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Von der optimalen Gebärposition bis zur empathischen Begleitung der Gebärenden: Bei der Veranstaltung im Skills Lab der Medizinischen Fakultät OWL zum Thema „Physiologische Geburt“ erklären angehende Hebammen Medizinstudierenden den Ablauf der „natürlichen“ Geburt. Damit die Kooperation zwischen den Berufsgruppen im späteren Berufsleben gelingt, werden in Bielefeld die Weichen dafür durch interprofessionelle Formate bereits im Studium gestellt. Eine wichtige Erkenntnis: Bei den meisten Geburten sind kaum Eingriffe in den Geburtsvorgang nötig – der Körper der Gebärenden ist oft mit allem was es braucht ausgestattet, um ein Kind zur Welt zu bringen.
Bielefeld (hsbi). Der 5. Mai ist der „Internationale Tag der Hebammen“. Hebammen und ihre Arbeit sollen an diesem Tagen besonders geehrt und ihre Bedeutung für die Gesellschaft hervorgehoben werden. Denn: Hebammen sorgen dafür, dass der Start ins Leben gelingt, dass Mutter und Kind rund um Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und auch in der Stillzeit optimal versorgt sind. Auch in Kreißsälen und Krankenhäusern arbeiten Ärzt:innen und Hebammen bei Geburten meist Hand in Hand. Damit dies in Zukunft noch besser funktioniert, haben die Hochschule Bielefeld (HSBI) und die Medizinische Fakultät OWL eine Kooperation ins Leben gerufen: In gemeinsamen Vorlesungen und Veranstaltungen lernen Hebammenstudierende der HSBI und Medizinstudierende der Medizinischen Fakultät gemeinsam. Das Thema: Kooperation in der Schwangerenvorsorge und Geburtsbegleitung. Hier hat sich inzwischen eine interdisziplinäre Gruppe Lehrender beider Hochschulen zusammengefunden, die das Format ständig weiterentwickeln.
Peer Teaching: Studierende als Lehrende
Im Mittelpunkt einer Veranstaltung stand die physiologische Geburt, also eine Geburt bei der keine gravierenden Risiken bestehen und deshalb auch keine bzw. möglichst wenige, gut begründete Interventionen durchgeführt werden. Der geburtshilfliche Bereich für den Hebammen die Fachpersonen sind. Das Besondere: Hebammenstudentinnen der HSBI fungierten hier als Lehrende und gaben ihre Erfahrungen und ihr Wissen an Medizinstudierende der Medizinischen Fakultät OWL weiter. Entwickelt wurde die gemeinsame Veranstaltung von den Hebammenstudentinnen Raphaela Pöllmann, Pauline Douillet, Manon Schwaneberger und Lale Tabel unter der Leitung von Hanna Schroeder (HSBI) und Dr. Anne-Kathrin Eickelmann (Med. Fak. OWL).
Schroeder ist Lehrkraft für besondere Aufgaben an der HSBI und selbst Hebamme. „Das Besondere an diesem Lehrformat ist, dass die Hebammenstudentinnen selbst als Expertinnen der Physiologie agieren und die Lehre leiten“, so Schroeder. „Die angehenden Ärzt:innen erhalten die Möglichkeit auf Augenhöhe, praktisch und anschaulich Kenntnisse zur physiologischen Geburt zu erlangen. Besonders in der Geburtshilfe ist es enorm wichtig die Physiologie und deren breites Spektrum sehr gut zu kennen, um dann Abweichungen sicher zu erkennen. Ein fundiertes Wissen über die jeweiligen Kompetenzen der anderen Profession führt zu einer koordinierten, ressourcenschonenden und letztendlich auch zu einer sicheren Betreuung während der Geburt.“
Physiologische oder regelwidrige Geburt
Doch was versteht man überhaupt unter dem Begriff „physiologische Geburt“? Hanna Schroeder: „Die physiologische Geburt beschreibt eine Geburt, während der die gesunden körperlichen Vorgänge bei Mutter und Kind in den Fokus gerückt und diese Prozesse unterstützt werden. Dazu muss bei den Beteiligten das Wissen darüber vorhanden sein, dass Mutter, Kind und die ganze Familie davon profitieren, wenn den meist funktionierenden natürlichen Vorgängen ausreichend Raum gegeben wird wirksam zu werden. Von einer regelwidrigen oder pathologischen Geburt sprechen wir, wenn diese durch Regelwidrigkeiten oder Komplikationen gekennzeichnet ist, welche die Gesundheit von Mutter und Kind gefährden können.“
WHO: Unnötige medizinische Eingriffe vermeiden
Hebammenstudentin Raphaela Pöllmann erklärt: „Im Medizinstudium liegt der Fokus auf der pathologischen Seite und welche Eingriffe es bei Notfällen geben kann. Im Hebammenstudium wird viel Wert auf die Selbstbestimmung und die individuellen Wünsche der Gebärenden gelegt und eine möglichst stressfreie Umgebung ohne Interventionen geschaffen.“ Die Veranstaltung soll die Medizinstudierenden daher auch dafür sensibilisieren, dass ohne medizinische Indikation kaum bis keine Eingriffe in den Geburtsvorgang nötig sind. Der Fokus der Veranstaltung liegt daher – im Gegensatz zur klassischen Medizin – auf der Erhaltung und Förderung der Gesundheit, anstatt auf Heilung von Krankheiten.
So werden viele gängige Interventionen wie eine durchgehende Überwachung mit dem Herzfrequenz-Wehenschreiber (CTG), die Gabe von Medikamenten, die die Geburt beschleunigen sollen, oder ein Dammschnitt von der WHO in ihren aktuellen „Richtlinien zur Geburt“ ohne Indikation nicht empfohlen.
Hebammenstudium nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen
Im Studiengang „Angewandte Hebammenwissenschaft“ der HSBI lernen die Studierenden nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen, wie sie z.B. auch in der 2020 veröffentlichten Leitlinie zur vaginalen Geburt am Termin der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe sowie der Deutschen Gesellschaft für Hebammenwissenschaft festgeschrieben sind.
Dazu gehört zum Beispiel die Erkenntnis, dass eine spontane Geburt in der Regel besser für die weitere gesundheitliche Entwicklung von Mutter und Kind ist, wenn ihr keine medizinischen Gründe entgegenstehen. Oder dass die Frau sich während der Geburt frei bewegen sollte und nicht per se liegen oder gar auf dem Rücken ihr Kind gebären muss, wie es meistens in Filmen dargestellt wird. Hebammenstudentin Pauline Douillet erklärt: „Bei der Rückenlage ist die Schwangere zum einen nicht auf Augenhöhe mit den an der Geburt beteiligten Personen und zum anderen sind in dieser Position die Beckenräume nicht flexibel. Wir brauchen die Bewegung vom Baby und vom Becken.“ Stattdessen werden aufrechte Positionen oder die Vierfüßlerposition empfohlen – oder eben die Position, die die Gebärende als angenehm empfindet.
Geburtspositionen, Ansprache und Selbstbestimmung
All das erklärten die angehenden Hebammen den Studierenden der Medizinischen Fakultät. Danach wurde es praktisch: An einem Simulationsmodell bekamen die Medizinstudierenden den Ablauf einer physiologischen Geburt erklärt und gezeigt wie die Gebärende dabei unterstützt und begleitet wird. Unter Anleitung probierten sie anschließend selbst aus, welche Handgriffe in welchem Stadium der Geburt anzuwenden sind. Wann muss wo leichter Druck ausgeübt werden, wie führt und stützt man das Baby richtig und wo genau müssen die Hände angesetzt werden?
„Mir war nicht bewusst, dass man das Baby kaum oder nur ganz behutsam führen muss“, beschreibt Sarah Wurms ihre praktische Erfahrung. Die Medizinstudentin im 5. Semester möchte sich nach Abschluss ihres Studiums auf die Fachrichtung Gynäkologie und Geburtshilfe spezialisieren. Ebenfalls neu war für einige der angehenden Mediziner:innen, dass das Neugeborene der Gebärenden nicht sofort in die Arme gegeben werden muss, sondern dass die Mutter das Kind selbst nehmen kann, wenn sie bereit ist – ganz im Sinne einer selbstbestimmten Geburt.
Während der praktischen Demonstration am Trainingsmodell wurde auch die Anwendung eines Dammschutztuches erklärt und am Modell geübt. „Es ist wissenschaftlich belegt, dass Wärme und Wasser mit warmen Kompressen z.B. als Dammschutztuch, dabei helfen können, die Wahrscheinlichkeit für einen Riss zwischen Vagina und After zu verringern“, so Hebammenstudentin Pauline Douillet.
Kooperation zwischen HSBI und Medizinischer Fakultät fördert Zusammenarbeit
„Ich habe heute sehr viel dazugelernt. Das muss man gesehen und auch selbst mal gemacht haben“, resümiert Medizinstudentin Söngul Ali mit Blick auf die Arbeit am Trainingsmodell. „Ich hätte mir einen Geburtsvorgang sonst nicht so gut vorstellen können und mich da auch nicht ran getraut.“
Die Hebammenstudentinnen haben ihr Wissen und ihre Begeisterung für ihren Beruf gerne weitergegeben. „Der Beruf ist sehr abwechslungsreich“, so Raphaela Pöllmann. „Hebammen haben eine sehr enge Bindung zu den Frauen. Meine Mutter erinnert sich noch 25 Jahre nach der Geburt meines Bruders an ihre Hebamme. Eine Geburt ist ein verbindendes Ereignis und ich empfinde es als Privileg, dabei sein zu dürfen.“
https://www.hsbi.de/presse/pressemitteilungen/hsbi-hebammenwissenschaftstudieren... Pressemitteilung auf www.hsbi.de
Die Hebammenstudentinnen Raphala Pöllmann (links) und Pauline Douillet (rechts) erklären Medizinstud ...
S. Jonek/HSBI
Die Hebammenstudentinnen (v.l.) Lale Tabel , Pauline Douillet, Raphaela Pöllmann und Manon Schwanebe ...
S. Jonek/HSBI
Criteria of this press release:
Journalists
Medicine, Nutrition / healthcare / nursing
transregional, national
Studies and teaching
German
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