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Wissenschaft
Dank der immer stärkeren digitalen Vernetzung stehen Forschenden mehr personenbezogene Daten denn je zur Verfügung. Wenn Menschen an Forschungsprojekten beteiligt sind, müssen Datenschutz, Persönlichkeits¬rechte und ihre Sicherheit höchste Priorität haben. Um ethische Risiken zu minimieren, braucht es klare, überprüfbare Standards. Ein neues Framework soll Transparenz schaffen und eine einheitliche Einhaltung ethischer Prinzipien in der Forschung gewährleisten.
Mit Hilfe von Smartphones, netzwerkfähigen Computern und des Internet of Things (IoT) kann eine große Menge Daten erzeugt werden, die auch für die Forschung interessant sind. Dabei handelt es sich um personenbezogene Daten. Die Nutzung dieser Daten ist streng an ethische Grundsätze gekoppelt, deren Prüfung ist allerdings nicht einheitlich reguliert.
Zweifel an der Einhaltung ethischer Standards können nicht nur während des Peer-Review-Prozesses, ein Verfahren zu Qualitätssicherung von wissenschaftlichen Publikationen, für Überraschungen sorgen. So gibt es Fälle, in denen Forschungsvorhaben zunächst vorab, zum Beispiel von einer akademischen Ethikkommission, genehmigt wurden und erfolgreich den Publikationsprozess durchliefen. Die resultierende Veröffentlichung wurde allerdings bei Bekanntwerden von Betroffenen und Teilen der Fachcommunity für unethisch befunden. In der Folge wurde die Veröffentlichung zurückgezogen.
Um solche Hürden zu vermeiden, verlangen immer mehr Fachkonferenzen und Fördereinrichtungen im Forschungsbereich der Informationstechnik, dass die Projekte noch vor der Publikation auf Einhaltung ethischer Grundsätze überprüft werden.
Einen Weg dafür haben Wissenschaftler*innen um Alexandra Dirksen von der Technischen Universität Braunschweig vorgeschlagen: ein Framework, um transparent, einheitlich und vor der Erhebung der Daten ein ethisch korrektes Vorgehen bei der Erhebung von Forschungsdaten zu gewährleisten.
Bislang uneinheitliche Arbeitsweisen und nationale Unterschiede
Die Überprüfung ethischer Grundsätze ist die Aufgabe spezialisierter universitärer Einrichtungen, etwa Research Ethics Boards (REB) oder Institutional Review Board (IRB). Die Arbeitsweise und Durchsetzungskraft solcher Einrichtungen unterscheidet sich allerdings grundlegend. Je nach Land und Institution reichen sie von streng regulierten, verpflichtenden Genehmigungen durch nationale Behörden (z. B. in Schweden) bis hin zu freiwilligen, nicht bindenden Richtlinien, die von einzelnen Institutionen oder Berufsverbänden herausgegeben werden (z. B. von der Gesellschaft für Informatik in Deutschland, einzelnen Fachkonferenzen, oder den größten weltweit agierenden Fachverbänden ACM und IEEE). Dasselbe gilt für deren fachliche Expertise und verfügbaren Ressourcen.
Abhängig von der Institution, der finanziellen Mittel oder der eigenen Forschungsdisziplin kann es auch sein, dass Forschende gar keinen Zugang zu solchen Boards haben. Für Fachbereiche, die üblicherweise mit Versuchspersonen arbeiten, haben Universitäten oftmals eine zentrale Einrichtung für die ethische Begutachtung (z.B. Medizin oder Psychologie). In Fachbereichen wie z.B. der Informatik oder Ingenieurwissenschaften, sind die ethischen Risiken und sozialen Auswirkungen von Forschung und entwickelten Technologien häufig unklar, weshalb der Schutz von Versuchspersonen und betroffenen Personen keine Priorität genießt. Sowohl diese Unklarheit, als auch die mangelnde Verankerung ethischer Reflexion in den technischen Curricula, sehen wir als Hauptursachen dafür, dass es kaum institutionalisierte Strukturen gibt, die sich mit ethischen Herausforderungen von Technologie befassen.
Riskant: Selbsteinschätzung ethischer Probleme
In diesen Fällen müssen Forschende etwaige ethische Implikationen ihrer Arbeiten selbst einschätzen. Dieses Vorgehen birgt das Risiko, von Konferenzen und Förderprojekten ausgeschlossen zu werden, da diese eine offizielle ethische Überprüfung ihrer Projekte fordern.
Alexandra Dirksen, Informationssicherheitsforscherin an der TU Braunschweig: „Wir argumentieren, dass aufgrund dieser Heterogenität Verfahren für ethische Überprüfung von Forschungsarbeiten oft unzureichend und manchmal sogar willkürlich sind. In unserem Paper stellen wir einen föderierten Ansatz vor, um die systematischen Schwächen dieser Verfahren im Bereich der Informationstechnik zu adressieren.“
„Don't Patch the Researcher, Patch the Game”
Das Paper „Don't Patch the Researcher, Patch the Game” entstand in enger interdisziplinärer Arbeit und vereint Aspekte der Informationssicherheit, der Wissenschaftsethik und Soziologie. Die Autor*innen entwerfen darin ein Framework (Federated Ethics Boards), in dem Ethik-Gremien verschiedener Institutionen miteinander vernetzt werden. Die einzelnen Boards innerhalb des Frameworks entsprechen dabei einem lokalen Ethik-Gremium oder einer Ethikkommission. Sobald während der Konzeptionsphase eines Forschungsprojekts ethische Fragen oder Bedenken vorliegen, oder eine formale Abnahme benötigt wird, reichen Forschende ihr Projektvorhaben bei der zentralen Institution des Federated Ethics Boards ein.
Standard erhöhen, Befangenheit reduzieren
Ihre Einreichung wird, unter Berücksichtigung gewisser Eigenschaften wie fachliche Spezialisierung, Domänenwissen, Zuverlässigkeit etc., zufällig an ein Gremium innerhalb des Frameworks verteilt. Diese Herangehensweise kann den Standard der Überprüfung erhöhen und potentielle Befangenheiten minimieren.
Dieses Gremium unterstützt die Forschenden dabei, ihr Vorhaben in einer ethisch-korrekten Form zu gestalten. Schlussendlich wird die Projektbeschreibung formal attestiert, was z. B. bei der resultierenden Einreichung der Forschungsergebnisse oder der Akquise von Forschungsmitteln als Nachweis dienen kann.
Frühzeitige Erkennung von ethischen Problemen
Im Gegensatz zu bestehenden Ansätzen in der Informationstechnik, die oft auf nachträglichen Überprüfungen basieren (ex-post), plädieren die Autor*innen für ein transparentes Verfahren, das noch vor der Durchführung etwaiger Forschungsexperimente greift (ex-ante). Das ermöglicht, ethischen Problemen frühzeitig im Forschungsprozess zu begegnen und so potenzielle Personenschäden zu minimieren.
Ein einheitliches Verfahren erleichtert die Navigation durch den Prozess und ermöglicht eine gleichberechtigte und faire Teilhabe aller Forschenden. Das Framework würde Ethik Boards verschiedener Institutionen miteinander vernetzen und deren Entscheidungen in einem bestimmten Umfang in einer öffentlich zugänglichen Datenbank dokumentieren. Dies soll nicht nur die Qualität der ethischen Bewertungen erhöhen und diese nachvollziehbar machen, sondern auch den Austausch von Wissen und Best Practices fördern. Der systematische Ansatz stärkt das Vertrauen in die Forschung, reduziert Verzögerungen durch nachträgliche Bedenken und fördert verantwortungsvolles wissenschaftliches Handeln.
Andrea Dirksen: „Unser Ziel ist es, eine Community-weite Struktur zu schaffen, die nicht nur Risiken minimiert, sondern auch die Forschungsgemeinschaft befähigt, gemeinsam an der Weiterentwicklung ethischer Standards für neue Technologien zu arbeiten.“
Alexandra Dirksen
Technische Universität Braunschweig
Institut für Anwendungssicherheit (IAS)
Mühlenpfordtstr. 23
38106 Braunschweig
Tel.: +49 531 391-2270
E-Mail: a.dirksen@tu-braunschweig.de
www.tu-braunschweig.de/ias
A. Dirksen, S. Giessler, H. Erz, M. Johns, T. Fiebig: Don't Patch the Researcher, Patch the Game: A Systematic Approach for Responsible Research via Federated Ethics Boards, NSPW '24: Proceedings of the New Security Paradigms Workshop, 16 January 2025, https://doi.org/10.1145/3703465.3703475, https://dl.acm.org/doi/full/10.1145/3703465.3703475
https://magazin.tu-braunschweig.de/pi-post/forschen-mit-verantwortung/
Criteria of this press release:
Journalists, Scientists and scholars, Students
Information technology
transregional, national
Research results, Transfer of Science or Research
German
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