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05/08/2025 12:31

Mayday! – Wenn Schiffe scheitern und die Forschung fragt, warum

Deutsches Schifffahrtsmuseum / Leibniz-Institut für Maritime Geschichte Kommunikation
Deutsches Schifffahrtsmuseum - Leibniz-Institut für Maritime Geschichte

    Schiffe gelten als majestätische Gefährte. Zwingt die Naturgewalt des Meeres sie nieder, löst das Entsetzen, aber auch Faszination aus. Das neue Forschungsprojekt „Katastrophen auf See und maritime Erinnerungskultur im 20. und 21. Jahrhundert“ im Deutschen Schifffahrtsmuseum (DSM) / Leibniz-Institut für Maritime Geschichte in Bremerhaven untersucht, wie Schiffsunglücke die Sicht des Menschen auf das Meer beeinflussen und welche Rolle hierbei die Erinnerung an diese Ereignisse einnimmt.

    Als im Herbst 2023 die Frachter VERITY und POLESIE auf der Nordseeautobahn zusammenstoßen, verfolgt Deike Reddig das Geschehen mit Spannung. „Innerhalb von 24 Stunden wurde hierüber in bundesweiten Nachrichtenportalen berichtet. Das war noch einmal ein Indiz dafür, dass Schiffsunglücke Ereignisse von gesamtgesellschaftlichem Interesse sind“, sagt die Doktorandin, die zu Schiffskatastrophen auf See promoviert.

    Als Reddig in ihrem wissenschaftlichen Volontariat am DSM für eine Publikation recherchiert, fällt ihr ein blinder Fleck auf: „Seit Homers Odyssee sind Schiffsunglücke Teil unserer westlichen Kulturgeschichte. Viele wissen etwas über den Untergang der TITANIC oder des britischen Passagierschiffs LUSITANIA, das 1915 nach einem U-Boot-Beschuss vor Irland sank. Natürlich sind Schiffsuntergänge auch in vergangenen Ausstellungen des DSM gezeigt worden. Doch in unserer Forschung am DSM wurde bislang dazu nur wenig erarbeitet, obwohl Archivalien vorhanden sind.“ Reddig sucht sich mit den Untergängen der PAMIR, der MÜNCHEN, der ESTONIA und der PALLAS vier verschiedene Beispiele aus, die dramatisch abliefen und teilweise lokale Bezüge aufweisen, doch vor allem dienen sie als Fenster, um die sich wandelnde kulturelle Bedeutung des Meeres in verschiedenen historischen Kontexten zu analysieren. Die Wissenschaftlerin findet zu jeder Katastrophe Unterlagen in der DSM-Sammlung. „Der Mystery-Faktor ist das gewisse Etwas bei vielen Unglücken auf See. Im Unterschied zu Unfällen an Land, weiß man häufig auf dem Wasser nicht genau, was passiert ist. Schiffe sinken und verschwinden teilweise spurlos. Da stellt sich natürlich die Frage, was macht das mit unserer Sicht auf das Meer?“, sagt die 36-jährige Historikerin.

    Als das Segelschulschiff PAMIR 1957 sank, starben 80 Besatzungsmitglieder. „In mehreren Rundfunkanstalten wurde damals das geplante Tanzmusikprogramm in Klassik geändert, weil die Nation Anteil nahm“, recherchierte Reddig aus Zeitungsartikeln.

    Das Containerschiff MÜNCHEN galt 1978 mit 261 Metern als eines der größten seiner Zeit. Von Bremerhaven ist es auf dem Weg nach Amerika. Schneestürme und Hagel behindern die Sicht und machen die Navigation für den erfahrenen Kapitän zu einem Kraftakt. Am 12. Dezember geht plötzlich ein schwaches SOS über Funk – wenig später sinkt das Schiff. Bis heute ist die genaue Unglücksstelle unklar. Bis auf eine Notfunkboje, drei der geladenen Bargen und einige Rettungsmittel fehlt jede Spur von dem Ozeanriesen. Beim Gedenkgottesdienst im Bremer Dom nehmen mehr als 2.000 Menschen Abschied von der 28-köpfigen Mannschaft. „Die Seeamtsverhandlung fand damals im Scharoun-Bau statt. Einige der gutachterlichen Unterlagen der Verhandlung liegen im DSM-Depot.“

    Ebenfalls zu finden sind dort Untersuchungsberichte, Gutachten und Vernehmungstranskripte des ESTONIA-Unglücks, das sich 1994 ereignete. Ein Orkan reißt die Bugklappe der Fahrzeugfähre heraus, und rund 15.000 Tonnen Seewasser fluten das Schiff. Es sinkt innerhalb von nicht mal 30 Minuten vor der finnischen Insel Utö. „Viele Verschwörungstheorien ranken sich um die ESTONIA, auch weil die Unglücksstelle noch immer nicht überfahren oder betaucht werden darf und die Toten nicht geborgen wurden“, weiß Reddig. Und weiter: „Im DSM-Bestand befindet sich ein Wrackmodell der gesunkenen ESTONIA. Das ist ungewöhnlich, weil Schiffsmodelle sonst ausschließlich die Pracht und Schönheit von Schiffen deutlich machen“, ergänzt Reddig, die sich dem Projekt auch sammlungsgeleitet nähert und Exponate sucht, die später im Ausstellungsbereich „Schiffsunglücke“ im sanierten Scharoun-Bau gezeigt werden können.

    „Für meine Forschung möchte ich einen besonderen Schwerpunkt auf die Erinnerungskultur zu diesen Ereignissen legen. Denn die Art und Weise, wie wir über ein Thema sprechen, wie es beispielsweise in den Medien thematisiert wird, beeinflusst, wie es sich als unsere Vergangenheit manifestiert. Im 20. Jahrhundert änderte sich die Wahrnehmung der Menschen auf das Meer. Wie haben Schiffsunglücke diesen Wandel beeinflusst?“

    Das Beispiel der PALLAS zeigt exemplarisch, wie sich das Denken über das Meer als unerschöpfliche Ressourcenquelle hin zu einem bedrohten Naturraum verändert hat. Nachdem das Frachtmotorschiff 1998 in der Nordsee Feuer fängt, scheitern alle Rettungsversuche. Sturm und die geladenen 2,5 Tonnen Holz beschleunigen das Flammenmeer. Das ausgebrannte Geisterschiff strandet vor Amrum, sinkt – und verliert Öl.

    Obwohl Reddig in der DSM-Sammlung und in den Archiven der Seenotretter viel Material findet, plant sie Reisen zu Gedenkstätten und Archiven unter anderem in Schweden und Estland, um auf europäischer Ebene kooperative Forschungen anzustoßen.


    Contact for scientific information:

    Deike Reddig
    Reddig@dsm.museum


    Images

    Deike Reddig in der Schiffswelten-Ausstellung.
    Deike Reddig in der Schiffswelten-Ausstellung.
    Annica Müllenberg
    DSM / Annica Müllenberg


    Criteria of this press release:
    Journalists
    History / archaeology, Oceanology / climate, Social studies, Traffic / transport
    transregional, national
    Research projects
    German


     

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