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01/22/2025 08:23

Grube Messel und Co.: Fossile Riesen-Kaulquappe, ertrunkene Fledermäuse, älteste Holzbiene und mehrere Jubiläen

Judith Jördens Senckenberg Pressestelle
Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung

    Spezialausgabe der Senckenberg-Zeitschrift „Palaeobiodiversity and Palaeoenviroments“ würdigt das UNESCO-Welterbe Grube Messel und stellt neue Funde und Ergebnisse aus Maar-Lagerstätten vor

    Die Grube Messel feiert 2025 mehrere Jubiläen und rückt mit einer neuen Sonderausgabe der Fachzeitschrift „Palaeobiodiversity and Palaeoenvironments“ erneut in den Fokus der Forschung. Die Publikation präsentiert aktuelle Ergebnisse zu Fossilien aus der hessischen Fossillagerstätte und vergleichbaren Fundorten. Die Arbeiten zeigen die außergewöhnliche Vielfalt der etwa 47 Millionen Jahre alten Fossilien im UNESCO-Welterbe Grube Messel. Zu den Highlights zählen die Beschreibung neuer Insektenarten, wie zweier Heuschreckenarten und der Nachweis der ältesten Holzbiene sowie eines fossilen Weberknechts mit metallischem Glanz. Zudem werden die Entstehungsgeschichte und Vielfalt von vergleichbaren Maar-Lagerstätten weltweit untersucht. Die Einblicke unterstreichen den wissenschaftlichen Wert solcher vulkanischer Fossillagerstätten, deren angemessener Schutz beispielsweise vor wirtschaftlicher Ausbeutung für die zukünftige Forschung von zentraler Bedeutung ist.

    Die Grube Messel bei Darmstadt blickt auf eine bewegte Geschichte zurück: Einst als Tagebau genutzt, diente sie später beinahe als Abfalldeponie, bevor die außergewöhnliche Fossillagerstätte 1995 den Status eines UNESCO-Welterbes erhielt. Diese Ernennung jährt sich nun zum 30. Mal. Auch der 150. Jahrestag der Entdeckung des ersten Fossils, das jemals in der Grube Messel gefunden wurde – ein Krokodil –, kann dieses Jahr gefeiert werden. Zudem finden nunmehr seit rund 50 Jahren regelmäßige wissenschaftliche Ausgrabungen in der hessischen Fossillagerstätte durch das Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt und das Hessische Landesmuseum Darmstadt statt.
    „2025 werden wir daher diese außergewöhnliche Fossillagerstätte und ihre Jubiläen mit zahlreichen Aktivitäten feiern. Unter anderem planen wir eine Ausstellung, eine öffentliche Vortragsreihe und eine Fachtagung“, freut sich PD Dr. Krister Smith vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt.

    „Die Grube Messel ist ein ‚Flaggschiff‘ für die internationale paläontologische Maarforschung“, erklärt Prof. Dr. Dieter Uhl vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt und fährt fort: „Zum Auftakt des Jubiläumsjahres ist gerade eine Sonderausgabe der Senckenberg-Zeitschrift ‚Palaeobiodiversity and Palaeoenviroments‘ erschienen, die einen Überblick über den Stand der paläontologischen Forschung an einer Auswahl von Maar- und Vulkanseen bietet.“ Die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift präsentiert neue Ergebnisse aus der Grube Messel und weiteren – erdgeschichtlich vergleichbaren – Fundorten, wie dem paleozänen Maar von Menat (Frankreich) oder der Fossillagerstätte Enspel in Rheinland-Pfalz, aber auch von vergleichbaren Maaren in Neuseeland.

    So zeigen Senckenberg-Forschende, dass in der Grube Messel bislang insgesamt 1409 verschiedene Taxa – unterschiedliche Typen von Lebewesen – aus den 47 Millionen Jahre alten Ölschiefern geborgen wurden. Das Team legt außerdem dar, dass der Artenreichtum während des Eozäns in Messel höher war als im heutigen Mitteleuropa, aber niedriger als in modernen tropischen Biotopen.

    „Die Einzigartigkeit der Grube Messel liegt in ihren sedimentären Ablagerungen, die eine außergewöhnliche Vielfalt an fossilen Organismen bewahren – von Mikroorganismen über Pflanzen und Pilzen bis hin zu Wirbellosen und Wirbeltieren, die selten gemeinsam fossilisiert werden“, erläutert Smith und fährt fort: „Allein über 500 Fledermaus-Fossilien haben wir innerhalb von 42 Jahren im UNESCO-Welterbe Grube Messel entdeckt.“ Smith hat gemeinsam mit einem internationalen Team untersucht, ob die hohe Fossilzahl der fliegenden Säugetiere auf eine ungewöhnliche Übersterblichkeit zurückzuführen ist. Die Forschenden diskutieren zwei Hypothesen: den Tod durch giftige Gase oder durch giftige Cyanobakterien im Wasser des Messel-Sees. Ungewöhnliche Experimente und eine Umfrage zu ertrunkenen Fledermäusen in Swimmingpools legen laut den Forschenden nahe, dass die Sterblichkeitsrate von Fledermäusen im Messel-See vergleichbar mit der in modernen Schwimmbecken war.

    Auch mehrere Neuentdeckungen werden in dem 11 Artikel umfassendem Journal vorgestellt: Zwei Heuschrecken-Arten – Messeltettix cryptoantennatus gen. et sp. nov. und Archaeoarmatus messelensis gen. et sp. nov – wurden neu beschrieben sowie ihre Stellung und Bedeutung in der Evolutionsgeschichte dieser Insektenordnung diskutiert. Die erste Beschreibung eines fossilen Weberknechts aus Messel überrascht mit der fossil erhaltenen schillernden, metallischen Färbung des Tiers.

    „Die außergewöhnlich gute Erhaltung in Messel und in weiteren Maar-Lagerstätten bietet auch eine hervorragende Quelle für Daten zu fossilen Blütenpollen sowie der Interaktion zwischen Insekten und Pflanzen. In einem der Artikel wird beispielsweise der weltweit früheste Nachweis einer Holzbiene vorgestellt“, erzählt Uhl. Die als Xylocopa (Apocolyx) primigenia subgen. et sp. nov. neu beschriebene Bienen-Art trägt an ihren Beinen verschiedene Pollenkörner. „Dies kann wiederum zu einem besseren Verständnis der Flora in der Umgebung des Messel-Sees vor 47 Millionen Jahren beitragen“, so der Frankfurter Paläobotaniker.

    In der Fossillagerstätte Enspel in Rheinland-Pfalz haben Forschende eine fossile Riesen-Kaulquappe neu beschrieben. Die letzte Mahlzeit der aus dem späten Oligozän, vor etwa 24 Millionen Jahren, stammenden Amphibie bestand ausschließlich aus dem Blütenstaub verschiedener Bäume. Bislang gab es weltweit keine fossilen Belege für pollenfressende Kaulquappen – die ausgezeichnete Erhaltung des Fossils aus Enspel erlaubte es den Forschenden sogar die einzelnen Pollenkörner im Darm des Tieres zu bestimmen.

    „Maare und andere aufgrund vulkanischer Aktivität entstandene Seen sind ein bedeutendes erdgeschichtliches Erbe und bieten wertvolle Einblicke in die vergangene Biodiversität und Umweltbedingungen. Trotz ihres wissenschaftlichen Potenzials sind viele dieser Lagerstätten gefährdet, da sie kommerziell ausgebeutet werden könnten, während andere bereits unter rechtlichem Schutz stehen. Insbesondere Lagerstätten wie Messel liefern durch ihren einzigartigen Erhaltungszustand eine Fülle an Informationen über eine Vielzahl von Organismen, die in herkömmlichen Fossillagerstätten nicht zu erwarten sind. Die Erforschung dieser prähistorischen Seen ist noch lange nicht abgeschlossen – viele Arten, vor allem Pflanzen und Insekten, sind bisher unzureichend dokumentiert. Das ‚Messel-Jahr 2025‘ möchten wir auch nutzen, um an die Wissenschaftscommunity zu appellieren, weitere ähnliche Lokalitäten zu suchen und für ihren Schutz einzutreten. Sie sind entscheidend für unsere heutige und zukünftige Forschung. Jedes neu entdeckte Fossil trägt dazu bei, das unvollständige Puzzle der Evolution der Biodiversität während der Geschichte unseres Planeten zu vervollständigen“, resümiert Uhl.


    Contact for scientific information:

    Prof. Dr. Dieter Uhl
    Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt
    Tel. 069 7542 1611
    dieter.uhl@senckenberg.de

    PD Dr. Krister Smith
    Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt
    Tel. 069 7542 1218
    krister.smith@senckenberg.de


    Original publication:

    Uhl, D., Wuttke, M., Smith, K.T. et al. Pre-Quaternary maar lakes/volcanogenic lakes as Konservat Lagerstätten—Messel and beyond. Palaeobio Palaeoenv 104(4), 753–761 (2024). https://link.springer.com/journal/12549/volumes-and-issues/104-4


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    Zwei Heuschrecken-Arten wurden neu aus der Grube Messel beschrieben.
    Zwei Heuschrecken-Arten wurden neu aus der Grube Messel beschrieben.
    Senckenberg
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    Eine in der Grube Messel gefundene Fledermaus (Palaeochiropteryx tupaiodon). Die Sterblichkeitsrate der Tiere war im Messel-See vergleichbar mit der in modernen Schwimmbecken.
    Eine in der Grube Messel gefundene Fledermaus (Palaeochiropteryx tupaiodon). Die Sterblichkeitsrate ...
    Senckenberg
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    Criteria of this press release:
    Journalists
    Geosciences
    transregional, national
    Research results, Scientific Publications
    German


     

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