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Wissenschaft
TikTok stellt mit seinen kurzen Videoinhalten und einer überwiegend jungen Zielgruppe traditionelle Medien vor Herausforderungen. Wie deutsche Journalist*innen mit diesem relativ neuen Kanal umgehen, haben die TH Köln und die Westfälische Hochschule in einer Studie untersucht. Demnach streben die Medienschaffenden insgesamt ein Gleichgewicht zwischen journalistischer Integrität und der Anpassung an die besondere Dynamik von TikTok an.
„Ausgangspunkt unserer Forschung war die Frage, wie etablierte deutsche Medien in diesem von pointierten Videos geprägten Social-Media-Kanal Fuß gefasst haben. Können sie den Normen und Standards des Qualitätsjournalismus treu bleiben und trotzdem den Algorithmus erfolgreich bedienen?“, erläutert Prof. Dr. Christian Zabel vom Schmalenbach Institut für Wirtschaftswissenschaften der TH Köln. Dafür befragten die beiden Hochschulen 22 Journalist*innen, die bei öffentlich-rechtlichen und privaten Medien für die TikTok-Accounts zuständig sind, in halbstandardisierten Interviews.
Journalistische Werte und Relevanz
Ein Schwerpunkt der Befragungen waren die professionellen Standards, nach denen die Journalist*innen die Accounts betreiben. „Am häufigsten nannten die Befragten journalistische Kernwerte wie Recherche, Genauigkeit, Relevanz und Unabhängigkeit auf TikTok, etwas seltener betonten sie Unterhaltung, Nähe zu den realen Erfahrungen des Publikums und die Teilbarkeit von Inhalten. Es zeigte sich, dass die Grundsätze des Qualitätsjournalismus weiterhin maßgeblich sind und mit dem TikTok-spezifischen Storytelling, knackigen Openern, vereinfachten Erzählungen und ansprechenden Bildern vereint werden“, so Zabel.
Strategisch haben sich vor allem die öffentlich-rechtlichen Medien für einen informationsorientierten Ansatz entschieden, der zur öffentlichen Meinungsbildung beiträgt. Die Relevanz eines Themas wird hier nach seiner gesellschaftlichen oder zielgruppenspezifischen Bedeutung bewertet. Die privaten Medien verfolgen auf TikTok tendenziell eher einen user*innenorientierten Ansatz, bei dem Relevanz danach beurteilt wird, inwieweit der Inhalt den Interessen der vermuteten Zielgruppe entspricht.
Eine Herausforderung bleibt die Wahrung der journalistischen Unabhängigkeit, da die Inhalts- und Community-Richtlinien von TikTok die Medienunternehmen in ihrer Themenwahl und Inhaltspräsentation einschränken. So ist etwa die Darstellung von Gewalt und Tod, Nacktheit oder ähnlich sensiblen Themen nicht erwünscht und kann zur Abwertung durch den Algorithmus führen. Ein Journalist eines öffentlich-rechtlichen Mediums berichtet: „Wir können in der arabischen Welt keine LGBTQ-Inhalte veröffentlichen. Wann immer wir es versuchen, löscht TikTok den Beitrag und droht damit, unser Konto algorithmisch herabzustufen.“
Öffentlich-rechtliche Medien mit umfassenden Workflows
Darüber hinaus interessierten sich die Forschenden für den Produktionsprozess der journalistischen Inhalte unter Berücksichtigung der Zielgruppen, der Themenauswahl und der Wahl des Inhaltsdesigns. „Grundsätzlich richten sich alle Befragten an ein junges Publikum zwischen 14 und 35. Einige Anbieter berücksichtigen auch sozioökonomische Parameter, so etwa ein öffentlich-rechtlicher Sender, der gezielt Mittelschüler*innen mit Migrationshintergrund anspricht, die er über andere Kanäle nicht erreicht“, erläutert Zabel.
Deutliche Unterschiede gibt es laut der Studie beim Qualitätsmanagement der privaten und öffentlich-rechtlichen Medien. Erstere setzen eher auf die Adaption bereits bestehender Inhalte; Freigaben werden bei der Hälfte der Befragten von nur einem zuständigen Redaktionsmitglied und bei der anderen Hälfte in einem komplexeren Prozess von mehreren Personen erteilt. Bei den öffentlich-rechtlichen Medien dominieren umfassende Freigabeprozesse. Zudem sind dort komplexe Workflows aufgebaut worden, durch die sich eine Vielzahl von Beteiligten mit unterschiedlichen Fähigkeiten einbringen können. „Da sie weniger wirtschaftlichem Druck ausgesetzt sind, können sich die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten eine Routine mit mehreren Produktionsstufen erlauben, die jeder Inhalt durchlaufen muss. Die bessere Ressourcenausstattung macht sich auch im Community Management bemerkbar, das von öffentlich-rechtlichen Journalist*innen deutlich intensiver betrieben werden kann“, sagt Zabel.
Über die Studie
Die Westfälischen Hochschule und die TH Köln interviewten für ihre Untersuchung 22 Journalist*innen, die bei führenden deutschsprachigen Medien die institutionellen TikTok-Accounts betreuen. Zehn der Befragten arbeiten bei privaten Medien, zwölf bei öffentlich-rechtlichen. Die Daten wurden zwischen Mai und Juni 2023 erhoben. Die Gespräche wurden online und auf Deutsch geführt und dauerten zwischen 21 und 46 Minuten. Schwerpunkt der Fragen waren professionelle Standards, Routinen für die Produktion von Inhalten und die Rolle von Metriken und Zielgruppen auf TikTok. Verantwortlich für die Studie waren Prof. Dr. Matthias Degen und Max Olgemöller vom Institut für Journalismus und Public Relations der Westfälischen Hochschule sowie Prof. Dr. Christian Zabel vom Schmalenbach Institut für Wirtschaftswissenschaften der TH Köln. Das Vorhaben wurde unterstützt von der Zeit Stiftung Bucerius.
Ein Fachartikel zur Studie ist Open Access im Journal Emerging Media erschienen: https://journals.sagepub.com/doi/full/10.1177/27523543241300942
Die TH Köln zählt zu den innovativsten Hochschulen für Angewandte Wissenschaften. Sie bietet Studierenden sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus dem In- und Ausland ein inspirierendes Lern-, Arbeits- und Forschungsumfeld in den Sozial-, Kultur-, Gesellschafts-, Ingenieur- und Naturwissenschaften. Zurzeit sind rund 21.100 Studierende in etwa 100 Bachelor- und Masterstudiengängen eingeschrieben. Die TH Köln gestaltet Soziale Innovation – mit diesem Anspruch begegnen wir den Herausforderungen der Gesellschaft. Unser interdisziplinäres Denken und Handeln, unsere regionalen, nationalen und internationalen Aktivitäten machen uns in vielen Bereichen zur geschätzten Kooperationspartnerin und Wegbereiterin.
Criteria of this press release:
Journalists
Media and communication sciences, Social studies
transregional, national
Research results
German
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