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03/06/2025 12:19

Hannover Messe: Smarte Robotergreifer sparen Energie in der Produktion

Claudia Ehrlich Pressestelle der Universität des Saarlandes
Universität des Saarlandes

    Energie ist für die Industrie ein großer Kostenfaktor. Hoher Verbrauch macht die Produktion teuer und belastet das Klima. Einsparpotenzial bietet eine Roboter-Technologie, die bis zu 90 Prozent weniger Strom verbraucht als heutige Systeme. Das Team der Professoren Stefan Seelecke und Paul Motzki von der Universität des Saarlandes zeigt auf der Hannover Messe, wie ihre Formgedächtnistechnik leichte, große wie miniaturisierte Greifsysteme ermöglicht, die ohne zusätzliche Sensoren auskommen. Sie halten Bauteile zuverlässig ohne Druckluft, fassen sogar flexibel nach – und brauchen Strom nur als kurze Impulse.
    Hannover Messe, 31. März bis 4. April, Halle 2, Saarland-Stand B10

    In den Fertigungshallen der Industrie kommen zahllose Roboterarme zum Einsatz: Sie halten Werkstücke, bauen Bauteile ein, sortieren, bestücken, transportieren, verladen – und fast jeder von ihnen verbraucht während seinem Einsatz pausenlos Energie. In Summe kommt einiges an Gigawattstunden zusammen. Viele der Greifsysteme funktionieren pneumatisch mit Druckluft, was unangenehm laut ist. Auch sind sie oft schwer, ihre beweglichen Teile verschleißen und sie sind fest an ihr monotones Bewegungsmuster gebunden. Die bisherige Technik setzt der Miniaturisierung Grenzen, so dass kleine Greifsysteme mit kleinen Greifpunkten kaum umzusetzen sind. Auch ein schnelles Umprogrammieren ist selten möglich, ein gefahrloses Hand-in-Hand-Arbeiten mit dem Menschen ebenso.

    Eine neuartige Antriebstechnologie kann die Industrieroboter der Zukunft weit energieeffizienter und zugleich flexibler, wendiger wie auch filigraner machen. Sie beruht auf leichten Formgedächtnismaterialien, aus denen das Ingenieurteam der Professoren Paul Motzki und Stefan Seelecke an der Universität des Saarlandes und am Saarbrücker Zentrum für Mechatronik und Automatisierungstechnik (Zema) neuartige Robotergreifer baut. „Unser Verfahren kann dazu beitragen, Energieverbrauch und Kosten in der Produktion erheblich zu senken und das Klima zu schonen“, erklärt Paul Motzki, Professor für smarte Materialsysteme für innovative Produktion der Universität des Saarlandes und Zema-Geschäftsführer.

    Auf der Hannover Messe zeigt das Forschungsteam einige Prototypen von Robotergreifsystemen, darunter Vakuumgreifer und Zangengreifer, die Werkstücke energielos und sicher festhalten und handhaben können. „Wir können diese Greifsysteme in Hochgeschwindigkeit ansteuern, dabei genügen kurze Stromimpulse“, erläutert Paul Motzki.

    In den voll elektrischen Saarbrücker Greifsystemen kommen Bündel haarfeiner Drähte aus der Formgedächtnislegierung Nickel-Titan zum Einsatz: Sie fungieren als kraftvolle künstliche Muskeln und zugleich Nervenfasern für die Technik. Möglich wird dies durch eine besondere Eigenschaft der Drähte: Nickel-Titan besitzt zwei Kristallgitter. Geben die Forscherinnen und Forscher einen Stromimpuls in solch einen Draht, erwärmt er sich, seine Gitterstruktur wandelt sich von einer in die andere um. Weil die eine Struktur kürzer ist, zieht der Draht sich zusammen. Schalten sie den Strom ab, kühlt der Draht ab, wechselt die Gitterstruktur und wird lang wie zuvor: Er „erinnert“ sich also an seine andere Form. Und dadurch kann der Draht auf winzigem Raum viel ziehen, er vollzieht mit der richtigen, ausgefeilten Mechanik drumherum winzige Bewegungen.

    „Die Formgedächtnislegierung Nickel-Titan hat von allen Antriebsmechanismen die höchste bekannte Energiedichte. Wir bringen damit in sehr kleinen Dimensionen eine hohe Zugkraft auf“, erklärt Paul Motzki die Muskelkraft der Drähte. So kann ein mit 500 Mikrometern etwas dickerer Draht mit einer Kraft von mehr als 100 Newton ziehen, also über 10 Kilogramm. Die Forscher bündeln mehrere erheblich dünnere, haarfeine Drähte, da diese im Bündel wegen der größeren Oberfläche schneller abkühlen. Dadurch bewirken sie schnelle Bewegungen mit hohen Frequenzen und stabile Zugkraft. Tatsächlich halten die Saarbrücker Ingenieure hier einen Weltrekord: Bei 20 Drähten mit einem Durchmesser von 25 Mikrometern in einem Bündel erreichen sie eine Zugkraft von fünf Newton, die sie mit einer Frequenz von satten 200 Herz ansteuern. Je nach Anwendung, also je nachdem, ob sie hohe Kräfte oder hohe Frequenzen brauchen, stimmen die Forscher die Zusammensetzung der Drahtbündel nach Dicke und Zahl der Drähte ab – ein Ergebnis mehrjähriger Forschung.

    Mit neuartigen Steuerungs- und Designstrategien entwickeln die Ingenieurinnen und Ingenieure mit den Formgedächtnisdrähten Antriebe für leichte, wendige und reinraumtaugliche Industrieroboter. In zahlreichen Forschungsprojekten und Doktorarbeiten feilen sie ihre Verfahren immer weiter aus und entwickeln elastische Greifsysteme, die ihre Finger flexibel bewegen und sich auch wechselnden, verschieden geformten Werkstücken schnell anpassen können.

    Das hierzu nötige Sensorsystem tragen diese Greifer bereits in sich. Die Technik kommt ohne Sensoren aus. Die Steuerung läuft über einen Halbleiterchip. „Die Drähte liefern selbst alle nötigen Daten, die Sensoreigenschaften sind also automatisch integriert. Künstliche Intelligenz ordnet jedem Messwert des elektrischen Widerstands eine bestimmte Deformation der Drähte zu. Dadurch erkennt das System zu jeder Zeit die genaue Position eines Drahtbündels. Die neuronalen Netze, die wir hierzu mit Trainingsdaten füttern, rechnen effizient und genau, auch bei Störeinflüssen“, erklärt Paul Motzki. Hierdurch können die Ingenieure präzise Bewegungsabläufe programmieren: Indem sie den Widerstand vorgeben, steuern sie den Draht beliebig an. „Anders als bei heute üblichen Industrierobotern ist ein Umprogrammieren einfach und schnell sogar während der laufenden Produktion möglich. Der Greifer kann sich im Betrieb an beliebige Geometrien wechselnder Werkstücke anpassen“, sagt der Forscher.

    Punktgenau und schnell bewegt sich etwa der Zangengreifer-Prototyp für die industrielle Anwendung, den die Forscherinnen und Forscher auf der Hannover Messe zeigen. Er greift Werkstücke wie eine Zange und hält sie sicher fest, so dass ein Roboterarm damit hantieren und seine Aufgaben erledigen kann. Er erreicht in diesem Prototyp eine Greifkraft von vier Newton – die Technik ist jedoch skalierbar in Größe, Hub und Kraft, winzige wie große Greifer sind möglich. Die Drähte ermöglichen Positionserkennung des Greifers und Zustandsüberwachung ohne Sensoren. Für das Halten selbst verbraucht der Greifer keinen Strom. Im Vergleich zu einem heute üblichen pneumatischen Standardgreifer kann diese Technologie je nach Greifanwendung eine Energieeinsparung von über 90 Prozent einbringen.

    Bei einem weiteren Prototyp, dem Vakuumgreifer, kombinieren die Forscher bewegliche Greiferfinger mit Vakuumsaugern an den Fingerspitzen. Kurze Stromimpulse genügen auch hier, um schnell ein tragfähiges Vakuum zu erzeugen und zu lösen. Dafür legen die Forscherinnen und Forscher die Draht-Bündel wie einen Ringmuskel um ein Metallplättchen, das ähnlich einem Knackfrosch nach oben und unten umspringen kann: Ein Stromimpuls verkürzt die Drähte, das Plättchen schnappt um und zieht an einer Gummimembran, die ein festes Vakuum auslöst, wenn der Greifer auf einer Oberfläche aufliegt. Für das Festhalten wird auch hier kein Strom benötigt, auch wenn der Greifer ein schweres Werkstück über lange Zeit schräg hält. „Durch die Sensorfunktion ist zugleich die Zustandsüberwachung integriert, so dass der Greifer erkennt, wenn ein Vakuum nicht tragfähig ist“, erklärt Paul Motzki.

    Auf der Hannover Messe suchen die Forscherinnen und Forscher Partner, um ihr Verfahren für verschiedene Anwendungen weiterzuentwickeln.

    Hintergrund
    Das Forschungsteam der Professoren Stefan Seelecke und Paul Motzki nutzt die Formgedächtnistechnologie für die verschiedensten Anwendungen vom neuartigen Kühlsystem über Robotergreifer bis hin zu Ventilen und Pumpen. An der Technologie forschen auch viele Doktorandinnen und Doktoranden im Rahmen ihrer Doktorarbeiten und auch Studierende. Sie ist Gegenstand zahlreicher teils international preisgekrönter Veröffentlichungen in renommierten Fachzeitschriften und auf Konferenzen und wurde in mehreren Forschungsprojekten gefördert, unter anderem auch vom Saarland in den mit EFRE-Mitteln geförderten Projekten iProGro und iSMAT sowie der Firma Bosch in Homburg.

    Um intelligente Materialsysteme in die Industriepraxis zu bringen, haben die Wissenschaftler die Firma mateligent GmbH gegründet, die ebenfalls am Stand auf der Hannover Messe dabei sein wird.

    Am Zentrum für Mechatronik und Automatisierungstechnik (ZeMA) in Saarbrücken arbeiten Universität des Saarlandes, Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes htw saar, Institute und Industriepartner zusammen. Das Zema versteht sich seit seiner Gründung 2009 als industrienaher Entwicklungspartner mit dem Ziel des Technologietransfers von Forschungs- und Entwicklungsergebnissen.


    Contact for scientific information:

    Prof. Dr.-Ing. Paul Motzki: T:+49 (681) 85787-13; E: paul.motzki@uni-saarland.de


    More information:

    https://imsl.de/smartgrip – Mehr zu den smarten Robotergreifern
    https://imsl.de – Lehrstuhl für intelligente Materialsysteme
    https://smip.science – Professur Smarte Materialsysteme für innovative Produktion
    https://imsl.de/projekte – Infos und Videos zu Forschungsprojekten
    https://zema.de – Zentrum für Mechatronik und Automatisierungstechnik (ZeMA)


    Images

    Doktorand Tom Gorges (l.) und Masterstudent Philipp Göddel (r.) arbeiten an der smarten Greiftechnologie mit.
    Doktorand Tom Gorges (l.) und Masterstudent Philipp Göddel (r.) arbeiten an der smarten Greiftechnol ...
    Foto: Oliver Dietze
    Universität des Saarlandes

    Professor Paul Motzki (Foto) und sein Team zeigen auf der Hannover Messe Prototypen von Robotergreifsystemen, die Werkstücke energielos festhalten und handhaben können, darunter Vakuumgreifer (links, dieser hält eine Stahlplatte) und Zangengreifer (r.).
    Professor Paul Motzki (Foto) und sein Team zeigen auf der Hannover Messe Prototypen von Robotergreif ...
    Foto: Oliver Dietze
    Universität des Saarlandes


    Criteria of this press release:
    Business and commerce, Journalists, Scientists and scholars
    Electrical engineering, Energy, Information technology, Materials sciences, Mechanical engineering
    transregional, national
    Research results, Transfer of Science or Research
    German


     

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