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02/21/2025 07:29

Fluch und Segen: Wie Pilze unser Leben beeinflussen

Dr. Manuela Schüngel Stabsstelle Presse und Kommunikation
Leibniz-Institut DSMZ-Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen GmbH

    Interview mit der Pilzforscherin Privatdozentin Dr. Christiane Baschien über Gefahren und Vorteile von Pilzen im Alltag und wie Pilze die Gesundheit fördern können

    Pilze sind überall auf unserem Planten. Sie sind keine Pflanzen oder Tiere und dem Menschen näher verwandt als Pflanzen. Sie können selbst keine Energie erzeugen, sondern ernähren sich, indem sie organisches Material wie Laub abbauen oder als Parasiten auf Pflanzen, Tieren oder auch anderen Pilzen leben. Dadurch erfüllen sie wichtige Aufgaben in Ökosystemen. Aber Pilze wachsen nicht nur im Wald, sondern auch im Kühlschrank oder an Hauswänden. Sie tragen zur Herstellung einiger Lebensmittel und sogar von Arzneimitteln bei. Andere Pilze machen uns krank, erläutert PD Dr. Christiane Baschien im Interview. Die Pilzforscherin verrät, warum Pilze Fluch und Segen gleichermaßen sein können, warum der Mensch ohne sie nicht auskommt und welcher ihr Lieblingspilz ist. Christiane Baschien ist Kuratorin am Leibniz-Institut DSMZ-Deutsche Sammlung für Mikroorganismen und Zellkulturen GmbH und leitet die Arbeitsgruppe Gesundheitsrelevante Pilze. Außerdem ist sie Lehrbeauftragte für Mikrobiologie an der Technischen Universität Braunschweig.

    Wie sind Sie zum Thema Pilze gekommen?
    Ich bin schon lange vor meinem Studium mit dem Thema Pilze in Berührung gekommen, weil ich mich schon immer für die Natur interessiert habe und mir die Pilze als Jugendliche als die andere Gruppe aufgefallen sind. Sie waren irgendwie immer anders - keine Pflanzen, keine Tiere. Sie waren ein bisschen geheimnisvoll und das fand ich spannend. Also habe ich während meines ganzen Studiums versucht, möglichst häufig Mykologie zu belegen, was in Berlin nicht so einfach war. Dann habe ich als studentische Hilfskraft an der TU Berlin angefangen, mich mit Bodenpilzen zu beschäftigen, an denen ich auch in meiner Masterarbeit geforscht habe.

    Wie sind Sie zur DSMZ gekommen?
    Zuerst war ich viele Jahre an der Universität, habe promoviert und schon damals über aquatische Pilze geforscht, die heute noch mein Forschungsschwerpunkt sind. Nach der Promotion habe ich kurzfristig in der Industrie gearbeitet, in einem Umweltlabor, das sich mit Schimmelpilzen beschäftigte. Dort habe ich die Molekularbiologie aufgebaut, bin nach acht Monaten als Postdoc an die TU Berlin zurückgekehrt, war ein Jahr an einer Universität in South Carolina (USA) und habe mich habilitiert. Nach meiner Rückkehr wurde ich vom Umweltbundesamt eingestellt, wo ich fast vier Jahre gearbeitet habe. Dort war ich im Wesentlichen für gesundheitsrelevante Pilze, für Schimmelpilze, zuständig. Allerdings war mir die Arbeit im Umweltbundesamt oft zu wenig forschungsbetont. Als dann eine Projektstelle beim Leibniz-Institut DSMZ ausgeschrieben wurde, habe ich mich beworben und die Stelle bekommen. Nach dem Projekt wurde die Kuratorenstelle ausgeschrieben, die ich ebenfalls bekam. Und jetzt bin ich seit zehn Jahren an der DSMZ.

    Viele Menschen denken bei Pilzen entweder an Champignons oder an gefährliche Schimmelpilze. Aber Pilze gibt es in vielfältiger Form. Wo finden wir überall Pilze?
    Pilze finden wir wirklich überall. Was wir als Pilz auf dem Waldboden sehen, ist oft nur der Fruchtkörper des Pilzes, den er bildet, wenn es im Herbst kälter wird und die Feuchtigkeit steigt. Pilze, mit Ausnahme der Hefen, sind eigentlich alle fadenförmig, und das Geflecht ihrer Fäden, das Myzel, liegt beispielsweise im Wald unter der Erde. 80 Prozent aller Landpflanzen leben über ihre Wurzeln in Symbiose mit diesen unterirdischen Pilzen. Diese Symbiose, Mykorrhiza genannt, erfüllt eine sehr wichtige Funktion: Die Pilze helfen den Pflanzen bei der Wasserversorgung und erleichtern ihnen die Aufnahme von Nährstoffen. Im Gegenzug erhalten die Pilze von der Pflanze Zucker aus der Photosynthese. Die Mykorrhiza ist eine wichtige Symbiose, die Pflanzen widerstandsfähiger macht, zum Beispiel gegen Schädlinge und eine sich verändernde Umwelt. Pilze sind nicht nur überall vorhanden, sondern auch vielfältig: Es gibt Schimmelpilze auf dem Brot, an der Wand, aber es gibt auch Schimmelpilze, die in der Lebensmittelindustrie von Nutzen sind. Schimmelpilze können zum Beispiel Zitronensäure produzieren oder sind Teil verschiedener Fermentationsprozesse. Pilze sind auch die Destruenten unserer Welt. Sie bauen also organisches Material ab, auch komplexes organisches Material wie Holz oder Laub. Hätten wir die Pilze nicht, würden die Stoffkreisläufe in unseren Wäldern und Gewässern nicht funktionieren. Denn die Pilze sind die Basis: Mit ihrem speziellen Enzymbesteck zerkleinern sie das organische Material, bevor die Energie in der Nahrungskette zum Beispiel an Bakterien und andere Mikroorganismen weitergegeben werden kann.

    Schimmelpilze gelten allgemein als gesundheitsschädlich. Wie können Pilze unseren Alltag und unsere Gesundheit unterstützen?
    Schimmelpilze können gesundheitsschädlich sein. Sie kommen in schlecht sanierten Wohnungen oder auf Lebensmitteln vor. Es gibt auch Hautpilze, die bei etwa 30 Grad Celsius zu wachsen. Und wenn es ganz schlimm kommt und das eigene Immunsystem geschwächt ist, können Pilze den Menschen besiedeln. Pilze können nicht nur den Menschen, sondern auch Pflanzen „befallen“ und verursachen weltweit jedes Jahr Milliardenschäden an Nutzpflanzen und erschweren damit die Nahrungsmittelproduktion. Andererseits stellen wir aus bestimmten Pilzen auch Antibiotika her, die uns helfen, Krankheiten zu bekämpfen, beispielsweise Penicillin. Aus unserem Alltag sind Pilze nicht wegzudenken: Unsere „Lieblingshefe“ heißt Saccharomyces cerevisiae und liefert uns CO2 als Treibmittel beim Backen von Brot und Kuchen oder vergärt für uns den Alkohol in Bier und Wein. Auch bei der Käseherstellung kommen Pilze zum Einsatz. Berühmt ist der Camembert, bei dem Penicillium camemberti nach der Reifung sozusagen die Schutzschicht um den Käse bildet. Diese Schutzschicht verhindert, dass andere Mikroorganismen in den Käse eindringen können und macht ihn haltbarer. Natürlich kann man Pilze auch einfach essen, sie sind eine gute Proteinquelle und eine Alternative, wenn man auf Fleisch verzichten möchte. Es gibt eine Vielzahl von Speisepilzen, die auch gezüchtet werden können. Außerdem werden Sekundärmetabolite von Pilzen untersucht, die als Nahrungsergänzungsmittel nützlich sein könnten. Dazu gibt es wenig Forschung und viel Scharlatanerie und Unsinn diesbezüglich im Internet. Da wäre ich sehr vorsichtig. Es gibt aber viel wichtigere Forschungsprojekte, in denen Sekundärmetabolite von Pilzen untersucht werden, die beispielsweise in der Krebstherapie eingesetzt werden könnten.

    Sie haben bereits erwähnt, dass Sie zur DSMZ gekommen sind, weil Sie forschen wollten. Woran forschen Sie gerade?
    Mein Lieblingsthema sind die aquatischen Pilze. Ich bin Taxonomin für aquatische Pilze, interessiere mich für ihre Stammesgeschichte (Phylogenie) und auch für ihre Ökologie. Am Leibniz-Institut DSMZ forsche ich hauptsächlich in Kooperationen, zum Beispiel mit dem Umweltbundesamt oder der Universität Landau, habe aber auch eigene Forschungsprojekte. Aktuell betreue ich Doktorarbeiten in der Taxonomie, in denen Multilokus-Analysen und Phylogenomik durchgeführt werden, um die Verwandtschaft und die Evolution aquatischer Pilze zu untersuchen. Aquatische Pilze sind die ersten Pilze, die das Laub zersetzen, wenn es ins Wasser fällt. Sie zersetzen die Blätter, die aus Zellulose und Pektin bestehen, wodurch die Blätter etwas „wobbelig“, etwas weicher werden. Wenn die Blätter weich genug sind, können kleine Krebstiere, die „Schredder“, wie sie in der Ökologie genannt werden, die Blätter fressen. Und die „Schredder“ fressen die Pilze gleich mit, dann haben sie eine Proteinquelle. Deshalb sind die aquatischen Pilze für den Stoffkreislauf in den Gewässern ausgesprochen wichtig. Unsere Arbeitsgruppe erforscht nicht nur die Taxonomie und die Phylogenie von aquatischen Pilzen, sondern auch die Ökologie und welchen Einfluss beispielsweise die Anwendung von Fungiziden auf die Stoffkreisläufe in Fließgewässern hat. Wenn auf einer Wein- oder Obstbaumplantage Fungizide angewendet werden, dann gelangen diese in Fließgewässer. Wir schauen uns an, was das mit den Pilzgemeinschaften macht: Verändern sich die Pilzgemeinschaften? Wird weniger Laub abgebaut? Werden die Schredderkrebse vergiftet?

    Was sollte man über Pilze wissen?
    Dass Pilze weder Tiere noch Pflanzen sind, sondern ein eigenes Reich innerhalb der Organismen bilden. Dass Pilze nicht nur schlecht sind, sondern auch viele positive Eigenschaften haben. Und Sie müssen keine Angst vor Pilzen haben. Einige Pilze schmecken außerdem gut.

    Welcher ist Ihr Lieblingspilz und warum?
    Eigentlich ist es eine Gruppe von Pilzen, nämlich die aquatischen Pilze. Sie sehen ganz besonders aus. Um sich im Wasser an Blätter heften zu können, haben sie Sporen, die sogenannten Staurosporen, die mehrfach verzweigt sind. Die Sporen der aquatischen Pilze haben schöne charakteristische Formen und sind auch relativ groß. Sie haben eine Größe von 20 bis 300 Mikrometern und sind daher unter dem Mikroskop gut zu erkennen.

    Was fasziniert Sie an Pilzen am meisten?
    Der Hallimasch zum Beispiel hat ein Mycel, das im Dunkeln leuchten kann. Durch das Enzym Luciferase leuchtet es grün wie Glühwürmchen, die zum Leuchten das gleiche Enzym verwenden. Und dann sieht man im nächtlichen Wald einen Baumstumpf, auf dem der Pilz wächst, leuchten. Das ist eine faszinierende Sache. Mich fasziniert auch, was Pilze alles können – Pilze sind unglaublich vielfältig und werden auch unglaublich vielfältig genutzt. Wenn man sieht, wie sie überall in unseren Stoffkreisläufen dafür sorgen, dass unsere Welt so aussieht, wie sie aussieht, dann ist das einfach faszinierend.



    DSMZ-Pressekontakt:
    PhDr. Sven-David Müller, Pressesprecher des Leibniz-Instituts DSMZ-Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen GmbH
    Tel.: 0531/2616-300
    E-Mail: press@dsmz.de

    Über das Leibniz-Institut DSMZ
    Das Leibniz-Institut DSMZ-Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen GmbH ist die weltweit vielfältigste Sammlung für biologische Ressourcen (Bakterien, Archaeen, Protisten, Hefen, Pilze, Bakteriophagen, Pflanzenviren, genomische bakterielle DNA sowie menschliche und tierische Zellkulturen). An der DSMZ werden Mikroorganismen sowie Zellkulturen gesammelt, erforscht und archiviert. Als Einrichtung der Leibniz-Gemeinschaft ist die DSMZ mit ihren umfangreichen wissenschaftlichen Services und biologischen Ressourcen seit 1969 globaler Partner für Forschung, Wissenschaft und Industrie. Die DSMZ ist als gemeinnützig anerkannt, die erste registrierte Sammlung Europas (Verordnung (EU) Nr. 511/2014) und nach Qualitätsstandard ISO 9001:2015 zertifiziert. Als Patenthinterlegungsstelle bietet sie die bundesweit einzige Möglichkeit, biologisches Material nach den Anforderungen des Budapester Vertrags zu hinterlegen. Neben dem wissenschaftlichen Service bildet die Forschung das zweite Standbein der DSMZ. Das Institut mit Sitz auf dem Science Campus Braunschweig-Süd beherbergt mehr als 90.000 Bioressourcen und hat fast 230 Beschäftigte. www.dsmz.de

    Über die Leibniz-Gemeinschaft
    Die Leibniz-Gemeinschaft verbindet 96 eigenständige Forschungseinrichtungen. Ihre Ausrichtung reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute widmen sich gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevanten Fragen. Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Forschung, auch in den übergreifenden Leibniz-Forschungsverbünden, sind oder unterhalten wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte Dienstleistungen an. Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im Wissenstransfer, vor allem mit den Leibniz-Forschungsmuseen. Sie berät und informiert Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit. Leibniz-Einrichtungen pflegen enge Kooperationen mit den Hochschulen - in Form der Leibniz-WissenschaftsCampi, mit der Industrie und anderen Partnern im In- und Ausland. Die Leibniz-Institute unterliegen einem transparenten und unabhängigen Begutachtungsverfahren. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen rund 21.300 Personen, darunter 12.200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Das Finanzvolumen liegt bei 2,2 Milliarden Euro. www.leibniz-gemeinschaft.de


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    Sporenbildung am Pilz Lunulospora curvula Ingold
    Sporenbildung am Pilz Lunulospora curvula Ingold

    DSMZ/Baschien

    Pilzforscherin PD Dr. Christiane Baschien
    Pilzforscherin PD Dr. Christiane Baschien

    DSMZ


    Criteria of this press release:
    Journalists, all interested persons
    Biology, Environment / ecology, Medicine, Oceanology / climate, Zoology / agricultural and forest sciences
    transregional, national
    Miscellaneous scientific news/publications
    German


     

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