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Wissenschaft
Kräftemessen auf zellulärer Ebene: Zellen stehen im ständigen Wettbewerb miteinander und eliminieren dadurch kranke oder ungewollte Zellen. Die Konkurrenz von Zellen ist ein zentrales Prinzip für die Gesunderhaltung von Geweben und Organen. Forscher*innen haben die Erfolgsfaktoren von überlegenen Zellen untersucht und sind dabei auf eine bisher unbekannte Gewinnstrategie gestoßen. Als entscheidenden Hauptregulator identifizierten sie die unterschiedliche Fähigkeit von Zellen, mechanische Kräfte auf andere Zellen zu übertragen. Mit den kürzlich in ›Nature Materials‹ publizierten Ergebnissen stellt das internationale Forschungsteam die klassische Interpretation der Zellkonkurrenz in Frage.
Gewinner- und Verliererzellen – die Konkurrenz als Überlebensprinzip
Mehrzellige Organismen, zu denen auch Menschen gehören, formen sich aus unterschiedlichen Zelltypen. Jeder dieser Zelltypen besitzt spezifische Eigenschaften und übernimmt bestimmte Funktionen im Organismus. Selbst geringfügige Abweichungen vom evolutionären Bauplan können Entwicklungsstörungen verursachen, den Alterungsprozess beschleunigen und zu Krankheiten führen. Um die Unversehrtheit von Gewebe und die Funktionsfähigkeit von Organen zu erhalten, sind Mechanismen zur Qualitätskontrolle dieser Zellverbände unerlässlich. Die „Zellkonkurrenz“ ist solch ein Mechanismus, der eine Reihe von Überwachungsprozessen zusammenfasst. Zellen besitzen die Fähigkeit, ihre Eigenschaften an ihre Nachbarzellen anzupassen und ihr sogenanntes Fitnessniveau mit dem ihrer Nachbarn zu vergleichen. Die überlegenen „Gewinner“-Zellen können bestehen, während die schwächeren „Verlierer“-Zellen aus der Zellstruktur entfernt werden und absterben. Dieser Mechanismus sorgt dafür, dass die Zellgemeinschaft gesund bleibt und bewahrt ihre Leistungsfähigkeit. Somit ist der Zellwettbewerb ein entscheidender Faktor für die Aufrechterhaltung der Gewebegesundheit und wichtig für die Bekämpfung von Krankheitserregern. Versagen solche Kontrollmechanismen, können Tumore entstehen.
Neue Gewinnstrategie im mechanischen Zellwettbewerb aufgedeckt
Die beteiligten molekularen Faktoren und biochemischen Signale, die zum Zelltod und der Eliminierung von Verliererzellen führen, sind bereits weitreichend erforscht. Diverse wissenschaftliche Studien konnten bereits zeigen, dass Zellen auch durch mechanische Kräfte eliminiert werden können. Ihre genaue Rolle im Zellwettbewerb hingegen ist nach wie vor unklar.
Ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung des Max-Planck-Zentrums für Physik und Medizin (MPZPM), des Institut Jacques Monod (CNRS, UP Cité, Frankreich) und des Niels-Bohr-Instituts (Dänemark) hat eine bisher unbekannte Strategie von Gewinnerzellen im mechanischen Zellwettbewerb identifiziert. In ihrer Arbeit konnten die Wissenschaftler*innen zeigen, dass Gewinnerzellen hohe einwirkende mechanische Kräfte besonders erfolgreich auf ihre Umgebung übertragen können, was ihnen einen Wettbewerbsvorteil verschafft. Diesen Wettbewerbsvorteil registrierten die Wissenschaftler*innen insbesondere an den Grenzflächen unterschiedlicher Zellgruppierungen, beispielsweise wenn mutierte Zellen auf gesundes Gewebe treffen. Ladoux’ Team registrierte, dass diese aktiven Schnittstellen regelrechte Hotspots für die Eliminierung von Zellen darstellen und sie durch starke mechanische Kraftschwankungen gekennzeichnet sind.
Die Studie bestätigt, dass diese hohen Schwankungen eine entscheidende Rolle bei der Beseitigung von Zellen spielen, welche mechanische Belastungen weniger erfolgreich übertragen können. Die Ergebnisse stellen die bisher vorherrschende Meinung in Frage, dass die Gewinner lediglich durch das Zusammenpressen der Verlierer deren Tod und ihre Elimination aus dem Gewebe bewirken. Vielmehr basiert der Wettbewerbsvorteil auf dem aktiven Widerstand von Zellen gegen ihre Eliminierung, so die Erkenntnis aus der Studie.
Wodurch können Zellen ihrer Eliminierung aktiv widerstehen?
Eine besondere Bedeutung in der interzellulären Kraftübertragung in Epithelien kommt dem Verbindungsprotein E-Cadherin zu. Es dient der Anhaftung (Zelladhäsionen) von Zellen untereinander und verbindet diese gleichzeitig mechanisch mit ihrer physikalischen Umgebung. Wie die mechanische Kopplung genau funktioniert, die es den Zellen ermöglicht, physikalische Veränderungen in der Umgebung wahrzunehmen, zu signalisieren und darauf zu reagieren, ist Gegenstand der Forschung von Prof. Benoît Ladoux, Leiter der Abteilung ›Mechanobiologie von Geweben‹ am MPZPM. Ladoux´s Team untersucht die Zusammenhänge zwischen Adhäsion, mechanischer und biochemischer Signalübertragung für die Anpassung lebender Zellen an Veränderungen in ihrer physikalischen Umgebung auf verschiedenen Ebenen – von einzelnen Molekülen bis zu Geweben.
Im Rahmen der Studie kombinierte das internationale Team mechanische Messungen von Kräften innerhalb des Gewebes mit zielgenauen biologischen Eingriffen wie dem Ausschalten einzelner Moleküle, wie beispielweise E-Cadherin. Die Gruppe arbeitete mit theoretischen Physikern der Universität Kopenhagen zusammen, die Computersimulationen auf Basis der mechanischen Unterschiede zwischen den Zellen erstellten. Durch diese konnte vorhergesagt werden, wie einzelne Komponenten, hier mechanische Fluktuationen, die Beobachtungen verändern können. Die Vorhersage wurden nachfolgend experimentell überprüft.
„Überrascht hat uns, dass die Zellen, auf die großer mechanischer Druck ausgeübt wurde nicht systematisch eliminiert wurden“, sagt Ladoux. „Diese Beobachtung unterscheidet sich fundamental von den bisher bekannten Formen des mechanischen Zellwettbewerbs, wie der gerichteten Migration gegenüber Verliererzellen. Wir vermuteten, dass eine Veränderung der interzellulären Kraftübertragung durch eine Veränderung der E-Cadherin-Adhäsionsstärke bedingt ist, was die Dynamik des Zellwettbewerbs beeinflusst. Deswegen haben wir weiter in diese Richtung geforscht.“ Erstautor der Arbeit, Andreas Schoenit, Institut Jacques Monod (CNRS, UP Cité, Frankreich), ergänzt: „Mit unseren Studien konnten wir die Fähigkeit zur Kraftübertragung als Hauptregulator für das Ergebnis des Zellwettbewerbs identifizieren. Da der Zellwettbewerb ein grundlegender Mechanismus für die Aufrechterhaltung der Gewebegesundheit ist, könnte diese Entdeckung Auswirkungen auf viele lebenswichtige biologische Prozesse, einschließlich der Morphogenese, sowie akute Entzündungen und sogar Krebs haben.“
Bildunterschrift zu Bild1: Die Kraftübertragung reguliert den mechanischen Zellwettbewerb. (A) Zellwettbewerb innerhalb heterogener Brustkrebsproben, die aus zwei Subpopulationen bestehen, oder (B) Modell-MDCK-Epithelien. Unter allen Bedingungen gewinnen Zellen mit der Fähigkeit höherer Kräfte übertragen zu können und eliminieren die andere Zellpopulation im Laufe der Zeit. Diese Fähigkeit wird durch das Zell-Zell-Adhäsionsprotein E-Cadherin vermittelt wird. (C) Kartierung der mechanischen Spannungskompartimente während des Wettbewerbs. Die Bereiche unter Kompression (blau) oder Spannung (gelb) entsprechen dem oberen Bild. Während die Kompression bei intratumoralem Zellwettbewerb zur Eliminierung der Verliererzellen führt, zeigen Stressmessungen, dass Verliererzellen unabhängig von mechanischer Kompression (D), aber aufgrund von Spannungsschwankungen, die an Gewebegrenzflächen auftreten, eliminiert werden können.
Prof. Benoît Ladoux
Max-Planck-Zentrum für Physik und Medizin und FAU Erlangen-Nürnberg, Erlangen
Principal Investigator ›Mechanobiologie von Geweben‹
https://mpzpm.mpg.de / benoit.ladoux@mpzpm.mpg.de
Andreas Schoenit
Institut Jacques Monod
CNRS und Université Paris Cité
Forschungsgruppe ›Cell Adhesion and Mechanics‹
https://www.ijm.fr / andreas.schonit@ijm.fr
Andreas Schoenit, Siavash Monfared, Lucas Anger, Carine Rosse, Varun Venkatesh, Lakshmi Balasubramaniam, Elisabetta Marangoni, Philippe Chavrier, René-Marc Mège, Amin Doostmohammadi & Benoit Ladoux. Force transmission is a master regulator of mechanical cell competition. In Nature Materials (2025).
DOI: https://doi.org/10.1038/s41563-025-02150-9
Die Kraftübertragung reguliert den mechanischen Zellwettbewerb.
Abbildung angepasst von Schoenit et al., Nature Materials, 2025
Wie mechanische Kräfte den Zellwettbewerb und die Eliminierung an Gewebegrenzen beeinflussen.
Lucas Anger
Criteria of this press release:
Journalists
Biology, Medicine
transregional, national
Scientific Publications
German
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