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01/08/2025 10:54

Pflanzenfresser oder Fleischfresser? Neues Instrumentarium für die Erforschung ausgestorbener Reptilien

Petra Giegerich Kommunikation und Presse
Johannes Gutenberg-Universität Mainz

    Kalzium- und Strontiumisotope aus Knochen und Zähnen heutiger Reptilien liefern Vergleichsdaten für die Nahrungsrekonstruktion fossiler Arten

    Wie kam es in der Evolution zur Ausbildung von Fleischfressern und Pflanzenfressern? Wie haben sich ausgestorbene Wirbeltiere ernährt? Und wie können wir etwas über ihre Ernährung in Erfahrung bringen? Bei lebenden Tieren können wir beobachten, wovon sie sich genau ernähren. Bei ausgestorbenen Arten ist die Wissenschaft auf morphologische oder chemische Informationen aus den Fossilien angewiesen. Forschende um Prof. Dr. Thomas Tütken von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) haben einen Referenzrahmen nahrungsanzeigender Isotopenzusammensetzungen für heute lebende Reptilien erstellt, der für die Arbeit mit Fossilien wertvolle Hilfestellung bietet. „Mit dem Reptilienreferenzrahmen haben wir ein Instrumentarium zur Hand, um die Ernährung ausgestorbener Tiere wie zum Beispiel Dinosaurier besser als bisher zu rekonstruieren“, sagt Thomas Tütken. „Ein solcher Vergleichsdatensatz hat bisher gefehlt.“ Die Forschungsarbeit wurde in dem renommierten Fachmagazin Proceedings of the Royal Society B veröffentlicht.

    Reptilien haben ganz unterschiedliche Ernährungsgewohnheiten

    Reptilien zeigen heute eine breite Palette von Ernährungspräferenzen, die von pflanzen- bis zu tierfressenden Gewohnheiten reicht. Aber auch Ernährungsspezialisierungen kommen vor: Meerechsen, die sich von Algen ernähren, insektenfressende Chamäleons, Krustenechsen, die Eier bevorzugen, oder Spitzenprädatoren wie das Leistenkrokodil und der Komodowaran, die komplett auf Fleisch setzen. „Diese Vielfalt erschwert die Rekonstruktion von Ernährungspräferenzen bei ausgestorbenen Tieren“, sagt Tütken, Paläontologe am Institut für Geowissenschaften der JGU.

    Die ältesten bekannten Vorfahren unserer heutigen Reptilien haben vor über 300 Millionen Jahren gelebt. Das früheste bekannte Reptil ist Hylonomus, es ähnelt einer Eidechse und lebte vor rund 315 Millionen Jahren im heutigen Kanada. Die frühen Reptilien weisen häufig gemeinsame Merkmale in der Morphologie ihres Schädels, Kiefers und der Zähne auf, die auf eine Tendenz zur insektenfressenden Ernährung hindeuten. Der genaue Zeitpunkt der Ernährungsumstellung von Insekten- zu Fleisch- und Pflanzenfressern in der Erdgeschichte ist jedoch unklar.

    28 Reptilienarten legen die Basis für den geochemischen Referenzrahmen

    Für die Rekonstruktion der Ernährung sowohl bei ausgestorbenen als auch bei lebenden Wirbeltierarten kann nun der Referenzrahmen genutzt werden. Dazu hat die Gruppe um Tütken 28 lebende Reptilienarten herangezogen und Kalzium- sowie Strontiumisotope in deren Knochen und Zähnen analysiert, die mit der Ernährungsweise systematisch variieren. „Um einen umfassenden Bezugsrahmen zu schaffen, haben wir Reptilien mit ausgeprägtem pflanzen- beziehungsweise tierfressendem Verhalten ausgewählt, aber auch Nahrungsspezialisten“, sagt Tütken. Der Wissenschaftler nennt als Beispiele Alligatoren, Warane, Leguane und Chamäleons. Im Falle von Kalzium wurden insbesondere die Isotope Kalzium-44 und Kalzium-42 bestimmt. Es zeigte sich, dass mit jedem Schritt in der Nahrungskette das Verhältnis von Kalzium-44 zu Kalzium-42 abnimmt. „Das heißt, Insektenfresser weisen die höchsten Werte auf und unterscheiden sich deutlich von anderen Ernährungskategorien“, sagt Dr. Michael Weber, Erstautor der Studie. In der Rangliste folgen Pflanzenfresser und Fleischfresser mit dem niedrigsten Isotopenverhältnis. Besondere Ernährungsweisen etwa von marinen Leguanen oder von Eierfressern können ebenfalls detektiert werden.

    Die Ergebnisse zeigen für das Isotopenverhältnis von stabilem Strontium-88 zu Strontium-86 derselben Arten ein vergleichbares Bild, liefern aber noch verfeinerte Informationen über die Ernährung. „Wir haben erstmals einen umfangreichen Referenzrahmen für stabile Strontiumisotope als Ernährungsproxy erstellt. Er deckt sich weitgehend mit den aus den Kalziumisotopen bestimmten Ernährungsformen“, sagt Dr. Katrin Weber, Mitautorin und ehemalige Doktorandin der AG Tütken. „Allerdings sind im Gegensatz zu Kalzium von Strontium nur sehr geringe Mengen in Zähnen oder Knochen enthalten, die der Veränderung bei Bodenlagerungsprozessen unterliegen, sodass die Anwendung bei Fossilien ausgestorbener Arten zum Teil problematisch ist und Kalzium hier eine bessere Perspektive bietet.“

    Ein weiteres Ergebnis der Analysen ergab, dass das Kalziumisotopenverhältnis für Reptilien im Vergleich zu Säugetieren – hier besteht bereits ein Referenzrahmen – bei gleicher Ernährungsweise höher ausfällt, was eventuell mit verschiedenen physiologischen Faktoren erklärt werden könnte. Das zeigt allerdings auch, dass die Daten für Säugetiere nicht ohne Weiteres zum Vergleich mit ausgestorbenen Reptilienarten wie Dinosaurier herangezogen werden können.

    Mechanische Abnutzungsspuren an den Zähnen liefern zusätzliche Ernährungshinweise

    Neben den chemischen Nahrungsspuren wurde ein weiterer Baustein hinzugezogen, um künftige Rekonstruktionen zu ergänzen: Mechanische Abnutzungsspuren an den Zähnen, die durch die Nahrung entstanden sind. Ob ein Tier hartes oder weiches Futter zu sich genommen hat, kann anhand von Kratzspuren an der Zahnoberfläche unterschieden werden und damit zusätzlich Auskunft über die Ernährung von ausgestorbenen Arten liefern. Diese Daten wurden zuvor im Rahmen einer Kooperation mit Dr. Daniela Winkler, heute an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, an Zähnen derselben modernen Reptilien erhoben und mit den Isotopendaten kombiniert. Sie erlauben es, Tierfresser, die größere Mengen an abrasiven Hartgeweben wie zum Beispiel Schalen oder Knochen mitfressen, von solchen Tieren, die überwiegend Weichgewebe fressen, zu unterscheiden.

    „Um die Daten chemischer und mechanischer Nahrungsspuren von fossilen Exemplaren vollständig zu verstehen und zu interpretieren, mussten wir zunächst heute lebende, eng verwandte Arten mit ihren bekannten Ernährungsgewohnheiten untersuchen. So haben wir einen Referenzrahmen für den Vergleich und die genaue Zuordnung der Ernährung erhalten, damit wir in Zukunft das Ernährungsverhalten ausgestorbener Arten noch präziser rekonstruieren können“, fasst Thomas Tütken zusammen. Der Wissenschaftler hat 2016 einen ERC Consolidator Grant für sein Forschungsprojekt zur Ernährung der ersten Landwirbeltiere erhalten, mit dem auch die jetzt vorgelegte Arbeit unterstützt wurde.

    Bildmaterial:
    http://download.uni-mainz.de/presse/09_geowiss_palaeo_reptilien_kalzium_01.jpg
    Grüner Leguan, der Salat frisst
    Foto/©: Daniela Winkler

    http://download.uni-mainz.de/presse/09_geowiss_palaeo_reptilien_kalzium_02.jpg
    Schädel eines Grünen Leguans (Iguana iguana)
    Foto/©: Daniela Winkler

    http://download.uni-mainz.de/presse/09_geowiss_palaeo_reptilien_kalzium_03.jpg
    Zahn eines Grünen Leguans (Iguana iguana) auf Millimeterpapier
    Foto/©: Kathrin Weber

    http://download.uni-mainz.de/presse/09_geowiss_palaeo_reptilien_kalzium_04.jpg
    Oberschädel eines Grünen Leguans: Im Hintergrund das Konfokalmikroskop µ-Surf zur Messung der Nahrungsspuren auf den Zahnoberflächen
    Abb./©: Daniela Winkler

    Weiterführende Links:
    https://www.paleontology.uni-mainz.de/ - Paläontologie am Institut für Geowissenschaften

    Lesen Sie mehr:
    https://presse.uni-mainz.de/abnutzungsspuren-auf-zaehnen-von-dinosauriern-geben-... - Pressemitteilung „Abnutzungsspuren auf Zähnen von Dinosauriern geben Hinweise auf deren Ernährung“ (13.12.2022)
    https://presse.uni-mainz.de/hominiden-in-der-fruehen-altsteinzeit-haben-bereits-... - Pressemitteilung „Hominiden in der frühen Altsteinzeit haben bereits vor 780.000 Jahren Fisch gekocht“ (15.11.2022)
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    https://presse.uni-mainz.de/zinkisotopie-in-zahnschmelz-neue-methode-zur-rekonst... - Pressemitteilung „Zinkisotopie in Zahnschmelz: Neue Methode zur Rekonstruktion der Ernährungsweise fossiler Wirbeltiere“ (19.02.2020)
    https://presse.uni-mainz.de/abnutzungsspuren-an-zaehnen-von-schuppenechsen-geben... - Pressemitteilung „Abnutzungsspuren an Zähnen von Schuppenechsen geben Hinweise auf deren Ernährungsweise“ (14.06.2019)
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    https://presse.uni-mainz.de/thomas-tuetken-erhaelt-forschungsstipendium-der-alex... - Pressemitteilung „Thomas Tütken erhält Forschungsstipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung“ (06.07.2016)
    https://presse.uni-mainz.de/palaeontologe-thomas-tuetken-erhaelt-erc-consolidato... - Pressemitteilung „Paläontologe Thomas Tütken erhält ERC Consolidator Grant“ (10.02.2016)


    Contact for scientific information:

    Prof. Dr. Thomas Tütken
    Arbeitsgruppe für Angewandte und Analytische Paläontologie
    Institut für Geowissenschaften
    Johannes Gutenberg-Universität Mainz
    55099 Mainz
    Tel. +49 6131 39-22387
    E-Mail: tuetken@uni-mainz.de
    https://www.paleontology.uni-mainz.de/pub_tt.html

    Dr. Michael Weber
    Arbeitsgruppe Speläothemforschung/Isotopengeochemische Paläoklimatologie
    Institut für Geowissenschaften
    Johannes Gutenberg-Universität Mainz
    55099 Mainz
    Tel. +49 6131 39-28575
    E-Mail: michael.weber@uni-mainz.de
    https://www.geowiss.uni-mainz.de/team/michael-weber/


    Original publication:

    Michael Weber, Katrin Weber et al.
    Calcium and strontium isotopes in extant diapsid reptiles reflect dietary tendencies – a reference frame for diet reconstructions in the fossil record
    Proceedings of the Royal Society B, 8. Januar 2025
    DOI: 10.1098/rspb.2024.2002
    https://royalsocietypublishing.org/doi/10.1098/rspb.2024.2002


    Images

    Grüner Leguan, der Salat frisst
    Grüner Leguan, der Salat frisst

    Foto/©: Daniela Winkler


    Criteria of this press release:
    Journalists, all interested persons
    Biology, Chemistry, Geosciences, Nutrition / healthcare / nursing, Zoology / agricultural and forest sciences
    transregional, national
    Research results, Scientific Publications
    German


     

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