebsmittel in den geschlossenen Rohrschleifen und gibt die abzuführende Prozesswärme an den Untergrund ab. Die smarte und prädiktive Betriebssteuerung wird dabei regeln, wie die Sonden tagesaktuell verschaltet werden, etwa parallel, seriell oder in bestimmten Zonen, um die optimale Wärmeübertragung beim vorausschauenden Auf- und Entladen zu gewährleisten. Roman Ignacy: »Unser Verschaltungsprinzip sieht eine flexible Anordnung und eine gezielte Temperierung der Sonden vor, um die nutzbare Temperaturdifferenz zwischen Vor- und Rücklauf des Systems und damit die Kälteleistung zu maximieren.«

    Um das Kältereservoir zu regenerieren, wird die kostenfreie und sonst ungenutzte Kühlleistung der Rückkühler verwendet. Diese laufen daher nicht nur zu Spitzenlastzeiten an wenigen Stunden am Tag, sondern kontinuierlich, wann immer die Außenlufttemperaturen tief genug fallen. Zudem lässt sich das vom Fraunhofer IEG konzipierte Sondenfeld mit Kälte aus der Nacht und dem Winter auch »aufladen«, indem die Temperaturen im Untergrund, die in der Regel zwischen 11 °C und 13 °C liegen, auf Temperaturen bis knapp über dem Gefrierpunkt sinken. So steht den Prüfanlagen von Voltavision stets genügend nachhaltige Kälte zur Verfügung.

    Nachhaltige Kälteversorgung für die Industrie

    Eine Machbarkeitsanalyse des Fraunhofer IEG im Vorprojekt hat bereits gezeigt, dass ein Erdsondenfeld im dynamischen Betrieb als saisonaler Speicher die notwendige Flexibilität bereitstellt, um die vom Kältenetz benötigte kurzfristige Spitzenleistung und die geforderten Temperaturniveaus abzudecken. In den nächsten vier Jahren wird nun im Projekt MissEllyDEMO ein Demonstrator gebaut, in den sicheren Betrieb überführt und weiter optimiert. Dieser Prototyp soll zeigen, wie die Dynamik von kostenfreier, regenerativer, aber volatiler Umweltkälte sinnvoll in einen realen ökonomischen Prozess integriert wird. »Mit unserem Erdsondenspeicher schaffen wir ein Kälteversorgungssystem für die Industrie, welches die hohen Anforderungen an Versorgungssicherheit und Flexibilität durch den Einsatz eines saisonalen Kältespeichers, die Einbringung von Umweltkälte und die Betriebsoptimierung von Kälteanlagen im Gesamtsystem erfüllt«, ergänzt Anja Hanßke, Leiterin des Competence Center Wärmenetze 4.0 am Fraunhofer IEG, welches das Projekt durchführt. »Durch die innovative Verschaltung der Erdsonden entsteht ein dynamisch auf thermische Lasten regelbares System mit einer maximale Leistungs- sowie Energiespeicherungsfähigkeit. Hierin liegt ein wesentliches Alleinstellungsmerkmal und gleichzeitig die Innovation des Speicherkonzepts.«

    Aus den Betriebserfahrungen ergeben sich dann auch die Entwicklungspfade für die Erweiterung auf andere Prozesse und weitere Anwender. Dazu erstellt das Fraunhofer IEG auch einen Digitalen Zwilling der Anlage, der an den Realdaten validiert wird und dann als Planungstool zur Betriebs- sowie grundlegenden Auslegungsoptimierung zur Verfügung steht. Die Grundlage dafür bildet neben der theoretischen Vorbetrachtung ein wissenschaftliches Monitoring, welches alle notwendigen Betriebsdaten erfasst und verfügbar macht. Fraunhofer IEG bringt seine langjährige Erfahrung mit oberflächennaher Erdwärme im allgemeinen und Erdwärmesondenspeichern im speziellen in das Projekt ein und entwickelt maßgeschneiderte Betriebs- und Regelungsstrategien für Kälteversorgungssysteme mit vielen Senken und Quellen. So lassen sich Systeme entwickeln, die gegenüber konventionellen Kältesystemen signifikant geringere elektrische Energiemengen zum Betrieb benötigen, da sie Lastspitzen vermeiden und minimal Energie verbrauchen, bedingt durch einen stets optimalen prädiktiven Anlagenbetrieb, mit der Nutzung von Wetter- und Lastprognosedaten.

    Mit dem optimalen Druck zum effizienten Betrieb

    Da optimale Systemeffizienzen in hohem Maße von den Druckverlusten im Erdsondenfeld abhängig sind, stellen Untersuchungen zu dessen Hydraulik während der unterschiedlichen Betriebsmodi bei der parallelen und seriellen Durchströmung sowie der Umkehrung der Durchströmungsrichtung und deren geeignete Simulation einen weiteren Fokus dar. Dazu wird ein frei konfigurierbares Erdsondenfeld-Druckverlust-Tool entwickelt und im Digitalen Zwilling implementiert. Mit der Entwicklung eines Digitalen Zwillings macht es Fraunhofer IEG möglich, alle relevanten Prozessphänomene in den auftretenden Betriebsszenarien skalierbar abzubilden und den Betrieb strukturiert zu optimieren. Dazu dienen auch theoretische Vorbetrachtung und das wissenschaftliche Monitoring, welches alle notwendigen Betriebsdaten erfasst. Es bildet die Grundlage für die energetische und wirtschaftliche Optimierung und sichert die Übertragbarkeit des Versorgungskonzepts auf andere Industrien und Anwendungsbereiche. Das Projekt MissEllyDEMO zeigt damit für viele Anwender auf, wie sie Kälteerzeugung und -bereitstellung für Prozesskälte sowie Gebäudeklimatisierung und -beheizung nachhaltig umsetzen können.

    Zahlen und Fakten

    Der zu versorgende Gebäudekomplex des Industriepartners Voltavision weist im Jahresverlauf einen Kälteleistungsbedarf von bis zu etwa 420 kW auf. Die angestrebte Leistung des saisonalen Erdsondenfeldes liegt im Mittel bei etwa 150 kW und in der Spitzenleistung bei bis zu 550 kW. Die Nennleistung des Rückkühlers im Energieversorgungssystem liegt bei etwa 310 kW bei 10 °C Außentemperatur und bei etwa 600 kW bei tiefsten Außentemperaturen. Die Leistung der Kältemaschine liegt bei etwa 270 kW. Der zu versorgende Gebäudekomplex weist im Jahresverlauf einen Kälte-Energiebedarf von 2,6 GWh auf. Die Speicherkapazität des Erdsondenfeldes liegt bei etwa 386 MWh und damit bei etwa 15 % des Gesamt-Energiebedarfs. Die energetische Simulation der Vorstudie zeigt, dass die Reduktionspotenziale des Energiebedarfs in Abhängigkeit von den Kältespeichergrößen bei etwa 70% bis 90% im Vergleich zu konventionellen Kältesystemen liegen.

    Zum Projekt
    Das vom Fraunhofer IEG koordinierte Teilvorhaben »Umsetzung und Optimierung eines geothermalen Kälteversorgungssystems« im Projekt »MissEllyDEMO - Multivalent seasonal geothermal cold supply demonstartion monitoring evaluation and optimisation« wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz über den Projektträger Forschungszentrum Jülich GmbH mit 2.091.004,94 Euro gefördert (Förderkennzeichen 03EN6044A). Das von Voltavision koordinierte Teilvorhaben (03EN6044B) »Umsetzung und Demonstration eines geothermalen Kälteversorgungssystems« erhält 694.864,16 Euro. Beide Teilvorhaben ergänzen sich und dauern vier Jahre.

    Weiterführender Link

    https://www.ieg.fraunhofer.de/de/referenzprojekte/missellydemo.html


    Contact for scientific information:

    Roman Ignacy, roman.ignacy@ieg.fraunhofer.de


    More information:

    https://www.ieg.fraunhofer.de/de/referenzprojekte/missellydemo.html


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    Criteria of this press release:
    Business and commerce, Journalists
    Construction / architecture, Energy, Geosciences
    transregional, national
    Research projects, Transfer of Science or Research
    German


     

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