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Wissenschaft
Neue Studie erlaubt Einblicke in einen Prozess, der zum Beispiel für die Funktion künftiger Quantencomputer von zentraler Bedeutung ist.
- Quantencomputer arbeiten mit sogenannten Quantenbits, die gleichzeitig viele verschiedene Zustände annehmen können.
- Dieses „Überlagerung“ genannte Phänomen wird sehr leicht durch Störeinflüsse zerstört.
- Eine Studie unter Federführung der Uni Kiel hat gemessen, wodurch und wie schnell das in einem bestimmten Feststoff geschieht. Die Ergebnisse könnten zur Entwicklung besserer Materialien für Quantenchips beitragen.
Klassische Computer speichern Informationen in so genannten Bits ab. Diese können nur zwei Zustände annehmen - 0 oder 1. Wenn man zwei Bits kombiniert, gibt es schon vier verschiedene Möglichkeiten: 00, 01, 10, 11. Mit zwei Bits lassen sich daher zum Beispiel die Zahlen von Null bis Drei eindeutig darstellen.
Quantenbits (Qubits) hingegen können nicht nur in einem dieser Zustände sein, sondern sich in einer Überlagerung (Superposition) aus 0 und 1 befinden. In der Physik spricht man dabei von Kohärenz. Zwei Qubits können daher gleichzeitig eine Überlagerung aller vier möglichen Kombinationen (00, 01, 10, 11) repräsentieren. Diese Eigenschaft ermöglicht es Quantencomputern, viele Berechnungen parallel durchzuführen, indem sie quantenmechanische Interferenzen nutzen. Dadurch können sie bestimmte Probleme lösen, an denen klassische Computer scheitern.
Quantenüberlagerungen sind extrem empfindlich
Das funktioniert aber nur dann, wenn die Quantenbits eine ausreichend lange Zeit in ihrem Kohärenzzustand bleiben. Und genau an dieser Stelle hapert es heute noch oft. Denn Quantenüberlagerungen in Festkörpern sind extrem empfindlich und werden schon durch kleinste äußere Einflüsse zerstört. „Dieses Phänomen nennt sich Dekohärenz“, erklärt Prof. Dr. Nahid Talebi vom Institut für Experimentelle und Angewandte Physik der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU). „Für die Quanteninformationstechnologie stellt es eine enorme Herausforderung dar.“
Durch Kühlung auf Temperaturen knapp über dem absoluten Nullpunkt lässt sich das Ausmaß von Störeinflüssen zwar deutlich reduzieren. Die Überlagerungen werden dadurch erheblich stabiler. Doch diese Methode ist aufwändig und teuer. „Daher suchen viele Arbeitsgruppen weltweit momentan nach Alternativen“, sagt Talebi. „In diesem Zusammenhang ist es wichtig, Auslöser und Geschwindigkeit der Dekohärenz besser zu verstehen.“
Quantenbits einzeln ausgelesen
Die aktuelle Studie, die in der renommierten Fachzeitschrift Nature Communications am 08. März 2025 erschienen ist, hat nun auf diesem Weg eine bedeutende Hürde genommen. Die Beteiligten haben darin ein vielversprechendes Material untersucht, das hexagonale Bornitrid. Wenn einige Atome in diesem Material ausfallen oder externe Atome auf ihm landen, bilden sich winzige Defekte, die Licht emittieren können - die sogenannten Farbzentren. Diese lassen sich in eine Überlagerung versetzen und können so bereits bei Raumtemperatur als Quantenbits fungieren. Ihre Kohärenz ist aber sehr instabil.
„Wir haben nun eine Methode entwickelt, mit der wir gezielt die Defekte im Bornitrid in einen Überlagerungszustand bringen und danach erstmals einzeln auslesen können“, erläutert die Wissenschaftlerin. Dazu nutzten die Beteiligten eine eigens entworfene Struktur, die Licht aussendet, wenn sie mit Elektronen wechselwirkt - eine sogenannte elektronengetriebene Photonenquelle. Mit Hilfe eins Elektronenmikroskops erzeugten sie einen Elektronenstrahl, den sie auf die Defekte im Bornitrid richteten, die sie untersuchen wollten.
„Der Strahl besteht aus einzelnen Elektronen, die etwa im Abstand von einer Nanosekunde emittiert werden“, sagt Talebi, die Mitglied im Forschungsschwerpunkt KiNSIS ist. „Wenn diese auf die Photonenquelle auftreffen, erzeugt jedes Elektron einen Lichtblitz, der lediglich anderthalb Femtosekunden andauert.“ Eine Femtosekunde ist ein Millionstel einer Milliardstel Sekunde, also unvorstellbar kurz. Dennoch reicht diese Zeitspanne, um die Defekte in der unmittelbaren Umgebung des Blitzes in den Überlagerungszustand zu bringen.
Mit Highspeed gemessen
„Danach haben wir untersucht, wie lange dieser anhält und welche Einflüsse ihn zerstören“, erläutert die Physikerin. Dazu nutzten die Forschenden ein sogenanntes Spektrometer. Das ist ein Messinstrument, mit dem sich indirekt feststellen lässt, wie es um ein Quantenbit zu einem bestimmten Zeitpunkt bestellt ist. Durch den Elektronenstrahl des Mikroskops wurden währenddessen weiterhin ultrakurze Lichtblitze erzeugt, fast wie bei einem Stroboskop.
Auf diese Weise wird der Prozess der Dekohärenz gewissermaßen in eine Sequenz von Einzelbildern zerlegt. Wie bei einem Daumenkino wird so sichtbar, wann die Überlagerung zusammenbricht. Bei Raumtemperatur war das bereits nach 200 Femtosekunden der Fall. Verantwortlich dafür sind die Atome in der Umgebung der Defekte: Aufgrund der Umgebungswärme schwingen sie permanent hin und her.
Ergebnisse lassen auf bessere Materialien hoffen
Diese Vibrationen - in der Quantenmechanik spricht man auch von Phononen - sind aber nicht überall im Material gleich stark. „Wir wollen die Messergebnisse aus unserer Studie daher nutzen, um die lichtemittierenden Defekte in hexagonalem Bornitrid gezielt zu verbessern“, erklärt Nahid Talebi. „So möchten wir die Defekte gezielt in Bereichen einbringen, in denen die Störungen durch Phononen besonders gering sind. Außerdem sollen die Defekte so weit voneinander entfernt sein, dass sie sich nicht gegenseitig beeinflussen.“
Die Studie könnte also zur Entwicklung von Materialien beitragen, die auch bei Raumtemperatur stabile Überlagerungen ausbilden. Bis dahin sei es noch ein weiter Weg, betont die Wissenschaftlerin. „Dennoch zeigen unsere Ergebnisse schon jetzt, dass es sich lohnt, diesen Ansatz zu verfolgen.“ Mit einem besseren Verständnis dafür, wie Quantenzustände kontrolliert und erhalten werden können, ebnen die Forschenden den Weg für eine Zukunft, in der Quantencomputer, hochempfindliche Sensoren und unknackbare Verschlüsselungen Realität werden.
Fotos stehen zum Download bereit:
http://www.uni-kiel.de/de/pressemitteilungen/2025/031_Quantenbits.jpg
Ein einzelner Defekt in hBN verhält sich wie ein Quasi-Zwei-Niveau-System, das an Phononen gekoppelt ist.
© Masoud Taleb, Uni Kiel
http://www.uni-kiel.de/de/pressemitteilungen/2024/205-ERC-Nahid.jpg
Professorin Nahid Talebi forscht am Institut für Experimentelle und Angewandte Physik (CAU) und ist Mitglied im Forschungsschwerpunkt KiNSIS.
© Julia Siekmann, Uni Kiel
Link zur Meldung: http://www.uni-kiel.de/de/detailansicht/news/wie-quantenbits-ihre-vorteilhaften-eigenschaften-verlieren
Prof. Dr. Nahid Talebi Sarvari
Institut für Experimentelle und Angewandte Physik
Christian Albrecht Universität zu Kiel
Tel.: +49 (0)431/8803388
E-Mail: talebi@physik.uni-kiel.de
Taleb, M., Bittorf, P.H., Black, M. et al. Ultrafast phonon-mediated dephasing of color centers in hexagonal boron nitride probed by electron beams. Nat Commun 16, 2326 (2025). https://doi.org/10.1038/s41467-025-57584-1
http://www.uni-kiel.de/de/detailansicht/news/039-elektronenmikroskop
Criteria of this press release:
Journalists, Scientists and scholars
Information technology, Physics / astronomy
transregional, national
Research results, Scientific Publications
German
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